Die erste Hälfte des Abends gehörte dem Stück „Auf hoher See“, einer bitter-ernsten Farce über die Abgründe menschlichen Zusammenlebens. Die Ausgangssituation ist so simpel wie radikal: Drei Schiffbrüchige befinden sich auf einem Floß, irgendwo auf offener See. Die Lebensmittelvorräte sind erschöpft, und um zu überleben, bleibt nur eine Möglichkeit – eine der Personen muss geopfert und gegessen werden. In einer ausweglosen Lage sind sie gezwungen über Leben und Tod zu entscheiden. Doch wer soll es sein?
Was folgt, ist ein tragikomisches Ringen um das eigene Überleben, das über geschickte Argumentationen, Wahlkämpfe und moralische Appelle geführt wird. Dabei wird jedes Register der menschlichen Rhetorik gezogen, von der Anrufung der Menschlichkeit bis zur Berufung auf kameradschaftliche Solidarität. Mrozeks „Auf hoher See“ zeigt in überspitzter Weise, wie sich in Extremsituationen moralische Prinzipien und soziale Werte verbiegen lassen. Es ist eine Geschichte über Macht, Manipulation und die Komplexität der menschlichen Natur – auf höchst vergnügliche, aber auch beunruhigende Weise dargestellt.
Die Groteske der Teilung
Nach der Pause verwandelte sich die Bühne zum „Haus auf der Grenze“. Eine scheinbar alltägliche Familienszene am Abendbrottisch wird jäh unterbrochen, als zwei Diplomaten auftauchen und mitten durch das Haus eine Grenze ziehen – nicht nur durch Deutschland, sondern auch mitten durchs Wohnzimmer. Plötzlich leben die Familienmitglieder in einer West- und einer Osthälfte. Was passiert, wenn mitten durch deinen eigenen Haushalt eine staatliche Grenze gezogen wird? Kann die Familie den Grenzkontrollen entfliehen? Und wohin? Muss ich meinen Pass zeigen, wenn ich auf die Toilette gehen will?
In Mrozeks Darstellung werden die albtraumhaften Auswüchse der Bürokratie und die Absurdität politischer Grenzen auf die Spitze getrieben. Die Familie wird zu einem Sinnbild für die Willkür von Trennungen, die persönliche Schicksale zerschneiden und die Komik des Alltags in einen beklemmenden Rahmen stellen. Der Mast des Floßes aus dem ersten Stück wurde dabei vom Ensemble clever als Bühnenbild weiterverwendet und verwandelte sich im zweiten Stück in einen Schlagbaum, der die beiden Hälften des Hauses trennt.
Große Leistungen in der Welt des Absurden
Die Darsteller des Diezer SO-Theaters, darunter Mareike Teichler-Hoffmann, Wolfgang Kollmann, Maren Lotz, Edith Possekel, Martin Künzel und Astrid Schäfer-Eribo, glänzten durch ihre lebendige Interpretation der komplexen Rollen. Besonders hervorzuheben ist die Fähigkeit des Ensembles, sowohl die komischen als auch die tragischen Elemente der Stücke meisterhaft zu verkörpern. Regisseur Michael Türk führte das Ensemble gekonnt durch die Absurditäten der Stücke, während Arnheid Kaiser als Regieassistentin unterstützte. Erzähler Volker Schwamborn sorgte mit seinen Überleitungen für eine klare Struktur und trug zur Verstärkung der absurden Atmosphäre bei.
Die technische Umsetzung, gesteuert von Christian Hoffmann und Gerd Beule, rundete die Inszenierung ab. Die Umbauten in den Pausen, die unter anderem von David Beister und Alfred Meurer durchgeführt wurden, gestalteten die Szenenwechsel nahtlos.
Mit der Aufführung der beiden Mrozek-Stücke ist dem Diezer SO-Theater ein beeindruckender Premierenabend gelungen. Die Stücke, die dem absurden Theater zugeordnet werden, überzeugten nicht nur durch die zugespitzte Darstellung politischer und gesellschaftlicher Mechanismen, sondern auch durch ihre Fähigkeit, den Zuschauer zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen.
Ein Theaterabend, der beim Publikum nachwirkt
Mrozeks Werke sind nicht nur Theaterstücke, sondern bieten auch eine Reflexion über die Absurditäten unseres eigenen Lebens – mal mit einem Lachen, mal mit einem Kopfschütteln. Dem Ensemble gelang, das Publikum für einen Abend in die Welt des Absurden zu entführen, ohne dabei den Blick für die Realität zu verlieren. Ein Theaterabend, der nachwirkt und Lust auf mehr macht. Es sind fünf weitere Aufführungen geplant.