So viele „holde Frowelein“ und „edle Recken“ wie heute dürften auf dieser kleinen Insel mitten im Rhein schon lange nicht mehr zu sehen gewesen sein. Kein Wunder, schließlich sorgen die Spielleut Ranunculus, ihre Tanzgruppe Lavandula und die anderen Akteure des ersten Familien-Erlebnistags „Lebendiger Pfalzgrafenstein“, zu dem die Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz eingeladen hat, dafür, dass man tief eintauchen kann in die Zeit des Mittelalters, in der das malerische Gemäuer hier entstanden ist.
„Seid gegrüßt und willkommen geheißen, und hört, was sich vor langer Zeit hier zugetragen hat“, begrüßt Ranunculus-Chefin Ute Graßmann formvollendet die Teilnehmer der Burgführung, die nach und nach mit der kleinen Personenfähre von Kaub aus übergesetzt sind. Erzählt, gerade so, als sei sie live dabei gewesen, wie Kaub einst den Herren von Falkenstein gehörte: „Im Jahr 1277 beschloss Philipp I. von Falkenstein: ‚Ich hab‘ keinen Bock mehr‘ und verkaufte alles für 2100 Aachener Denare an den Ludwig II. aus dem Geschlecht der Wittelsbacher.“ Aber wer um Himmelswillen habe hier am Rhein schon bayrisch werden wollen? „Jedes Jahr kommen Touristen aus Bayern hierher, um die Burg zu besichtigen. Denen sage ich immer: ‚Fahrt wieder nach Hause. Ihr wart doch schon hier.‘ Aber sie wollen einfach nicht hören“, so Ute Graßmann, die ihre Führung nicht nur mit viel Humor, sondern auch mit großer Anschaulichkeit zu würzen versteht.
Ringmauer samt Wehrgang sollte Zolleinnahmen sichern
Zum Beispiel, was den Pfalzgrafen Ludwig IV., ebenfalls ein Wittelsbacher, betrifft: Obwohl 1324 von Papst Johannes XXII. mit dem Kirchenbann belegt („Das war für die Menschen damals eigentlich gleichbedeutend mit dem Tod“), ließ er zwei Jahre später als ersten Teil der Burg den großen fünfeckigen Turm in der Mitte, später dann die zwölf Meter hohe und bis zu 2,60 Meter dicke Ringmauer samt Wehrgang errichten. Mit dem eindeutigen Ziel, sich dank der strategisch günstigen Lage mitten im Fluss die Zolleinnahmen zu sichern. „Der Zoll wurde den Schiffern aber nicht hier, sondern im bis heute komplett erhaltenen Zollgebäude drüben in Kaub abgeknöpft“, präzisiert Ute Graßmann.

Die Burg Pfalzgrafenstein, die später noch um weitere Teile erweitert wurde, habe lediglich der Kontrolle der vorbeifahrenden Schiffe gedient, weshalb sie genau genommen auch keine Zollburg gewesen sei: „Sie war das Alcatraz des Mittelrheins – ein Gefängnis, in dem Kriegsgefangene und säumige Zoll-Zahler inhaftiert waren.“ Aber nicht nur sie: „In einem Verlies im Erdgeschoss des Hauptturms vegetierte jahrelang ein Kauber Brandstifter dahin. Der war am Ende auch ein bisschen durchgedreht. Was danach aus ihm geworden ist, weiß niemand.“ Auch der Pulverkammer im ersten und der Geschützbatterie im zweiten Obergeschoss sowie der Kommandantenwohnung in der ansonsten unbewohnten Burg und noch so einigem mehr verleiht diese Führung enorm viel Plastizität.
Auch im Innenhof war viel los
Äußerst lebendig geht’s auch im Innenhof zu, wo jede Menge historisch Gewandete herumwuseln. So führt eine Abordnung der Spielleut Ranunculus mit Schalmeien, Drehleier und Co. weit über das Mittelalter hinaus musikalisch durch die Jahrhunderte – und animiert Besucher Wolfgang Kemp spontan dazu, bei einem „Tourdion“, also einem französischen Tanzlied aus der Zeit der Renaissance, singend mit einzustimmen. Apropos Tanzlieder: Die zu den Ranunculussen gehörende Gruppe Lavandula tritt nicht nur selbst in Aktion, sondern gibt den Besuchern des Erlebnistags auch mehrere Crashkurse. Da wird gehüpft, gesprungen und sich umeinander gedreht, dass es eine wahre Wonne ist. „Das hat mir am besten gefallen, zumal ich so etwas noch nie gemacht habe“, erzählt hinterher Mittänzerin Elisabeth Müller aus Boppard-Buchholz, die in der Rhein-Zeitung vom „Lebendigen Pfalzgrafenstein“ erfahren hat.
Auch ansonsten ist für allerlei Schabernack gesorgt. Zum Beispiel für die zahlreichen Kinder, die sich von Bettina Kemp, der Ehefrau des spontanen Sängers, in die Kunst der mittelalterlichen Ledergeldbeutel-Herstellung („Faden oben durch, Faden unten durch und dann feste zuziehen“) einweihen lassen können. Solche historischen Basteleien biete sie auch für Schulklassen an, berichtet Bettina Kemp im Gespräch mit unserer Zeitung: „Am meisten Spaß macht es mit Grundschülern.“
Märchenerzählerin mit großem Zulauf
Regen Zulauf hat auch ihre als Märchenerzählerin angekündigte „Kollegin“ Sabine Gerl im oberen Wehrgang. „Das mit der Märchenerzählerin stimmt aber nicht ganz, denn ich lese Sagen aus dem Oberen Mittelrheintal vor“, stellt sie klar. Seit 11 Uhr bringt Sabine Gerl quasi nonstop, sehr ausdrucksstark vorgetragen, Geschichten wie „Das Elslein von Kaub“, „Der Mäuseturm von Bingen“, „Die Jungfrau von Oberwesel“ und, nicht zu vergessen natürlich, die Sage zur Burg Pfalzgrafenstein samt ihrer glücklich endenden Liebesgeschichte zwischen der schönen Pfalzgrafen-Tochter Agnes und dem heldenhaften Heinrich von Braunschweig zu Gehör.

All das trägt, neben der malerischen Burg selbst mit ihrem rustikal-verspielten Flair und dem traumhaften schönen Mai-Wetter, dazu bei, dass die Zeit eigentlich viel zu schnell vergeht. Trotzdem tut man gut daran, spätestens um 17 Uhr das Weite zu suchen. Nicht nur, weil die Fähre dann zum letzten Mal zurück nach Kaub fährt. Sondern auch, weil man sich daran erinnert, was Ute Graßmann bei ihrer Führung gesagt hat: „Am Ende des Tages wird am Eingangstor ein Fallgitter heruntergelassen. Da kommt dann keiner mehr hinaus.“