Von Michael Stoll
Endlich, möchte man ausrufen. Allerdings bezieht sich das neue Tourismuskonzept weitgehend auf organisatorische Fragen. Profunde Aussagen über künftige Strategien, Perspektiven für Gastronomie und Hoteliers, die Ausrichtung des Marketings und generell Ideen, wie man Gäste neu und länger ins Rheintal lockt, enthält die von der VG beauftragte und vom Büro entra in den vergangenen Monaten durchgeführte Studie nur in Ansätzen. Das war aber auch nicht dezidierter Auftrag des rund 32.000 teuren Konzepts. Allen Beteiligten sollte also klar sein: Die Arbeit fängt jetzt erst richtig an.
Dass nun Verwaltung und Rat mit sich und dem Konzept offenbar rundum zufrieden sind, ist angesichts des vorliegenden Ergebnisses eigentlich unverständlich, denn die Studie vermittelt letztlich nicht mehr als das Einmaleins von Organisationsstrukturen. Wenn nach Interviews, Gesprächen und Umfragen als Fazit steht, dass man auch am Rhein bündeln, vernetzen und koordinieren muss, so ist diese Erkenntnis wahrlich nicht neu.
Antworten auf drängende Fragen
Da hätte man rechts des Rheins eigentlich schon lange von selbst drauf kommen können. Das in einer Ratssitzung verkündete Aha-Erlebnis, nach 30 Jahren sei man endlich auf dem richtigen Weg, war insofern nicht als Witz gemeint. Und der erste Reflex, die Mehrkosten für eine die gesamte VG umfassende touristische Infrastruktur über die Belastung der gastronomischen Leistungsträger und/oder die Gäste wieder reinzuholen, spricht dafür, dass manch einer im VG-Rat noch immer nicht begriffen hat, was Sache ist. Tourismusförderung ist im Mittelrheintal Wirtschaftsförderung. Und ehe die Kuh gemolken wird, muss ja zunächst einmal die Wiese saftig grün sein, auf der sie weidet ...
Es reicht also nicht, allein die bestehenden Tourist-Informationen zu vernetzen und ihre Qualität zu verbessern sowie ein Service-Center aufzubauen und personell auszustatten. Aufgabe der Verwaltungsspitze und der Kommunalpolitik wird es vielmehr sein, sukzessive Antworten auf die drängendsten Fragen zu finden, die sich im Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr in der VG und im Rheintal generell stellen.
Es sind Fragen, die im Tourismus-Konzept nur angetippt werden: Welche Gäste, welche Zielgruppen sollen in Zukunft angesprochen werden, um den Rückgang an Besucher- und Übernachtungszahlen sowie das wegbrechende Segment der „Stammgäste“ zu kompensieren? Wie können mehr ausländische Touristen für die rechte Rheinseite interessiert werden, und wo kommen sie her? Was konkret erwarten diese Zielgruppen, welche Wünsche und Bedürfnisse haben sie? Offenbar weiß man das gesichert noch nicht einmal von Tagestouristen, ob es sich nun um die Wandergruppe, Familien oder die Biker handelt, die regelmäßig den Kauber Kiosk am Rheinufer zur Raststätte machen. Um das Angebot jedoch auf solche Menschen auszulegen, wird man gezielt und umfassend fragen müssen – was notwendig und nicht billig ist. Und dann sollten sich alle einig sein darin, dass eben diese Zielgruppen am ehesten den Erfolg und Wachstum bringen und man sich auf diese auch konzentriert.
Längst erkannt haben dürften die Touristiker, dass die vorhandenen Anziehungspunkte wie die Loreley, die Burgen mit Marksburg und Pfalzgrafenstein an der Spitze, das Welterbe und die Kulturlandschaft mit dem Thema Weinbau allein nicht ausreichen, um nachhaltige Erlebnisse für Gäste zu schaffen. Zumindest in puncto Loreley ist seit Jahrzehnten klar, dass hier umgedacht und eine neue Entwicklung angestoßen werden muss (siehe unten stehenden Artikel). Was die Burgen angeht, so ist spannend, was auf dieser Ebene an Angeboten und Service gerade im Entstehen ist. Neue Ideen wie etwa die von privater Seite inszenierte Gespensterführung rund um die Marksburg sind da jederzeit willkommen. Der Wein schließlich hat Weltruf und ist als regionales Produkt wichtiger Teil der Strategie, um Gäste anzulocken. Wie aber lässt sich der Weinbau noch weiter integrieren: von der Straußenwirtschaft über Kultur im Kelterhaus bis hin zu Workshops in Kellern und Wingerten? Interessante Ansätze dazu gibt es, ein übersichtliches und einheitliches Programm der VG jedoch nicht.
