Die Diskussion darüber hat in den Kreisgremien begonnen, zumindest bezüglich offensichtlich schlecht genutzter Linien sind auf Anfrage unserer Zeitung bereits durchaus klare Meinungsäußerungen zu vernehmen.
Zunächst mal gefragt: Was kostet den Kreis sein Engagement für den ÖPNV im Jahr? Kam man im Jahr 2020 für die Linienbündel noch auf Kosten von rund 4 Millionen Euro, so sind es laut Verwaltung in diesem Jahr zum jetzigen Stand bereits rund 12,7 Millionen Euro. Bei einem nicht ausgeglichenen Haushalt werden dann für 2024 etwa 11,9 Millionen veranschlagt.
In diesen Summen, so die Pressestelle, sind keine Kosten wie die Verbandsumlage für den Verkehrsverbund Rhein-Mosel (VRM) oder die Personal- und Sachkosten enthalten. In der Summe liegen also Sprecher von Kreistagsfraktionen vermutlich nicht falsch, wenn sie von rund 17 Millionen Euro für den ÖPNV ausgehen. Die auffällige Kostensteigerung in nur vier Jahren ist laut Kreis unter anderem auf den Neustart der Linienbündel Lahnstein im Jahr 2020 und Aartal 2021 zurückzuführen.
Mobilität im ländlichen Raum
Einig sind sich die Kommunalpolitiker, die auf unsere Anfrage geantwortet haben, darin, dass man den Bürgerinnen und Bürgern einen attraktiven ÖPNV bieten möchte. Dies kann einerseits zum Klimaschutz beitragen, hilft aber auch einer zunehmend älteren Bevölkerung, mobil zu bleiben, sowie Pendlern und jungen Familien, deren Heranwachsende den Busverkehr nutzen. Letztlich ist ein funktionierender ÖPNV also immer auch ein Argument dafür, im ländlichen Raum zu bleiben oder sich hier anzusiedeln.
Problematisch für die Kommunalpolitik ist, dass Zukunftsentscheidungen in puncto ÖPNV bis dato offenbar ohne verlässliches Basiswissen getroffen werden. Welche Linien gut angenommen werden und welche nicht, darüber konnte auch in den jüngsten Gremiensitzungen nur spekuliert werden. Insofern sind sich alle auch in der Forderung einig, dass der VRM als Organisator des ÖPNV endlich verlässliche Fahrgast- und Nutzungszahlen für die einzelnen Linien liefern muss. Und noch einem Kritikpunkt muss sich der VRM stellen: Bei der Werbung für das Angebot hapert es gewaltig.
Wenn nun aber die vom VRM versprochenen Zahlen vorliegen und sich herausstellen sollte, dass es Buslinien gibt, die tatsächlich nicht angenommen werden, was würden die Fraktionen in diesem Fall vorschlagen? Die Antworten darauf lassen durchaus auf verschiedene Standpunkte schließen. Für die SPD erklärt deren Fraktionsvorsitzender Carsten Göller, die Frage könne erst beantwortet werden, wenn der VRM die Fahrgastzahlen vorlegt. Mehr Werbung und eine attraktive Tarifstruktur für den ländlichen Raum, so CDU-Fraktionschef Jens Güllering, sei eine Alternative. Die andere lautet: Nicht genutzte Linien einstellen beziehungsweise auf den Schülerverkehr reduzieren oder zumindest auf Anruflinien umstellen.
Steht der ÖPNV im Rhein-Lahn-Kreis am Scheideweg? Angesichts hoher Kosten und zugleich der Überlegung, zum Beispiel sogenannte On-Demand-Angebote, also flexible Mobilität auf Nachfrage, zu machen, müssen die Fraktionen im Kreistag konkretere Informationen zur ÖPNV-Nutzung an die Hand bekommen und ...Fragen an die Kommunalpolitik: Wohin steuert der ÖPNV im Rhein-Lahn-Kreis?
Sollte sich herausstellen, dass Linien wirklich unwirtschaftlich betrieben werden, so Bernd Hartmann von der FWG, dann „müssen wir diese Linien zurücknehmen“. Ähnlich reagiert auch Ralph Schleimer von der FDP: Leere Busse fahren zu lassen, sei wirtschaftlich ineffizient und belaste die Umwelt nur unnötig mit CO2.
