Aktuell werden wieder viele Grundstücke in der Region von den Allesfressern heimgesucht - Keine Generallösung in Sicht
Probleme mit Wildschweinen: Ohne Einzäunung geht es nicht
Wildschwein-Alarm in der Hamburger Innenstadt
Eine Wildschweinrotte läuft über die Straße in einem Wohngebiet. In Lahnstein sorgt der tierische Besuch für viel Ärger. Foto: Steffen Rasche/dpa
Steffen Rasche. picture alliance / dpa

Lahnstein. „Die Wildschweine sind los – und zwar nicht am Waldrand, sondern im Wohngebiet, in zentraler Lage.“ Der Lahnsteiner Hans-Peter Müller hat sich in seiner Not an unsere Zeitung gewandt. Das Schwarzwild aus dem nahe gelegenen Wald macht immer wieder Ärger. Und nicht nur ihm. Viel wahldnahe Wohngebiete am Rande der Städte und Gemeinenden haben diese Probleme.

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„Die Situation eskaliert in diesem Jahr“, sagt Müller, der in einer Höhenlage von Niederlahnstein wohnt. „Ich sehe eine Gefahr insbesondere für Haustiere und Kinder.“ Nach seinen Angaben wurden in den vergangenen Tagen und Wochen mehrfach Bepflanzungen in Vorgärten in den frühen Morgenstunden umgegraben, „die Wildschweine sind nur schwer zu vertreiben“. Der wirtschaftliche Schaden sei extrem ärgerlich, außerdem weist der Anwohner der Taubhausstraße auf ein „erhebliches Unfallrisiko durch die unmittelbare Nähe zur B 42“ hin.

Schäden nehmen zu

Unsere Zeitung hat beim zuständigen Forstamt nachgehört. Tatsächlich berichtet dessen Leiter Andreas Nick von zunehmenden Problemen rund um die ungebetenen Gäste in Randgebieten von Lahnstein. „Die Schäden durch Schwarzwild in den unmittelbar angrenzenden Wohngebieten sind nicht neu. Aufgrund der wechselnden Aktivitäten und der Mobilität der Wildschweine kommt es zu ruhigen Phasen ohne nennenswerte Schäden. In gewissen Abständen – und immer dann, wenn sich eine oder mehrere Rotten wieder in bebauungsnahen Gebieten aufhalten – nehmen die Schäden zu.“

Laut Nick sind dann häufig gleich mehrere Grundstücke betroffen, die nachts von den Allesfressern heimgesucht werden. Der Forstamtsleiter ordnet das Phänomen der höheren Präsenz in bebauungsnahen Gebieten ökologisch ein: „Diese ist Ausdruck der in den letzten zehn Jahren stark angestiegenen Wildschweinpopulationen in ganz Mitteleuropa.

Die Ursache liegt hier in den milden Wintern ohne längere Frostperioden und Schneelagen, was die Lebensbedingungen der Wildschweine in erheblichem Maße verbessert.“ Die witterungsbedingte Mortalität der Nachkömmlinge (Frischlinge) gehe quasi gegen Null. „Natürliche Gegenspieler gibt es bekanntlich nicht.“ Der Einfluss von vereinzelt im Land durchziehenden Wölfen sei zu vernachlässigen.

Bereits mit zwei geschlechtsreif

Die Frischlinge (im Durchschnitt vier bis fünf pro Wurf) überleben somit nahezu alle und werden bereits im zweiten Lebensjahr geschlechtsreif, was zu einem exponentiellen Anstieg der Fortpflanzungsrate führt. „Parallel dazu beobachten wir nahezu optimale Ernährungsbedingungen für die Wildschweine.“

Dies hat laut Nick mit der immer häufigeren Fruktifikation (also Bildung von Samen und Früchten) der heimischen Laubbäume Buche und Eiche zu tun: „Die sogenannten Mastjahre, die zu einem tonnenweisen Angebot an Eicheln und Bucheckern in unseren Wäldern führen, finden in immer kürzeren Abständen statt“, erklärt der Fachmann. Waldnahe Wohngebiete seien für nächtliche „Besuche“ der Wildscheine ebenfalls sehr attraktiv, weil sie ein attraktives Nahrungsangebot aufweisen, sei es durch Komposthaufen oder Rasenflächen, unter denen Würmer und Insekten ausgegraben werden. Nach Angaben Nicks hat es in den vergangenen Wochen einige Hinweise von Anwohnern über Wildschweinbesuche gegeben – auch im Niederlahnsteiner „Lag“.

