Digitalpakt Schule läuft 2025 aus - Wir haben mit Experten aus der Region gesprochen
Medienkompetenz noch stärker in den Fokus nehmen

Rhein-Lahn. Fünf Jahre lang wurden die deutschen Schulen mit rund 5 Milliarden Euro dabei unterstützt, digitale Inhalte im Unterricht zu vermitteln. Im Schnitt entfielen dabei 122.000 Euro auf jede Schule – auch auf Schulen im Rhein-Lahn-Kreis.

Lesezeit 5 Minuten

Die Verbandsgemeinde (VG) Diez hatte für alle vier Grundschulen in ihrer Trägerschaft Gelder aus dem Förderprogramm beantragt und bekam diese auch bewilligt. „Es wurden digitale Tafeln für alle Klassenräume angeschafft, außerdem mobile Endgeräte für den Unterricht. Hierbei hatte die Verwaltung alle vier Schulen hinsichtlich ihrer Bedarfe im Vorfeld einbezogen“, erklärt Oliver Schäffer, Pressesprecher der VG Diez. In der Diezer Pestalozzischule sei so die Grundlage für eine digitalisierte Lernlandschaft gelegt worden, hieß es vonseiten der Schulleitung: „Die Kinder lernen auf den iPads zu recherchieren sowie Grundzüge der Textverarbeitung und werden sicherer im Umgang mit dem Internet.“

Dietmar Weber ist Schulleiter der Berufsbildenden Schule Lahnstein, die sich in Trägerschaft des Rhein-Lahn-Kreises befindet und laut Webers Einschätzung sehr vom Digitalpakt Schule profitiere. „Insbesondere der WLAN-Zugang ist eine erhebliche Verbesserung. Schüler erhalten nun auch mit ihren eigenen Endgeräten einen Zugang zum Internet.“

Auch alle acht in Trägerschaft der VG Bad Ems-Nassau befindlichen Schulen wurden über den Digitalpakt Schule ausgestattet. „Die Förderung betrug etwa 590.000 Euro“, erklärt VG-Bürgermeister Uwe Bruchhäuser. „Es wurde Netzinfrastruktur aufgebaut und teilweise ergänzt oder erneuert. Weiterhin wurden Windows-Server und Backup-Systeme für alle Schulen beschafft. Zusätzlich wurden alle Klassen- und Fachräume sowie die Turnhallen mit WLAN-Hotspots ausgestattet. Die Schüler wurden mit iPads und Notebooks versorgt.“ Der Bürgermeister ist insgesamt zufrieden mit den Ergebnissen: Die Schüler könnten im Unterricht spezielle pädagogische Schulsoftware nutzen. Weiterhin seien Recherchen im Internet möglich. Auch hybrides Homeschooling werde in Einzelfällen ermöglicht. „Und natürlich kann der Lehrer den Unterricht interaktiver gestalten.“ Allerdings habe es vereinzelt Probleme beim Support gegeben. „Es mussten bei den Abnahmen einige technische Dinge nachgearbeitet werden.“

Dies berichtet auch ein Berufsschullehrer, der als abgeordnete Lehrkraft an der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ des Bundesbildungsministeriums mitwirkte: „Die Apple-Produkte fluten den Schulbereich. Die Verwaltung der Geräte ist aber nicht so leicht wie beworben. Mit Microsoft hatte man hier lange Erfahrung. Software kann oft nicht installiert werden, und der Aufwand der Kollegen, die sich damit beschäftigen, ist immens.“

„Man hört immer, die Jugendlichen seien den Älteren voraus, was die Digitalisierung angeht. Aber das stimmt nicht. Meine Schüler wissen, wie man sich Videos auf TikTok ansieht. Aber sobald ich am Tablet einen Splitscreen erzeuge, um zwei chemische Verbindungen im Vergleich zu zeigen, fragen die: ‚Wow, wie haben Sie denn das gemacht?‘“, erzählt ein Gymnasiallehrer für Deutsch und Chemie unserer Zeitung.

Mahnende Stimmen bezüglich mangelnder Medienkompetenz

Neben der Freude über neue Möglichkeiten interaktiven Lernens sind jedoch auch mahnende Stimmen bezüglich einer mangelnden Medienkompetenz zu vernehmen. Denn aufgrund zunehmender Desinformationskampagnen durch rechte Parteien und ausländische Geheimdienste befürchten Experten, dass die Medienkompetenz der Schüler hinter den Möglichkeiten der Digitalisierung zurückbleibt. Vor allem Jugendliche unter 25 Jahren gaben der AfD bei der Europa- und den Landtagswahlen in diesem Jahr ihre Stimme. Ruth Preywisch ist bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz verantwortlich für schulische Bildung. Sie sagt: „Wir merken, dass das Thema Medienkompetenz extrem von den Schulen nachgefragt wird. Auch bei uns, weil wir Workshops in dem Bereich anbieten. Die Lehrer können das nicht abdecken. Wir aber auch nicht, da es viel zu wenig Gelder dafür gibt. Wir würden uns daher wünschen, dass das Thema Medienbildung stärker in den Fokus der Bildungspolitik genommen wird.“