Dagegen halten Jutta Niel und Carsten Jansing von den Grünen, dass der ÖPNV im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit kommunale Pflichtaufgabe sei. Nach Ansicht der Grünen könne nur eine finanzielle Beschränkung des Rhein-Lahn-Kreises zu einer Einschränkung des ÖPNV-Angebotes führen, ansonsten habe der Kreis die Aufgabe, das ÖPNV-Angebot als Ganzes stetig auszubauen. Dabei könne man nicht allein auf einzelne Zeiten oder Linien gucken, sondern müsse ein flächendeckend attraktives ÖPNV-Angebot schaffen.
Ob Alternativen zum gewöhnlichen Omnibus dazu beitragen können, war die Frage einer Mobilitätsanalyse, die der Kreis in Auftrag gegeben hatte (wir berichteten). Dabei stehen mögliche Potenziale für flexible Lösungen wie sogenannte On-Demand-Verkehre im Mittelpunkt. Das sind Fahrservices, die ihre Fahrgäste nach Aufforderung individuell von einem Standort zum gewünschten Ziel befördern. Dies können Angebote wie Mietwagenverkehre, Carsharing oder auch Rufbusse sein.
Angebot nimmt am Abend ab
Das Ergebnis: Das ÖPNV-Angebot im Kreis ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Viele Verbindungen bedienen werktags vor allem den Pendlerverkehr morgens und abends. Am Wochenende und in den Tagesrandzeiten nimmt das Angebot deutlich ab. Die Analyse identifiziert in der Folge diverse Potenzialgebiete für On-Demand-Verkehre, die sich für den Einsatz eines zusätzlichen Angebots eignen. In diesen Gebieten könnte eine Ausweitung oder Einführung von On-Demand-Verkehren zu einer deutlichen Verbesserung des ÖPNV-Angebotes beitragen.
Erfahrungen mit solchen Alternativen hat auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) gemacht. Auf dem Infoportal www.mobil.nrw im Internet heißt es: „On-Demand-Verkehre sind eine sinnvolle Ergänzung des ÖPNV – und zwar insbesondere in ländlichen Regionen, in den Abend- und Nachtstunden im urbanen Raum sowie für kommunenübergreifende Verbindungen.“ Ein großer Vorteil gegenüber herkömmlichen flexiblen Bedienungsformen, wie zum Beispiel Anrufsammeltaxi oder Taxibus, sei bei den On-Demand-Angeboten der hohe Grad der Digitalisierung. Durch die universelle Verfügbarkeit von Smartphones werde die Kommunikation mit dem On-Demand-Anbieter erleichtert. Auch junge Menschen werden dadurch angesprochen.
Nachteilig sind nach NRW-Erfahrungen „die Implementierungskosten, die für Hintergrundsystem, Fahrgast-App und Fahrer-App zunächst investiert werden müssen. Auch entstehen im Gegensatz zum Anrufsammeltaxi oder Taxibusverkehren, die in der Regel Fahrzeuge des Taxen- und Mietwagengewerbes nutzen, Kosten für die Anschaffung von eigenen Fahrzeugen für den On-Demand-Verkehr.
Durch den im Vergleich zum Taxitarif geringeren Fahrpreis müssen die Einnahmen (...) mit möglichst hoher Auslastung der Fahrzeuge erzielt werden. Wesentlich hierfür sind ein gutes Marketing und ein einfacher Zugang zum Angebot.“ Zusammengefasst heißt es auf dem Infoportal: Meist seien nur große Verkehrsunternehmen in der Lage, digitale On-Demand-Verkehre anzubieten. Für den ländlichen Raum biete die Landesförderung eine Möglichkeit zur Implementierung neuer Angebote. Die in NRW laufenden On-Demand-Angebote seien befristet gestartet.
Die Pilotprojekte wurden oder werden durch Fördergelder unterstützt. Probleme gebe es beim Übergang von der Pilotprojektphase in den Regelbetrieb, was die dauerhafte Finanzierungsgrundlage anbelangte. Weiter heißt es: „Erschwerend kommt die aktuelle Kostensituation bei Personal, Energie, Kraftstoffen und Material hinzu.“ Und: „Bei der Finanzierung ist zu berücksichtigen, dass bedarfsgesteuerte Angebote im Vergleich zu Linienangeboten mit Stadt- oder Regionalbussen deutlich höhere Kosten pro Platz-Kilometer aufweisen.
Das liegt im Wesentlichen an den kleineren Fahrzeugen mit meist sechs Sitzplätzen. Die Stückkosten (Euro pro Platz-Kilometer) betragen im Linienbedarfsverkehr etwa das sieben- bis zehnfache gegenüber dem Stadt- und Regionalbusverkehr. Die Erlöse sind jedoch nur geringfügig höher als im Linienbusverkehr.“