Selten in der Geschichte der Stadt war die Ausgangslage so spannend. Klar ist: Der Trend zur Briefwahl hält an, bis Dienstag hatte die Stadtverwaltung schon 5300 Briefwahlunterlagen versendet. Was die Chancen der Parteien für die Stadtratswahl angeht, stellen sich viele Fragen. Der Versuch einer Analyse:
The trend is my friend? Wird die Lahnsteiner CDU vom Rückenwind aus dem Bund profitieren?
Die Christdemokraten stellen schon immer die größte Ratsfraktion in Lahnstein. Doch bei den vergangenen Kommunalwahlen verlor man stets Stimmen, 2019 kam man auf 29,16 Prozent, was neun Sitze brachte. Es folgte ein Debakel bei der Oberbürgermeisterwahl, als Kandidat Thomas Becher vor zwei Jahren nur Dritter wurde und dabei sogar hinter den Sozialdemokraten landete.
In Lahnstein hofft man nun, vom Rückenwind aus dem Bund, wo die CDU in Umfragen klar stärkste Partei ist, zu profitieren. Dabei hat man im Ortsverein aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und präsentiert sich im Wahlkampf deutlich moderner als noch im OB-Wahlkampf. Die Kandidaten werden in den sozialen Netzwerken mit Videos präsentiert, immer wieder wird der Bezug zu Lahnstein hervorgehoben. Neben viel Werbung sind die Kandidaten der Partei seit Monaten auch im Stadtgebiet persönlich präsent. Mit „CDU hört zu“ suchte man den direkten Kontakt zum Wähler, bei den Themen blieb man bei „Klassikern“ wie der inneren Sicherheit oder Sauberkeit.
Auch populäre Themen wurden zuletzt betont, beispielsweise den Willen, die beiden Lahnsteiner Bäder erhalten zu wollen (wobei es aktuell keinerlei Bestrebungen gibt, Bäder zu schließen). Ihre Unterstützung für die örtliche Feuerwehr betont die CDU im Wahlkampf ebenfalls.
Auf der Vorschlagsliste setzt man auf den vorderen Plätzen vor allem auf Platzhirsche: In den Top Ten findet sich mit Andreas Birtel (Rang zehn) nur ein kommunalpolitischer Newcomer, die anderen Kandidaten sitzen bereits im aktuellen Stadtrat. Auf den Listenplätzen dahinter finden sich auch einige Newcomer, genau wie Kandidaten mit reichlich kommunalpolitischer Erfahrung. Bei Facebook folgen der CDU Lahnstein 428 Menschen, bei Instagram sind es 253.
Wie verkraftet die örtliche SPD die schlechten Umfragewerte im Bund und den Generationswechsel im eigenen Ortsverein?
Kommunalwahlen sind mal mehr, mal weniger stark vom Bundestrend beeinflusst. Die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP haben hier aktuell keinen guten Stand – schlägt dieser Trend voll in den Stadtrat durch, drohen Verluste. Die Lahnsteiner SPD kam bei den Ratswahlen 2019 auf 21,41 Prozent der Stimmen, trotz Verlusten blieb sie mit sieben Sitzen zweitstärkste Fraktion.
Ob dies diesmal wieder gelingt, erscheint fraglich. Denn neben dem Bundestrend müssen Lahnsteins Genossen auch einen Generationswechsel verkraften: Mit Gabi Laschet-Einig, Sieglinde Bornschier, Richard von Eyß, Kurt Sanner und Werner Lui treten gleich fünf Urgesteine der Sozialdemokratie am Rhein-Lahn-Eck nicht mehr an. Damit gehen der Fraktion nicht nur jahrzehntelange kommunalpolitische Erfahrung verloren, sondern auch Stimmenfänger: Allein auf die langjährige Fraktionschefin Laschet-Einig entfielen vor fünf Jahren 3137 Einzelstimmen, die mit Abstand meisten aller SPD-Kandidaten.
Lahnsteins Genossen machten aus der Not aber eine Tugend und riefen den Generationswechsel aus: Auf ihrer Liste finden sich neben einigen erfahrenen und bekannten Kandidaten (Herbert Fuss, Jochen Sachsenhauser, Matthias Boller oder Manfred „Radscha“ Radermacher) auch frische kommunalpolitische Gesichter wie Markus Graf, Perry Metten-Golly oder Alisha Mereu.
