Im Herbst war es endlich so weit: Nach über drei Jahrzehnten literarischer Tätigkeit hielt Autor Michael Eisenkopf (66) sein erstes gedrucktes Buch, den Erzählband „Koblenz von Damals bis Morgen“, in der Hand – und das gleich auf der Frankfurter Buchmesse. Dort war er kurzfristig auf dem Landesstand Rheinland-Pfalz für ein Podiumsgespräch eingesprungen, nachdem die ursprünglich vorgesehene Autorin wegen eines Trauerfalls in der Familie absagen musste. Während des Weihnachtsgeschäfts verkaufte sich das Buch dann auch so gut, dass inzwischen eine zweite Auflage geplant ist.
Geboren und aufgewachsen in Gelsenkirchen erübrigt sich bei Michael Eisenkopf die Frage nach dem Lieblingsfußballverein. „Natürlich Schalke“ und danach an zweiter Stelle der FC St. Pauli. Lokal unterstützt er die TuS Koblenz. Nach Lahnstein gekommen ist er wegen seiner Frau, einer gebürtigen Koblenzerin, die aber in der Koblenzer Nachbarstadt aufgewachsen ist. Seit 35 Jahren lebt der gelernte Industriekaufmann nun dort. Inzwischen ist er im Ruhestand. Zuvor hatte er zuletzt 15 Jahre lang in der Verwaltung eines großen Kaufhauses gearbeitet. Wobei nicht nur Lahnsteiner gleich erahnen, dass es sich bei dem ehemaligen Arbeitgeber nur um den Globus-Markt handeln kann. Beim Podiumsgespräch auf der Frankfurter Buchmesse schilderte er nach der gut gelaunten Aufforderung seines Verlegers „Jetzt reden Sie mal“, wie es zu dem Buch gekommen war.
Heimisch werden durchs Schreiben
„Das Buch ist aus meiner Biografie entstanden“, erzählte er dem Publikum. Denn anfangs hatte er mit der neuen Umgebung gefremdelt. Also versuchte er, sich über das Schreiben die Region „heimisch zu machen“. „Das ist etwas, was man selbst tun muss.“ So suchte er markante Orte, aber auch Stellen, die kaum jemand kennt. Dazu hatte er sich durch die Bestände des Koblenzer Stadtarchivs „gewühlt“ und dort Dinge entdeckt, die auch den meisten Koblenzern unbekannt sind. „Es gab traurige Geschichten, die es wert sind, nicht vergessen, sondern erzählt zu werden.“ Eine dieser erzählenswerten Geschichten, die es ins Buch geschafft haben, las Michael Eisenkopf dann auch auf der Frankfurter Buchmesse vor. Dabei geht es um das sogenannte Glockenschiff.
„Wir hatten den gleichen Vornamen. Gleiche Generation, häufiger Name. Und wir kannten uns. Seit etwa zwanzig Jahren.“
2018 veröffentlichte Michael Eisenkopf einen Abschiedsbrief an Gerd Michael Straten, den er persönlich kannte und der auf dem Koblenzer Hauptfriedhof brutal ermordet worden war.
Das Schiff transportierte Kirchenglocken, die während des Zweiten Weltkrieges abmontiert und zum Einschmelzen für die Kriegsproduktion nach Hamburg gebracht wurden, wo sie auf einem Glockenfriedhof gelagert wurden. Nach Kriegsende ging es auf dem besagten Glockenschiff zurück nach Koblenz. „Hunderte Glocken, die wieder in die Kirchen gehängt wurden.“ Insgesamt 47 Geschichten enthält das Buch, und es geht los mit dem Zweiten Weltkrieg. „Eine Zeit, die ich selbst nicht erlebt habe, die trotzdem in meiner Kindheit noch sehr präsent war“, so der Autor. So finden sich die Nachwirkungen des Krieges auch in den ersten Geschichten des Buches, die bis in die 1960er-Jahre reichen. Es gibt aber nicht nur „traurige“ Geschichten. Denn vielmehr streut Eisenkopf, der auch Geschichte studiert hat, immer wieder gut recherchierte und humorvolle Begebenheiten mit ein, mit denen er den Bogen in die Gegenwart und sogar in die Zukunft spannt.
Ungeklärter Mord auf Hauptfriedhof
Für die Zuhörer war es auf der Frankfurter Buchmesse allerdings mitunter schwierig, sich auf das Podiumsgespräch zu konzentrieren, da am Besuchertag die Messehallen wieder gewohnt voll waren und von einem benachbarten Stand lautstark eine Lesung auf Englisch herübertönte. „Davon haben wir vorne gar nichts mitbekommen“, sagt Eisenkopf später, da er und sein Gesprächspartner schalldämpfend verkabelt waren. Nach der Frankfurter Buchmesse folgten bereits weitere Auftritte und Lesungen, oft auch mit seiner Autorengruppe, den Brückenschreibern Koblenz. „Die Wurzeln einiger Mitglieder liegen in Koblenz, alle wohnen mittlerweile in unmittelbarer Nähe der Stadt“, umreißt der Autor noch die Herkunft seiner Mitstreiter.

Es war dann auch ein Beitrag auf dem Internetportal der Gruppe, welcher 2018 in der Öffentlichkeit ein großes Echo hatte. Denn unter der Überschrift „Die Würde bleibt!“ schrieb Eisenkopf einen Abschiedsbrief an Gerd Michael Straten. „Wir hatten den gleichen Vornamen. Gleiche Generation, häufiger Name. Und wir kannten uns. Seit etwa zwanzig Jahren“, so die Ansprache an den obdachlosen Mann, der wenige Tage zuvor am 22. März auf dem Koblenzer Hauptfriedhof brutal ermordet wurde. Das Verbrechen konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Trotz seiner schwierigen Situation hatte Straten Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt. Viele kannten ihn, weil er in Cafés, Bibliotheken und im Biomarkt anzutreffen war. Dort lief er auch regelmäßig Michael Eisenkopf über den Weg: „Freitags kamen zur meist gleichen Zeit die meist gleichen Leute in den Bioladen, so, als seien sie verabredet“, so Eisenkopf. Für große Fassungslosigkeit sorgte die Brutalität des Verbrechens, denn Straten war enthauptet worden. „Aber Deine Würde hat dir in keiner noch so bestialischen Form des Verbrechens genommen werden können“, schrieb Eisenkopf über den Ermordeten. „Deine Würde ist dir geblieben.“
In Literaturzeitschriften und im Radio präsent
Warum hat es aber nun 30 Jahre bis zur ersten eigenen Buchveröffentlichung gedauert? „In Literaturzeitschriften, Anthologien und im Radio sind meine Geschichten ja schon erschienen“, so Eisenkopf. Für ein Buch wollte er dann aber den klassischen Weg über einen Verlag gehen, anstatt es zum Beispiel im Selbstverlag herauszubringen. Und das hat nun gleich mit einem Debüt auf der Frankfurter Buchmesse geklappt.