Appell an Kreisausschuss
Stiftung Scheuern hat Sorge vor schwacher Sozialpolitik
1200 Menschen mit Behinderungen arbeiten wie hier in der Werkstatt Langauer Mühle in Nassau im Rhein-Lahn-Kreis.
Lisa Treusch

Ihren 175. Geburtstag feiert die Stiftung Scheuern in diesem Jahr. Ein guter Grund für Gerd Biesgen vom Vorstand, dem Kreisausschuss die Bedeutung der Einrichtung vorzustellen. Und einen Appell an eine starke Sozialpolitik zu platzieren.

Pünktlich zum europäischen Protesttag für Menschen mit Behinderung ergriff Gerd Biesgen, Pfarrer und Theologischer Vorstand der Stiftung Scheuern, die Gelegenheit, um den Mitgliedern des Kreisausschusses die Arbeit der Stiftung vorzustellen. Denn die Kosten der Stiftung werden gemeinsam vom Land Rheinland-Pfalz und dem Rhein-Lahn-Kreis getragen. Laut Biesgen liegt neben einer Wohngruppe in Montabaur (Westerwald) ein Großteil der sieben Einrichtungen der Stiftung im Kreis, und zwar in Laurenburg, Nassau, Singhofen und Bad Ems sowie in Nastätten. Eine weitere Wohneinrichtung entsteht aktuell in Lahnstein.

Firmen im Kreis sowie die Werkstätten der Stiftung beschäftigen insgesamt 1200 Mitarbeitende, 1000 davon wohnen auch im Kreis. Einen Einblick in das Wohnen und Arbeiten gewannen die Kreisausschussmitglieder über ein Youtube-Video, das Biesgen mitgebracht hatte – „damit Sie auch ein Gefühl dafür bekommen, wo Ihr Geld hingeht“, so der Pfarrer. Ihm war aber auch wichtig, zu betonen, dass die Stiftung mit ihrer 175-jährigen Geschichte sich nicht zum Selbstzweck erhält, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag erfüllt, dass alle Menschen auch laut UN-Menschenrechtskonvention ein Recht auf Teilhabe haben. Dabei ließ er nicht unerwähnt, dass es seit vielen Jahren immer wieder Probleme zwischen Land und Kommunen bei der Eingliederungshilfe gibt. „Ich gebe keinem die Schuld, sehe aber bisher keine Lösung“, so Biesgen. Des Weiteren leide auch die Stiftung unter dem massiven Personalmangel. „Und uns drücken auch Raumfragen. Wie haben viele alte Gebäude, die saniert werden müssten. Allein das Budget fehlt.“ Dabei gehe es nicht nur um reine Barrierefreiheit, „sondern um einen umfassenden Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe“, betonte Biesgen.

Gerd Biesgen, Pfarrer und Theologischer Vorstand der Stiftung Scheuern
Lisa Treusch
„All das, was fachlich, menschlich und sozial richtig und gewollt ist, steht unter Finanzierungsvorbehalt.“
Gerd Biesgen, Vorstandssprecher der Stiftung Scheuern

Ob sich die finanzielle Situation mit der neuen Bundesregierung verbessert, daran hat der Pfarrer seine Zweifel: „Wir haben wirklich Sorge, dass die Sozialpolitik unter weiteren Druck gerät. All das, was fachlich, menschlich und sozial richtig und gewollt ist, steht unter Finanzierungsvorbehalt“, beobachtet er. Deshalb appellierte Biesgen an das Gremium, trotz knapper Kreiskasse den sozialen Sektor nicht aus dem Blick zu verlieren.

SPD-Fraktionsvorsitzender Manuel Liguori, Bürgermeister von Nassau und mit dem Stiftungsvorstand in engem Austausch, bekräftigte Biesgens Worte: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Finanzierung der Stiftung sichergestellt ist. Wir müssen aufpassen, dass das Soziale nicht unter die Räder kommt“, so Liguori, „schließlich haben wir alle irgendein Handicap oder eine Baustelle, deshalb dürfen wir bei Menschen keine Unterschiede machen.“

Zweite Beigeordnete Gisela Bertram lenkte den Blick darauf, dass das, „was wir für Inklusion halten“, nicht der Realität entspricht, wie sie aus ihrem Familienkreis weiß. „Das Problem ist auch, dass es für behinderte Kinder so schwer ist, einen Schulabschluss zu machen und in den Ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Und nur der macht es möglich, dass man von der eigenen Arbeit leben kann und wirklich Teil der Gesellschaft ist“, erklärte sie. Deshalb müsse bei allen Diskussionen ums Geld klar sein, dass „wir hier nicht über karitative Zwecke sprechen. Wir haben einen gesetzlichen Auftrag, den wir erfüllen müssen.“

„Wir verzweifeln über der Finanzierung der Gesetzesvorgaben.“
Harald Gemmer, FWG

Für Oliver Krügel (CDU) sind die Gestaltungsmöglichkeiten stark beeinflusst durch die sich ständig verändernden Vorgaben und steigenden gesetzlichen Standards. Diesen Spagat der Kommunen, mit gleichbleibendem Budget immer mehr gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, sieht auch Biesgen als Vorstandsvorsitzender der Stiftung. „Aber auch ich habe dafür keine Lösung“, sagt er schulterzuckend. Für Harald Gemmer von der FWG sollten „diejenigen, die die Standards festlegen, die Dinge bis zum Ende durchdenken – sei es beim Fachkräftemangel oder bei Geldfragen. Wir verzweifeln über der Finanzierung der Gesetzesvorgaben.“ Ein Appell, den Gerd Biesgen noch diese Woche mit in ein Gespräch mit der Staatskanzlei nach Mainz mitnehmen möchte.

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