RLZ-Sommerinterview mit der 58-jährigen Fraktionschefin
RLZ-Sommerinterview mit der Grünen-Chefin: Jutta Niel über Grüne Ideen und Buga-Zweifel
Interviewtermin auf dem heimischen Balkon: Jutta Niel spricht über Ideen ihrer Fraktion für Lahnstein. Foto: T. Lui
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Seit knapp eineinhalb Jahren ist Jutta Niel Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen in Lahnstein. Als Urgestein Gerhard Schmidt im Mai 2021 gemeinsam mit Ehefrau Beatrice Schnapke-Schmidt die Fraktion nach Unstimmigkeiten verließ (um die „Alternative Grüne Liste“ zu gründen), war der Vorsitz zunächst verwaist. Dann übernahm Niel, die seither die Richtung angibt.

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Wobei die 58-Jährige mehrfach darauf hinweist, dass sie eine Teamspielerin sei – und ihr die Meinung der Kollegen in Fraktion und Ortsverein wichtig ist. Im Sommerinterview mit unserer Zeitung spricht sie unter anderem über den Klimawandel, Parkplätze sowie Wahlaussichten – und blickt auf die ersten Monate von Oberbürgermeister Lennart Siefert im Rathaus.

Frau Niel, das Theaterthema ist allgegenwärtig ... zuletzt gab es Kritik der ULL, dass man Sie bei dem Antrag, das Ensemble bis Mai weiterzubeschäftigen, übergangen habe ...

Da kann man sich drüber aufregen, ich finde es aber nicht schlimm. Denn mir geht es um die Sache, nicht um Befindlichkeiten anderer Mandatskollegen. Und es geht darum, den Schauspielern eine gewisse Sicherheit zu geben. Die bekommen so schnell kein neues Engagement und haben mir versichert, im bestehenden Team die Stücke bis Mai meistern zu können. Auch ohne Intendanten. Auf diese Weise hätten wir keinen Leerlauf, der Spielplan würde erfüllt. Und wir hätten ein halbes Jahr länger Zeit, um in der Intendantenfrage eine Lösung zu finden – und uns allgemein mit der Zukunft des Theaters zu befassen. Dazu gehört auch der Vorschlag des Vereins zur Kulturpflege.

Ein weiteres Thema, das aktuell gerade von der CDU offensiv aufgegriffen wird, ist die Vollsperrung im Rahmen der Brückensanierung 2024. Wie stehen Lahnsteins Grüne zu den Planungen des LBM?

Wenn man mal mit den Anwohnern sprechen würde, sehe ich im Gegensatz zum LBM durchaus Potenzial für Nachtarbeit. Natürlich muss man dabei auch das Krankenhaus, das wohl auch betroffen wäre, berücksichtigen. Was die Vollsperrung angeht, konnte ich die angeführten Gründe wie Arbeitsschutz und notwendige große Arbeitsmaßnahmen direkt auch an der Schwelle Tunnelübergang/ Brücke nachvollziehen, da glaube ich dem LBM. Das ist nicht machbar unter einer Halbsperrung.

Gehen Sie davon aus, dass das Thema bis zur Kommunalwahl von dem ein oder anderen genutzt wird, um Wahlkampf zu machen?

Ich verstehe im Moment nicht die Gelassenheit einiger Mandatskollegen. Manchmal habe ich das Gefühl, wir Grüne sind die einzigen, die außer Politiker im Landtag und Bundestag anzuschreiben, auch konkrete Ideen vorschlagen ...

Das wäre ...?

Mit der grünen Kreistagsfraktion versuche ich zum Beispiel durch eine Anfrage beim Landrat, die Situation an der Friedrichssegener Brücke zu entschärfen, welche für viele Lahnsteiner Autofahrer eine mögliche Umfahrung zur B42 im Jahr 2024 sein wird. Außerdem haben wir Grüne bei der Kreisverwaltung nach der Einrichtung von Wassertaxis nachgefragt, die ebenfalls im Hinblick auf die Buga ein Gewinn wären. Leider dämpfen die erhaltenen Antworten unsere Erwartungen.

Wo sehen Sie bei dem Thema Probleme bei der Verwaltung?

Ich vermisse ein wenig den Schulterschluss von OB Siefert mit seinem Amtskollegen Mike Weiland, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Loreley, die ja ebenfalls massiv von der Brückensperrung betroffen sein wird. Dieser hat große Sorgen, dass die gesamte Rheinschiene wirtschaftlich und touristisch abgehängt wird, sollte die geplante weiträumige Umfahrung ab Rüdesheim kommen.

