Vorstandssprecher Pfarrer Gerd Biesgen führt das vor allem auf die unzureichende finanzielle Ausstattung der Einrichtungen sowie eine mangelnde Wertschätzung der Arbeitnehmer zurück. Auch die scheidende Vorsitzende des Betreuerrats, Dr. Elisabeth Schmitt, mahnte deutliche Verbesserungen in Staat und Gesellschaft an. Das geht aus einer Mitteilung der Stiftung Scheuern hervor.
Laut Biesgen und Dr. Schmitt klafft demnach eine Lücke zwischen den Rechten von Menschen mit Behinderungen und den tatsächlichen Möglichkeiten, diesen gerecht zu werden. 2009 ratifizierte Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Daraus resultierten das Bundesteilhabegesetz und das Landeswohn- und Teilhabegesetz. Sie seien Grundlage für einen personenzentrierten Ansatz von Leistungen für Menschen mit Behinderungen. Dieser Ansatz sei gesetzlich vorgeschrieben, aber es würden nicht genug Mittel zur Verfügung gestellt, damit die Einrichtungen diesem Auftrag auch nachkommen können.
Impfpflicht ja, Corona-Bonus nein
Ein Beispiel dafür, dass Realität und Anspruch auseinanderklaffen, ist Vorstandssprecher Gerd Biesgen zufolge auch die Ungleichbehandlung von Beschäftigten in der Eingliederungshilfe und jenen in anderen Bereichen des Gesundheitswesens. Während allen gemeinsam eine Impfpflicht auferlegt wurde, sei den Arbeitnehmern in der Eingliederungshilfe die Anerkennung und Wertschätzung in Form des Pflegebonus für die besonderen Belastungen in der Corona-Zeit verwehrt geblieben.
Gerd Biesgen skizzierte eine Kluft zwischen politischem und gesellschaftlichem Auftrag sowie dem eigenen Anspruch, einen echten inklusiven Umgang mit Menschen mit Behinderung zu pflegen einerseits und der entgegengebrachten Wertschätzung, der angemessenen Entlohnung sowie familienfreundlicher Arbeitsbedingungen andererseits. Die Folge sei „eine massive Überbelastung der Mitarbeitenden in den Einrichtungen vor Ort – nicht nur, aber auch in der Stiftung Scheuern“, wie es in der Mitteilung der Einrichtung heißt.
Dr. Schmitt: Politik nimmt eigenen Anspruch nicht ernst
Dr. Elisabeth Schmitt spitzte ihre Ansicht auf einen Satz zu und sagte: „Das Helfen-Wollen wird zum Erlebnis des nicht Helfen-Könnens.“ Die Politik nehme den selbst postulierten und gesetzlich verabschiedeten Anspruch, Menschen mit Behinderung personenzentriert fördern zu wollen, nicht ernst. Sie schaffe letztlich kein Arbeitsklima, das es den Arbeitnehmern der Behindertenhilfe möglich mache, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Sie folgerte daraus: „Menschen mit Behinderung, das sind die Leidtragenden.“
Die scheidende Vorsitzende des Betreuerrats forderte laut Mitteilung, eine sozialpolitische und gesellschaftliche Wertschätzung der Betroffenen wie auch der sie begleitenden Arbeitnehmer in den Berufen der Eingliederungshilfe zu schaffen. „Und das bitte sofort. Wir haben keine Zeit mehr“, sagte Dr. Elisabeth Schmitt.
In Anspielung auf Konjunkturprogramme und Entlastungspakete des Bundes und die von Kanzler Olaf Scholz verwendeten Formulierungen machte Stiftungsvorstand Gerd Biesgen deutlich, dass er sich den „Wumms“ nun außerdem endlich für die Eingliederungshilfe wünsche.
Bei aller Kritik gab es im Rahmen des Betreuertags jedoch auch Positives zu vermelden. Gerd Biesgen und Judith Bechstedt, Fachbereichsleiterin Wohnen, nannten hier ein Beispiel: So konnten trotz der Corona-Widrigkeiten alle Betreuungs- und Beschäftigungsangebote weiterlaufen. Dies sei zuallererst dem Engagement und der Motivation der Mitarbeitenden zu verdanken. red