Einen Politikwechsel in Deutschland auf nahezu allen Ebenen hat der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) beim Jahresempfang der Industrie- und Handelskammer (IHK) Limburg gefordert. „Die Zeit gleicht einer rauen See, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht Schiffbruch erleiden“, sagte Rhein vor Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in der voll besetzten Limburger Stadthalle. Die Herausforderungen seien gewaltig, so Rhein mit Blick auf die Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten, die Lage der Wirtschaft, das Thema Migration und die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten.
In der Wirtschaftspolitik forderte Rhein ein „konsequentes“ Umsteuern. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe das Land wirtschaftlich „auf Talfahrt geführt“, kritisierte Rhein. „Alle großen Industrienationen wachsen, aber Deutschland schrumpft.“ Die Arbeitslosigkeit sei gestiegen, mehr als vier Millionen Menschen lebten von Bürgergeld, alle drei Minuten müsse ein Betrieb Insolvenz anmelden. „Wir sind mittendrin in der Deindustrialisierung.“ Dabei sei Wachstum die Grundlage des Wohlstands. Bürokratie, teure Energie, Mangel an Fachkräften: „Die Situation treibt die Leute zur Verzweiflung“, so Rhein. Das Abschalten der letzten verbliebenen Kernkraftwerke auf der Höhe der Energiekrise nannte der Ministerpräsident eine „völlige Geisterfahrt“. „Wir sind spitze bei den Belastungen, aber Schlusslicht beim Wachstum.“
„Hessenfonds“ soll Innovation anregen
Mit dem „Hessenfonds“ versuche die Landesregierung gegenzusteuern, indem sie Anreize für Innovationen schaffen und den Finanzplatz Frankfurt stärken wolle. Kritisch blickte Rhein auf die Entwicklung bei der Commerzbank: Die sei von der Bundesregierung zum Übernahmekandidaten gemacht worden, obwohl sie als Finanzierer des Klein- und Mittelstands besonders wichtig sei.
Rhein sprach sich für rasche Investitionen in digitale Netze aus („wer nicht digitalisiert, wird verlieren“), aber auch für einen schnellen Bürokratieabbau. Dafür sei nun in Wiesbaden ein eigenes Ministerium zuständig. Zuwanderung sei zwar wichtig, „aber keine ungesteuerte Migration in die Sozialsysteme“. Beim Thema Bildung brach der Ministerpräsident eine Lanze für den Ausbildungsberuf. „Wir müssen mehr junge Leute für die berufliche Bildung begeistern. Die hat unser Land stark gemacht.“ Viele Länder beneideten Deutschland um dieses System. An allen Schulen sollte die Berufsorientierung „massiv gestärkt“ werden, um zu verhindern, dass junge Menschen nach der Schule in einen Leerlauf geraten. Akademische und berufliche Bildung müssten gleichwertig sein. Auch das Thema Leistung müsse wieder positiv ins Bewusstsein gerückt werden, forderte der Landeschef. Eine klare Absage erteilte er der Idee, Berufsrückkehrern eine Prämie von 1000 Euro zu zahlen („das kann nicht wahr sein“), und mit einer Vier-Tage-Woche lasse sich der Wohlstand nicht halten. Rhein warnte davor, „an der Schuldenbremse zu basteln“. Negative Folgen hoher Staatsverschuldung seien derzeit in Frankreichs abzulesen.
Auch IHK-Präsidentin Julia Häuser sprach die gegenwärtigen Probleme der Wirtschaft an: ein sinkender Geschäftsklimaindex, steigende Insolvenzzahlen, Arbeitskräftemangel bei gleichzeitig steigender Arbeitslosenquote, hohe Energie- und Rohstoffkosten, starke Steuer- und Abgabenbelastung, Abwanderung von Betriebsstätten ins Ausland und eine hohe Steuer- und Sozialabgabenlast für die Mitarbeiter. Derzeit gleiche die Wirtschaft dem gefesselten Riesen Gulliver aus Jonathan Swifts Erzählung Gullivers Reisen. Häuser rief die Politik dazu auf, die einzelnen Bindfäden zu durchtrennen, „sodass der Riese wieder erfolgreich agieren kann“.
„Wir sind keine Formularausfüller“
Dies gelte vor allem für die Bürokratie. „Wir wollen Unternehmer sein, keine Dokumentierer und Formularausfüller“, sagte die IHK-Präsidentin. Dass Manfred Pentz in Wiesbaden Deutschlands erster Minister für Entbürokratisierung sei, stimme hoffnungsvoll. Julia Häuser begrüßte auch das Ziel der Landesregierung, ein Gesamtmobilitätskonzept zu erstellen. In Limburg sieht sie bei diesem Thema Handlungsbedarf an mehreren Stellen: Der Zustand an der Schiede-Kreuzung sei desolat, die seit Jahrzehnten diskutierte Südumgehung habe es nicht einmal in den vordringlichen Bedarf der Bundesverkehrswegeplanung geschafft, und die Lichfieldbrücke müsse absehbar neu gebaut werden. „Wie der Verkehr dann in und um Limburg geleitet werden kann, erscheint völlig fragwürdig.“ Häuser sprach sich für Investitionen in die Berufsorientierung aus. Denn derzeit würden in Deutschland bis zu 30 Prozent der Ausbildungsverträge wieder aufgelöst, ähnlich sehe es an den Universitäten aus.
Box: Vier Lehrer erhalten den IHK-Bildungspreis 2024
Der Bildungspreis 2024 der IHK Limburg ist erstmalig an Lehrerinnen und Lehrer im Kreis Limburg-Weilburg verliehen worden. Dazu wurden 2100 Auszubildende im Kreis zu ihrer Einschätzung befragt. Die Auswahl traf schließlich eine hochkarätig besetzte Jury. Vergeben wurden vier erste Preise, und zwar an Niklas Doll von der Peter-Paul-Cahensly Schule Limburg, Fabian Eigenbrodt von der Johann-Christian-Senckenberg-Schule Runkel/Villmar, Doreen Große Riedel von der Wilhelm-Knapp-Schule Weilburg und an Nadja Manns von der Freiherr-vom-Stein-Schule Dauborn. Alle vier haben nach Einschätzung der befragten Schüler besonders gut auf dem Weg zur dualen Ausbildung unterstützt und motiviert. Geehrt hat die IHK außerdem Jan Meikies, Produktionsfachkraft Chemie bei der Weilburger Coatings, der bereits als Bundesbester ausgezeichnet worden ist, ebenso den Maurer Oliver Heistrüvers von Beese & Bausch Massivhaus.