Eine Idee ist ein Baustellenticket im Rheintal, damit Touristen und Berufstätige vermehrt die Bahn nutzen. Das ist ein Grund, warum wir am Oberlahnsteiner Bahnhof Park-&-Ride-Parkplätze schaffen müssen. Nur so bekommen wir auch den Engpass Rudi-Geil-Brücke etwas entlastet. Ein möglicher Parkplatz wäre zum Beispiel auf dem Schotterplatz an der Auffahrt von den Rheinanlagen Oberlahnstein/Spielplatz, wo jetzt nur Bauschutt liegt.

Ich habe mir die Situation vor Ort angeschaut – und natürlich müssen hierfür Gespräche mit dem Grundstücksbesitzer Bahn geführt werden. Aber ich glaube, die Bahn ist dazu bereit. Genau wie sie offen sein wird für Rampenlösungen in den Unterführungen. Wenn wir dann noch einen Automaten an Gleis 2 hätten, wäre der Bahnhof in Oberlahnstein auch noch barrierefrei. Außerdem wünsche ich mir zu dem Thema einen Runden Tisch zwischen LBM, Stadtspitze, Betrieben und Fraktionsvertretern. Vonseiten des LBM vermisse ich eine Offenlegung der genauen Verkehrspläne.

Im Hinblick auf Brückensperrung und Buga ist von bis 160 bis 200 Parkplätzen die Rede, die wegfallen. Der LBM will am Alten Friedhof einen Parkplatz einrichten, die Grünen sehen dies kritisch. Es gibt zwar einzelne Alternativvorschläge, doch diese sind bisher weder finanziert noch ausreichend. Wo sind echte Alternativen?

Zunächst einmal: An Anwohnerparkplätzen fehlt es nicht, zumindest ist dies mein Eindruck. Der Alleenring ist im Prinzip nicht voll belegt, weil die Leute da bezahlen müssen. In der Zukunft wird wahrscheinlich jeder Anwohner 96 Euro im Jahr zahlen müssen, wenn er sein Auto auf städtischer Fläche parkt. Irgendwann sind Parkplätze in Städten nicht mehr umsonst zu haben. Das ist das eine.

Aber: Wir hatten einen Hitzesommer. Ich habe eine Studie der Uni München gelesen, wonach eine 20 Jahre alte Linde über ihre Blätter 32 Badewannen voll Wasser verdunstet und zur Kühlung beiträgt, eine 80 Jahre alte Linde sogar 320 Badewannen. Damit kühlt der junge Baum wie 21 Kühlschränke, der alte Baum wie 320. Der Alte Friedhof ist ein wichtiger Platz für den Klimaschutz innerhalb unserer Stadt!

Ein Investor möchte die Löhnberger Mühle entwickeln und fast eine halbe Milliarde reinpumpen. Was denken Sie?

Wir werden einem möglichen Aufstellungsbeschluss zu einem Bebauungsplan zustimmen. Wir werden uns aber dafür stark machen, dass ein städtebaulicher Vertrag die Themen Verkehrsanbindung, Kindergartenbau, Klimaschutz und Hochwasserschutz integriert. Beim klimaverträglichen Bauen ist uns eine Berücksichtigung von Photovoltaik, Solarthermie und Fassadenbegrünung wichtig. Bei der Planung sollten außerdem keine in der Breite riesigen kompakten Gebäudekomplexe verwirklicht werden, sondern dazwischen an Korridore gedacht werden, die den Kaltluftaustausch vom Wasser in die Innenstadt zulassen. Das wurde beim Rheinquartier versäumt.

Stichwort Buga – wie sehen Sie diese aus Sicht der Stadt?

Ich bin mir aktuell noch nicht mal sicher, ob eine Buga wirklich stattfindet. Überlegen Sie sich doch mal: Wir haben jetzt einen Hitzesommer, wo der Rhein kaum Wasser hat, wo der Kreis verboten hat, Wasser aus den natürlichen Gewässern zu nehmen. Wenn das so weitergeht, wie soll das funktionieren? Da ist eine riesige Blumenshow, die muss bewässert werden. Wie attraktiv ist eine Buga im Mittelrheintal, wenn der Rhein nur noch ein Rinnsal ist?

Wie sehen Sie den Hafen, der vom Land weiter ausgebaut werden soll. Dies würde noch mehr Lkw in die Innenstadt bringen, zumal eine Erschließungsstraße aktuell weit weg scheint.