Sollte man in Rheinland-Pfalz angesichts der Herausforderungen durch neue Medien und Fake News also über die Einführung eines Unterrichtsfaches „Medienkompetenz“ nachdenken? Dem erteilt das Kultusministerium Rheinland-Pfalz auf Nachfrage eine klare Absage: „In Rheinland-Pfalz begreifen wir Medienkompetenz als eine Querschnittsaufgabe, das heißt: Ein verantwortungsvoller Umgang mit Medien muss in allen Unterrichtsfächern an konkreten Beispielen thematisiert werden“, so ein Ministeriumssprecher. Zudem werde in Rheinland-Pfalz der Vermittlung von Medienkompetenz genug Aufmerksamkeit gewidmet. So würden im Informatikunterricht die Chancen und Risiken bei der Nutzung von Informatiksystemen erläutert. Sowohl an Realschulen plus wie auch an Integrierten Gesamtschulen und Gymnasien würden Wechselwirkungen zwischen Informatiksystemen, Individuen und Gesellschaft betrachtet. „Parallel zu dieser Lehrplananbindung wird das Thema Medienbildung in einer Reihe von Projekten nähergebracht, wobei sowohl die Chancen als auch die Risiken in den Blick genommen werden“, heißt es von Ministeriumsseite.

Juliane von Reppert-Bismarck ist Geschäftsführerin von Lie Detectors. Ihre Firma führt Projekte an Schulen durch, bei denen Schüler lernen, Fake News von seriösen Nachrichten zu unterscheiden. Reppert-Bismarck findet, der Digitalpakt biete gute Möglichkeiten, Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz zu vermitteln. Diese Möglichkeiten müssten jedoch stärker genutzt werden, sagt sie im Interview mit unserer Zeitung: „Wir wissen durch unsere Befragungen, dass ein Großteil der Kinder bereits im Alter von zehn Jahren soziale Medien regelmäßig konsumiert. Viele von ihnen ohne Begleitung durch Erwachsene. Medienkompetenz muss daher gezielt gefördert werden. Kinder und Jugendliche müssen in die Lage versetzt werden, kritisch mit Informationen umzugehen, Falschmeldungen zu entlarven und sachliche Informationen zu erkennen. Die Nutzung digitaler Medien an Schulen bietet dafür ein enormes Potenzial. Schüler können zum Beispiel selbst Inhalte recherchieren und das, was sie finden, besprechen.“

Kompetenz fachübergreifend in den Unterricht einfließen lassen

Auch die Medienexpertin ist der Meinung, dass Medienkompetenz fachübergreifend gelehrt werden müsse: „Bei unseren Workshops für Lehrkräfte ermutigen wir diese, das Thema Medienkompetenz in den täglichen Unterricht einfließen zu lassen. Konkret können beispielsweise im Fach Geschichte historische Quellen kritisch analysiert oder in Biologie wissenschaftliche Studien auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft werden.“

Ein als „Digitalpaket Schule 2.0“ bezeichnetes Nachfolgeprogramm soll von 2025 bis 2030 kommen. „Wir brauchen die Fortsetzung, denn zusätzliche Mittel sind unerlässlich, um das erreichte Niveau bei der digitalen Infrastruktur zu bewahren und diese zukunftsfähig weiterzuentwickeln“, bilanzierte unlängst die rheinland-pfälzische Kultusministerin Stefanie Hubig. Eine Fortsetzung hält auch Schulleiter Dietmar Weber für unerlässlich. Was seiner Meinung nach jedoch erheblicher Verbesserung bedarf, sei die Geschwindigkeit. „Von der Ankündigung eines Digitalpaktes, bis das Geld konkret in Form von Dienstleistungen und Geräten hier angekommen ist, hat es mehr als zwei Jahre gedauert. Ein Bürokratieabbau wäre hier wünschenswert“, so der Schulleiter.

Auch Uwe Bruchhäuser wünscht sich für seine VG eine Verlängerung des Digitalpaktes: „Die Hardware, insbesondere die Endgeräte, kommen in die Jahre und müssen aufgrund von Verwaltung regelmäßig ausgetauscht werden. Schäden und Defekte einzelner Geräte kommen hinzu. Geht man von einer Nutzungsdauer von vier Jahren aus, stehen sehr bald hohe Investitionen für neue Hard- und Software im Raum. Von einer Vollausstattung sind wir weit entfernt. Dies kann auch finanziell von der Verbandsgemeinde nicht geleistet werden. Insoweit würden wir eine Fortführung des Digitalpaktes sehr begrüßen.“

Dem pflichtet Medienexpertin von Reppert-Bismarck bei, ergänzt jedoch: „Eine gute technische Ausstattung reicht aber nicht, denn trotz Digitalisierung sind Lehrkräfte oft unzureichend geschult. Wir setzen uns deshalb dafür ein, Medienkompetenz in die Lehrpläne und ins Lehramtsstudium zu integrieren.“

Top-News aus der Region