Die Jagd ruht in Wohngebieten

Doch was unternehmen Stadt und Forstamt dagegen? Andreas Nick verweist auf Unterschiede im Jagdrecht: Im Gegensatz zu den Wald-, Wiesen- und Feldflächen im Offenland handele es sich bei bebautem Bereich um sogenannte befriedete Bezirke. „Hier ruht die Jagd, und es gibt somit kein Jagdausübungsrecht.“ Der Gesetzgeber habe der Sicherheit dieses Raumes höchste Priorität eingeräumt. Insoweit seien Grenzen bei der Festlegung von Maßnahmen gesetzt, „an denen sich alle Verwaltungen und Behörden orientieren müssen“.

Die Schussabgabe in kurzer Entfernung zu Häusern sei extrem gefährlich, dem Schützen komme eine extrem hohe Verantwortung zu, die nur er tragen kann. Das Gut der Unversehrtheit stehe daher über etwaigen Schäden an Wiesen oder Beeten. „Aus Sicht der Jagd sind die Möglichkeiten also begrenzt.“

Jäger tun viel

Gleichzeitig müsse man festhalten, erklärt der Forstamtschef weiter, dass sich die Jägerschaft seit vielen Jahren aktiv der Problematik annehme. „So bewegen sich die Abschusszahlen seit vielen Jahren auf einem hohen Niveau.“ Daneben seien die Jagdzeiten geändert worden. „Schonzeiten wurden aufgehoben, es wird nunmehr unter Beachtung der tierschutzrechtlichen Vorgaben ganzjährig auf Schwarzwild gejagt.“ Des Weiteren werde die Situation des Schwarzwildes im Rahmen regelmäßig stattfindender runder Tische mit Vertretern der Jagdbehörden, der Jägerschaft, der Forst- und Landwirtschaft sowie der Veterinärbehörden auf Ebene der Landkreise analysiert.

Handlungsprogramm verabschiedet

In einem gemeinsam verfassten „Handlungsprogramm Schwarzwild“ haben Fachbehörden, Vertreter der Landwirtschaft und Jagdverbände vor einigen Jahren Empfehlungen an die beteiligten Akteure zur Reduktion der Schwarzwildbestände gegeben. Nick: „Die Aktivitäten zur Eindämmung des Problems sind sehr mannigfaltig. Dennoch ist festzustellen, dass es weiterhin zu Schäden im Siedlungsbereich kommt. Selbst wenn es gelingen sollte, die Abschusszahlen noch weiter zu steigern, werden Schäden an nicht oder nur unzureichend gezäunten Flächen nicht vermeidbar sein.“ Die Suche nach einem Hauptverantwortlichen, der das Problem zu lösen und abzustellen hat, greife zu kurz und verkenne die Komplexität der Thematik, betont Andreas Nick.

Die Wildschweine haben im Garten ihre Spuren hinterlassen. Foto: Müller
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Einen Teil der Lösung sieht er auch in Beiträgen der Bürger. „Ohne wirksame eigene Vorkehrungen der Anwohnerinnen und Anwohner wird es nicht gehen. Wer sicher sein möchte, dass die Schwarzkittel nicht als ungebetene nächtliche Gäste im Hausgarten zu Schaden gehen, wird dies nur durch wirksame Einzäunungen gewährleisten können.“

Besucher wurden gefilmt

Hans-Peter Müller hat derweil in der vergangenen Nacht schon wieder unliebsamen Besuch auf seinem Grundstück bekommen. Dank installierter Nachtsichtkamera hat er diese Besucher sogar filmen können. Auch an den Jagdpächter hat er sich in seiner Not gewandt – und die nach Nicks Ausführungen erwartbare Antworten bekommen. „Dieser kann nicht helfen, da in dem Wohngebiet ein Schießverbot besteht.“ Fortsetzung garantiert.

Von Tobias Lui

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