Strafrichterin Schröder verurteilte den hochbetagten Angeklagten aus Erbach im Odenwaldkreis wegen Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 30 Euro. Außerdem wird dem Mann der Führerschein entzogen. Frühestens in sechs Monaten darf er bei der Fahrerlaubnisbehörde erneut einen Führerschein beantragen; die Behörde würde dann aber ein Eignungsgutachten einholen, sagte Richterin Schröder. Sie bezweifelte, dass der Angeklagte jemals wieder am Steuer eines Autos sitzen wird.
Am Nachmittag des 26. Februar war der damals noch 89-Jährige mit seinem Pkw der Marke Hyundai in Höhe Bad Camberg auf der Mittelspur der A3 in Richtung Frankfurt unterwegs und wollte einen rechts fahrenden Sattelschlepper überholen. Während des Überholvorgangs lenkte er sein Auto auf die linke Fahrspur und übersah dabei einen herannahenden weißen Mercedes. Beide Fahrzeuge stießen gegeneinander. Während der Mercedes gegen die Mittelleitplanke fuhr, krachte der Hyundai gegen das Heck des Sattelschleppers. „Ich dachte, dass mir ein Reifen geplatzt ist“, schilderte der 48-jährige Lkw-Fahrer, der vor Gericht als Zeuge befragt wurde, die Situation.
„Im Rückspiegel habe ich nur noch Staub und herumfliegende Autoteile gesehen.“ Die Autobahnpolizei sperrte die Autobahn während der anderthalbstündigen Unfallaufnahme in Fahrtrichtung Frankfurt vollständig. Der Hyundai des Unfallverursachers hatte einen Totalschaden und musste abgeschleppt werden. Verletzt wurde niemand; der Sachschaden wurde von der Polizei auf rund 18.000 Euro geschätzt.
Vor Gericht bestritt der Angeklagte den Unfallhergang, wie ihn die Polizei aufgrund der Unfallspuren rekonstruiert hatte. Nicht er sei auf die linke Fahrspur geraten, sondern der weiße Mercedes sei zu weit auf die Mittelspur gefahren und dort mit ihm kollidiert, erklärte er. Kurz nach dem Unfall hatte er noch erklärt, dass er im linken Rückspiegel ein herannahendes weißes Auto gesehen, dessen Entfernung aber offenbar falsch eingeschätzt hatte. Die Folge: Er scherte nach links aus, weil er glaubte, dass noch genügend Abstand zu dem Mercedes war.
Bei der Unfallaufnahme kamen die beiden zuständigen Polizeibeamten zu der Einschätzung, dass der alte Mann sich gar nicht hätte ans Steuer setzen dürfen. „Er machte einen geistig verwirrten Eindruck“, sagte die als Zeugin befragte Polizeibeamtin (27). „Er wirkte gebrechlich und körperlich hilflos.“ Ihr Kollege (28) bestätigte den Eindruck: „Er war äußerst wackelig auf den Beinen, hielt sich an einem Zaun und an seinem Fahrzeug fest, auf Fragen reagierte er nur sehr langsam.“ Es habe rund eine Viertelstunde gedauert, bis der Angeklagte seinen Führerschein aus dem Portemonnaie geholt habe. Diesen stellte die Polizei dann auch sogleich sicher und verbot dem Unfallfahrer die Weiterfahrt.
„Ich bin nicht geistig gestört“, verteidigte sich der 90-Jährige. „Ich habe in meinem Leben noch keinen Unfall gebaut.“ Seine Gebrechlichkeit erklärte er mit einer Hüftarthrose, die ihm das Gehen schwer mache. Der Unfall hatte für den Senior neben dem Führerscheinverlust noch weitere unangenehme Folgen: Er musste wenig später seine Trockenbaufirma auflösen und ist nun auf seine schmale Rente angewiesen, die es ihm unmöglich mache, seine nierenkranke Frau weiter finanziell zu unterstützen. Rechnungen im Wert von 20.000 Euro habe er seit dem Unfall nicht zahlen können.
Verteidiger Roland Grimm sah weder eine geistige noch eine körperliche Beeinträchtigung, die seinen Mandanten zum Führen eines Fahrzeugs ungeeignet mache. Sogar Querschnittsgelähmte dürften Auto fahren, sagte der Jurist. Der Angeklagte habe sich allenfalls einer Ordnungswidrigkeit schuldig gemacht, weil er einen „Fehler“ beim Wechsel des Fahrstreifens gemacht habe. Eine strafbare Handlung sei nicht zu erkennen, daher plädierte der Verteidiger auf Freispruch.
Die Anklagevertreterin hingegen wies auf erhebliche Ausfallerscheinungen des Angeklagten hin. Er sei ungeeignet zum Führen eines Fahrzeugs und beantragte neben 2000 Euro Geldstrafe ein weiteres Jahr Führerscheinsperre. Richterin Schröder blieb in ihrem Urteil etwas unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Sie wies in ihrer Begründung auf die Beobachtungen der Polizeibeamten hin, aber auch auf die widersprüchlichen Angaben des Angeklagten kurz nach dem Unfall und während der Gerichtsverhandlung. Die Hüftarthrose sei gar nicht entscheidend, sagte Schröder. Ursache des Unfalls sei ein Altersgebrechen, das Reaktionsgeschwindigkeit und Wahrnehmungsfähigkeit des Angeklagten stark einschränke. Gegen das Urteil kann der Angeklagte Berufung oder Revision beantragen.