Motiviert von der Oberbürgermeisterwahl vor zwei Jahren, als man überraschend den CDU-Kandidaten hinter sich ließ, zeigte sich die SPD im Wahlkampf sehr präsent, neben vielen Plakaten war man auf Dutzenden Ortsterminen, sammelte Ideen, Sorgen und Nöte der Bürger ein. Außerdem präsentierte man ein „Wahlprogramm, das Lahnstein sofort besser macht“, wie es überschrieben ist. In den sozialen Netzwerken zeigte man sich unter anderem mit Kandidatenvideos. Die Follower-Zahlen konnten gesteigert werden. Bei Instagram folgen der SPD Lahnstein 201 Menschen, bei Facebook sind es 578.
Profitiert die Unabhängige Liste Lahnstein (ULL) noch von der Oberbürgerwahl?
Die Wahl von Lennart Siefert, dem langjährigen ULL-Fraktionschef, zum Oberbürgermeister vor zwei Jahren war eine echte Sensation: Ernstmals wurde jemand ohne CDU-Parteibuch zum Stadtchef gewählt, und dies per Erdrutschsieg. Seitdem war Siefert sehr umtriebig, krempelte beispielsweise die eigene Verwaltung um. Auch der langjährige Intendant der Städtischen Bühne wurde vor die Tür gesetzt, nicht ganz geräuschlos.
Überhaupt: Bei vielen Entscheidungen hagelte es Kritik vom politischen Gegner, entsprechend musste auch die ULL im Rat einiges einstecken. Eine „Fraktionsgemeinschaft“ bildete sich, bei vielen Themen stand man allein auf weiter Flur. Die Frage ist, wie der Wähler dies alles bewertet? Bei den letzten Kommunalwahlen konnte die ULL stets zulegen, 2019 wurde man so mit 17,52 Prozent und sechs Sitzen drittstärkste Kraft.
Thematisch rückte man im Wahlkampf die Themen Tourismus, Stadtentwicklung und Lebensqualität in den Mittelpunkt, plädiert zudem für einen Kauf des Pfarrzentrums, wo eine „Heimat für Vereine“ entstehen soll. Außerdem wirbt die ULL für den Wiederaufbau des Aussichtsturms am Sechsseenblick – und die Beibehaltung des Parkplatzes am Alten Friedhof. Dieser war vom Landesbetrieb Mobilität für die Brückensperrung geschaffen worden, soll nach dem Willen einer Ratsmehrheit danach aber wieder zurückgebaut werden.
Der direkte Bürgerkontakt wurde gesucht, wie auch die Konkurrenz war man in allen Stadtteilen unterwegs. Was die Zahlen angeht, ist die ULL in den sozialen Netzwerken an der Spitze: Bei Facebook folgen ihr 808 Menschen, bei Instagram sind es 673.
Wie sehr leiden die Grünen unter der teils harschen Kritik an den Grünen-Ministern in Berlin?
Ob Wirtschaftsminister Habeck, Außenministerin Baerbock oder andere – die Ministergarde der Grünen in Berlin hat in Sachen Beliebtheit ein Problem. Bei der vergangenen Ratswahl vor fünf Jahren war die Lage übrigens genau andersherum: Damals konnte der Lahnsteiner Ortsverein vom Bundestrend profitieren, die Grünen erreichten fast 15 Prozent und ergatterten so fünf Sitze. Aktuell steht der Wind ungünstiger. Andererseits zeigten sich die Grünen gerade zum Ende der Wahlperiode sehr umtriebig im Rat, stießen einige Projekte wie die Renaturierung des Weihers auf der Höhe an und sorgten für Fördergelder zum Klimaschutz in Lahnstein.
Auf der Vorschlagsliste der Grünen für den Rat finden sich 18 Kandidaten und zwei Ersatzkandidaten, darunter bekanntere Namen wie Jutta Niel, Ulrich Merkelbach oder David Niel. Zum Problem bei dieser Wahl könnte allerdings der Austritt von Gerhard Schmidt und Beatrice Schnapke-Schmidt aus der Fraktion Mitte der Wahlperiode werden: Denn die Ehepartner gelten als Grüne der ersten Stunde in Lahnstein und ergatterten vor fünf Jahren zusammen fast 7000 Einzelstimmen. Nach dem Bruch mit ihrer Fraktion gründeten sie die Alternative Grüne Liste, treten bei dieser Kommunalwahl aber nicht mehr an.
Im Wahlkampf zeigten sich die Grünen aktiv, wurden nicht müde, die Erfolge der vergangenen fünf Jahre zu betonen. In den Stadtteilen war man ebenfalls sehr präsent, Kernthema war der kommunale Klimaschutz. Die sozialen Netzwerke wurden ebenfalls bespielt, unter anderem mit Kandidatenvideos. Bei Facebook hat der Ortsverein 702 Follower, bei Instagram folgen 527 Menschen.
