Das Quatuor Ébène schöpfte im Schloss Oranienstein aus dem Vollen
Musikalische Urgewalt von Haydn bis Britten
Gaben ein virtuoses Konzert vor der geschichtsträchtigen Kulisse von Schloss Oranienstein (von links): Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure, Marie Chilemme, Yuya Okamoto vom Quatuor Ébène. Foto: Anneke Jung
Anneke Jung

Salopp ausgedrückt hatte man am Ende dieses unglaublichen Konzerts das Gefühl „Wow“. Das Quatuor Ébène lieferte fulminante Musik, die mit Klangwucht, ausschweifender Dynamik und leidenschaftlichem Musizieren über die Zuhörer hinwegbrauste. Pierre Colombet und Gabriel Le Magadure (Violinen), Marie Chilemme (Viola) und seit Frühjahr 2024 Yuya Okamoto (Violoncello) sind das Quatuor Ébène. Es besteht bereits seit 1999 und ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden. Was das Quartett an diesem Abend auszeichnete, waren neben den herausragenden „handwerklichen“ Qualitäten eine unbändige Musizierlust und frische, fesselnde Interpretationen, die Extreme in klanglicher, dynamischer und emotionaler Ebene ausloteten.

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Das bot neue Hörerlebnisse bei bekannten Quartettkompositionen wie dem „Sonnenaufgang“-Quartett B-Dur, Opus 76, Nummer vier von Joseph Haydn. Intensiv arbeiteten die Ensemblemitglieder die starken Kontraste zwischen der klanglich-dynamisch ruhigen Geste, die dem Werk den Namen gegeben hat und immer wieder auftaucht, und den wild wirbelnden, manchmal ruppigen, manchmal heiter-verspielten Passagen heraus. Trotz kraftvoller Klangentfaltung blieb die Musik immer transparent, und es waren ganz neue Zusammenhänge herauszuhören. Mit großer Ruhe und glasklarer Harmonik erklang der zweite Satz. Dem tänzerischen Menuett folgte ein folkloristisch wirkendes Trio. Im letzten Satz gaben die vier nach einem beschwingten Rondo in der Presto-Stretta richtig Gas und sausten mit Karacho zum Schluss.

Spielfreude und musikalischer Humor ließen sich im zweiten Programmpunkt erkennen. Bei den drei kompakten Divertimenti „Marsch“, „Walzer“ und „Burleske“ spielt der Komponist Benjamin Britten mit den typischen rhythmischen Merkmalen im Marsch und Walzer ebenso wie mit den Klangmöglichkeiten der Streichinstrumente. Da wird mal gestrichen, mal gezupft, es gibt gläserne Flageolettklänge, witzige Glissandi und lebendige Rhythmik. Die Charakteristik der kurzen Stücke schwankte zwischen ernsthaft und ironisierend, neckisch und boshaft. Temperamentvoll tobten sich alle Beteiligten dabei aus und entließen die Hörer gut gelaunt in die Pause.

Mit dem Streichquartett Nummer 13, B-Dur, Opus 130, mit „Großer Fuge“, Opus 133, von Ludwig van Beethoven hatte sich das Quatuor Ébène ein echten Brocken vorgenommen. Schon die ungewöhnliche sechsteilige Anlage deutete darauf hin. Die Fuge hatte Beethoven ursprünglich als letzten Satz des Werks konzipiert, später aber ausgeklammert und einen „normalen“ Schlusssatz angefügt. Selten erklingt das Werk in der Ursprungsfassung. Zum einen erfordert die 15-minütige Fuge einen immensen Kraftakt, und zum anderen hat man irgendwie das Gefühl, sie hat überhaupt nichts mit dem Rest des Werkes zu tun. Nicht umsonst hat Beethoven sie in seinem Manuskript mit der Anmerkung „ebenso frei wie kunstvoll“ versehen. Ihre komplexe Struktur auf Anhieb durchzuhören, ist kaum möglich. Die übrigen fünf Sätze entsprechen zwar auch nicht dem typischen Ablauf, sind aber doch leichter zu verstehen und durchaus gefällig. Wunderschön erklangen die beiden langsamen Sätze, leichtfüßig die zwei Tänze und fast romantisch der breite erste Satz.

Die Fuge am Schluss dürfte für die Musiker ein wahrer Höllenritt gewesen sein, den sie aber mit größter Selbstverständlichkeit, Aufmerksamkeit, Perfektion und Leidenschaft absolvierten. Und auch den Hörern forderte sie einiges an Konzentration ab. Für die überragende Leistung wurde das Quartett am Ende mit frenetischem Beifall und begeisterten Bravorufen gefeiert.

Von Anneke Jung

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