Der Hafen hat für das Land eine gewisse Relevanz, da es der letzte Hafen vor der Rheinenge ist. Aber im Hinblick auf die wiederkehrenden Niedrigwasserlagen bezweifle ich, dass unser Hafen weiter ein Industriehafen bleiben sollte. Und wenn die neue Straße bei Dürre und Niedrigwasser dann zur Lkw-Rampe wird, weil die Schiffe hier entladen werden müssen, sehe ich das sehr kritisch.

Das Hafengutachten rät dazu, Lahnstein zu halten, sogar auszubauen. Was bedeutet dies für den ohnehin schon starken Verkehr?

Ich glaube zunächst einmal, dass die Erschließungsstraße aktuell nicht finanzierbar ist. Insofern ist es noch wichtiger, dass wir uns wehren, was eine weitere Nutzung als Industriehafen angeht. Ein Industriehafen mitten in der Stadt und eine mögliche Erschließungsstraße, die als Lkw-Rampe dient und von uns mitfinanziert und auch instand gehalten werden muss. Das kann doch nicht sein.

Sie haben den Faktionsvorsitz der Lahnsteiner Grünen im vergangenen Jahr übernommen, auch den der Grünen Kreistagsfraktion. Ein rasanter Aufstieg, oder?

Da muss ich erst mal ausholen: Zur Kommunalpolitik bin ich ein wenig wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Es war nie meine Absicht, hier Fraktionsvorsitzende zu werden. Durch den Fraktionsaustritt von Gerhard Schmidt musste es aber jemand machen, ähnlich lief es im Rhein-Lahn-Kreis ja auch. Da verstarb der Kollege. Jetzt habe ich aber dort wieder Unterstützung durch Herrn Jansing, indem wir uns den Vorsitz teilen. Ich versuche mich überall einzubringen und gute Arbeit zu machen.

Was schön ist: Wir verspüren jede Menge Rückenwind, weil den Menschen das Thema Klimawandel immer wichtiger wird. Unsere Mitgliederzahl hat sich zum Beispiel innerhalb eines Jahres verdoppelt. Da passiert ganz, ganz viel. Die Leute, die dazukommen, sind hochgradig engagiert – und haben eine hohe Expertise im Bereich Ökologie. Wir besetzen Themen wie zum Beispiel ein Radkonzept, haben auch Ideen im Grünflächenmanagement und geben uns viel Mühe, die Stadt voranzubringen. Das sehe ich in dieser Fülle aktuell bei keiner anderen Partei. Wo sind die Vorschläge der anderen Parteien für Lahnstein?

Sie spüren deutlichen Aufwind. Was bedeutet dies im Hinblick auf die Kommunalwahlen in zwei Jahren?

Ich hoffe auf mehr Mandate – sechs oder sieben wären toll. Und wenn es am Ende acht werden, wäre das natürlich überragend. Ich glaube, wir werden den Bürgern ein gutes Angebot machen. Auf den ersten zehn Plätzen wird es auch eine paritätische Liste geben..

Wie bewerten Sie die ersten neun Monate Oberbürgermeister Siefert?

Ich halte ihn für einen extrem pragmatischen Menschen, was ich einerseits positiv, andererseits aber auch negativ finde. Positiv finde ich vor allem, wie schnell er reagiert, wenn man Anfragen stellt oder Anliegen hat, wenn irgendwo in der Stadt etwas nicht gut oder falsch läuft. Man fühlt sich ernst genommen. Ein Beispiel: Als die Stiftung anbot, das Spielgerät in Niederlahnstein am Spielplatz zu erneuern, habe ich vorgeschlagen, eine barrierefreie Schaukel zu installieren. Es hat keine halbe Stunde gedauert, da kam die Antwort aus dem Bauamt, dass man dies machen werde.

Und wo empfinden Sie den Pragmatismus als negativ?

Wie die Tagesordnungspunkte einer anstehenden Sitzung im Ältestenrat schon vorbesprochen werden und dann in den Sitzungen oft nur sehr knapp behandelt werden, da fehlt mir der demokratische Diskurs, gar nicht so auf die unterschiedlichen Meinungsbilder der Fraktionen untereinander bezogen, sondern vielmehr auf das Meinungsbild innerhalb meiner eigenen Fraktion. Im Ältestenrat kann ich nur für mich sprechen, danach wird das Besprochene fraktionsintern diskutiert. Herr Siefert hat diese Kritik aber schon angenommen und beim letzten Ältestenrat die Tagesordnungspunkte nicht mehr zur Diskussion gestellt“.

Das Gespräch führte Tobias Lui

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