Kann die Freie Bürgerliste den Negativtrend der vergangenen Wahlen brechen und sich stabilisieren?
Die FBL hat zuletzt deutlich Federn gelassen. 2019 erreichte man 10,87 Prozent und kam so auf drei Sitze. Die Jahre, in denen die Partei insbesondere von der Bekanntheit der mittlerweile verstorbenen Edi Wolf und Werner Konrad profitierte, sind vorbei. Wobei sich die erfahrenen FBL-Stadträte in den vergangenen fünf Jahren durchaus meinungsstark zeigten, insbesondere der umtriebige Paul Arzheimer brachte Diskussionen aus der Bürgerschaft vehement im Stadtrat ein.
Wohl wissend, dass die FBL dringend eine Verjüngung nötig hat, bemühte sich der Vorstand, eine Liste aufzustellen, in der auch jüngere Kandidaten zu finden sind. Thematisch setzt man auf Bürgernähe und Transparenz, spricht sich für den Erhalt der Bäder aus (wie auch die Konkurrenz), möchte den Marktplatz bebauen – und wünscht sich Tourismus am Schleusenhäuschen. Auch in den sozialen Netzwerken zeigt sich die FBL, blieb zwar ohne Bewegtbilder, präsentierte aber zahlreiche Forderungen und Anträge. Bei Facebook folgen der FBL 466 Menschen, bei Instagram sind es derzeit 100.
Auch die FDP leidet unter der Unbeliebtheit der Ampelregierung. Gelingt es dem Ortsverein, sich davon abzusetzen?
Spitzenkandidat Sascha Weinbach steht schon seit vielen Jahren für die Liberalen in Lahnstein. Bei der Wahl 2019 erreichte die FDP immerhin 6,45 Prozent und zwei Sitze – einer mehr als es in der Legislaturperiode zuvor war. Damit hatte man auch wieder Fraktionsstatus und durfte Vertreter in die Ausschüsse schicken.
Diese zwei Sitze wieder zu erreichen, ist das Mindestziel von Sascha Weinbach und seinen Mitstreitern, die kaum eine Gelegenheit verpassen, sich von der Bundespartei abzugrenzen („Mehr Lahnstein, weniger Berlin“). Im Wahlkampf legte man sich mächtig ins Zeug, kaum eine Ecke, wo nicht das Konterfei eines FDP-Kandidaten zu sehen ist. Thematisch greift man vieles auf – unter anderem schlägt man eine Tiefgarage unter dem Salhofplatz vor. Weitere Ideen: autofreie Zonen in der Innenstadt, Fotovoltaik auf städtischen Gebäuden und ein Parkplatz für Besucher an der Ruppertsklamm.
In den sozialen Netzwerken ist man ausschließlich ohne Bewegtbilder unterwegs. Es gibt Statements zu Lahnsteiner Themen wie das Windkraftprojekt Lahnhöhe oder die Buga, Kandidatenbilder, immer wird die Verbindung zu Lahnstein hervorgehoben. Bei Facebook folgen den Liberalen 558 Leute. Bei Instagram hat der Ortsverein keinen Account.
Wie hoch ist eigentlich der Anteil an Frauen auf den Kandidatenlisten?
Menschen zu finden, die sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik engagieren möchten, ist heutzutage sehr schwierig. Auch deshalb ist der Anteil an Frauen in den Wahllisten für den Stadtrat zumindest in einigen Parteien überschaubar. Bei der CDU finden sich unter den Top Ten zwei Frauen, insgesamt sind es 8 von 32, also 25 Prozent. Bei der SPD liegt die Quote etwas höher: Unter den Top Ten sind drei Frauen, insgesamt finden sich auf der Liste zwölf Kandidatinnen (Quote: 37,5 Prozent).
Für die Unabhängige Liste kandidieren unter den Top Ten drei Kandidatinnen, insgesamt sind es 9 von 32 (Quote: 28,1 Prozent). Die meisten Frauen kandidieren für die Grünen: Unter den Top Ten sind fünf Frauen, insgesamt sind es gar 11 von 18 (Quote: 61 Prozent). Für die Freie Bürgerliste kandidieren drei Frauen in den Top Ten, insgesamt finden sich 13 Kandidatinnen unter den 32 (Quote: 40,1 Prozent). Die Freien Demokraten haben eine Frau in den Top Ten, insgesamt sind es 10 von 32 (Quote: 31,3 Prozent).