Erfolg mit gezielten Angeboten
Der Rheinsteig hat gezeigt, dass ein pointiertes und attraktives Angebot an eine bestimmte Zielgruppe Erfolg verspricht. Dieses Beispiel ist übertragbar. Der an Kultur interessierte Gast etwa will Rheinromantik erleben, aber reichen ihm die Burgen, der Blick von der Loreley ins Tal? Kunst und Literatur, gesellschaftliche Fragen kommen noch zu kurz. Hier Angebote zu schaffen, bestehende kulturelle Highlights wie die Veranstaltungen auf der Loreley, Rheinvokal, Mittelrhein Musik Festival oder Mittelrhein Momente in ein Gesamtkonzept zu integrieren und dazu regionale Besonderheiten etwa in alten Kirchen, in historischen Ortskernen oder in den Weinbergen zu gesellen, dies wird der Anspruch sein müssen.
Damit nicht genug der Fragen: Gibt es ökologisch Interessierte, die die Natur des Mittelrheintals erleben möchten? Was ist mit Wassersportlern? Lassen sich Hobbykünstler durch Workshops vor grandiosen Bildmotiven an den Rhein locken? Ist die Tradition der Schiffer und Lotsen ein Thema? Sind es die Geologie und der Bergbau? Und was wird den vielen jungen Menschen und Familien geboten, die heute schon die Jugendherberge in Kaub bevölkern?
Es wird also darum gehen, Angebote zu kreieren und diese dann auch gebündelt und übersichtlich zu bewerben. Wer hier vernetzen will, darf jedenfalls nicht nur an touristische und kulturelle Einrichtungen denken, er muss auch andere wie den Zweckverband Welterbe oder Landeseinrichtungen im Blick haben. Und es wird um die Qualität, um den Erlebniswert dieser Angebote gehen, der für den zahlenden Gast einen Mehrwert darstellen muss. Im Zuge dieser Überlegungen wird man sich in der Verbandsgemeinde auch darüber unterhalten, wie die Wintersaison und Schlechtwettertage für Gäste ausgefüllt werden können, denn die durchschnittliche Bettenauslastung liegt hier weit unter dem Landesdurchschnitt. Jedes gut besuchte Konzert auf der Loreley aber beweist, dass attraktive Events die Übernachtungszahlen in die Höhe treiben. Kleine und große Angebote dieser Art braucht die Verbandsgemeinde, am besten übers Jahr verteilt. Daraus touristische Pakete zu schnüren und diese gezielt und einheitlich anzubieten und zu bewerben, ist das eine. Zum anderen wollen Interessenten rund um die Uhr buchen können, was auch der Refinanzierung von Touristbüros dient.
Konkurrenz oder Kooperation?
Wie aber wird sich das neue Service-Center etwa bei der Zimmervermittlung im Verhältnis zur Romantischer Rhein Tourismus GmbH aufstellen? Konkurrenz oder Kooperation? Keine unwichtige Frage, denn es bringt nichts, wenn zwei Einrichtungen nebeneinander statt miteinander agieren. Hier jedenfalls hat auch das Touristikkonzept der VG noch reichlich Potenzial und damit Diskussion ausgemacht. Und neben der Frage nach einer Entwicklung auf dem Loreley-Plateau wird man sich in der VG auch mit der Pflege des Kulturerbes vor allem in den Orts- und Stadtkernen auseinandersetzen müssen. Was in Kaub auf gutem Wege zu sein scheint, steckt in St. Goarshausen – ausgerechnet dem Entré zur Loreley – noch in den Anfängen. Wohlgemerkt: Es geht nicht allein um die Gestaltung des Rheinufers, vielmehr darum, wie sich eine Stadt insgesamt, inklusive der privaten Anwesen, präsentiert. Ob hier auch in Zukunft Menschen leben können und möchten, wie historische Substanz erhalten und Überflüssiges rückgebaut werden soll. Keine leichte Aufgabe, aber ein weiterer Schlüssel zum (wirtschaftlichen) Erfolg.
Die Gastronomie und Hotellerie braucht solche Perspektiven, damit Nachfolgen geregelt und Investitionen angestoßen werden. Die IHK Koblenz räumt in ihrem jüngsten Positionspapier einen „weit verbreiteten Investitionsstau“ im Rhein-Lahn-Kreis ein. Selbst am Mittelrhein stehen etliche Hotels zum Verkauf. Neben der Qualität des Service und Angebots sind das Probleme, die das Handeln der Touristiker in der VG ebenfalls bestimmen werden.
Gäste nicht abschrecken
Schließlich werden alle am Tourismus Beteiligten Wege finden müssen, nicht nur lautstark gegen den Bahnlärm am Rhein oder den Verkehrskollaps in Braubach anzugehen, sondern so damit umzugehen, dass es potenzielle Gäste nicht abschreckt. Eine Gratwanderung, ja, denn der Lärm muss kurzfristig reduziert und langfristig komplett aus dem Tal entfernt werden. Solange aber hat der Neuaufbau des Tourismus nicht Zeit. Da wird es professioneller Hilfe etwa von Kommunikationsexperten bedürfen.