Funktionstraining und Gymnastik sind essenziell für betroffene Menschen - Lebensqualität schwindet mit jedem Tag
Lebensqualität schwindet mit jedem Tag: Was der Lockdown Rheumakranken antut
Das gemeinsame Training der Rheuma-Liga Bad Ems, hier in einem Raum der Vamed-Klinik, ist ein wichtiger Baustein in der Therapie für Rheumakranke. Neben der Trockengymnastik, die mit viel Eigenmotivation vielleicht noch ein Stück weit zu Hause geübt werden kann, fehlt den Betroffenen auch die Wassergymnastik und der Austausch mit anderen.
Rheuma-Liga Ortsgruppe Bad Ems

Keinen Vereinssport in der Coronakrise treiben zu können ist für Mitglieder und die Vereine ein großes Problem. Ganz andere Dimensionen aber erreicht der Lockdown für diejenigen, deren Gesundheit in hohem Maße von den regelmäßigen Trainingseinheiten abhängig ist, wie etwa Rheumakranken. Welche schmerzhaften Auswirkungen die Pandemie für die Betroffenen hat.

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Das gemeinsame Training der Rheuma-Liga Bad Ems, hier in einem Raum der Vamed-Klinik, ist ein wichtiger Baustein in der Therapie für Rheumakranke. Neben der Trockengymnastik, die mit viel Eigenmotivation vielleicht noch ein Stück weit zu Hause geübt werden kann, fehlt den Betroffenen auch die Wassergymnastik und der Austausch mit anderen.
Rheuma-Liga Ortsgruppe Bad Ems

Zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden an Rheuma. Etwa 300.000 Erkrankte sind Mitglied in der Rheuma-Liga und machen diese zur national größten Selbsthilfeorganisation. Diese Menschen haben sich durch stetes Funktionstraining, Trocken- und Wassergymnastik eine bessere Lebensqualität erkämpft, die nun mit jedem Tag ohne Übungen, Kurse und Austausch mit Gleichgesinnten schrumpft.

Dagmar Pollesche aus Dachsenhausen bekommt das Fehlen des Funktionstrainings schmerzlich zu spüren. Und das wortwörtlich. Rheuma wurde bei ihr in der frühsten Kindheit diagnostiziert, doch sie leidet unter weiteren schweren Erkrankungen. „Als ich im Jahr 2003 zu der Rheuma-Liga Bad Ems stieß, war das für mich ein wahrer Segen“, erzählt die heute 57-Jährige.

Sie war damals an den Rollstuhl gefesselt, der Bewegungsapparat in hohem Maße eingeschränkt, Schmerzen peinigten die Frau. „Die Krankenkasse hat mir damals explizit die Rheuma-Liga in Bad Ems empfohlen. Die Menschen hier verfügen über eine Menge Fachwissen“, erzählt sie. Durch Fachvorträge, Austausch mit anderen Erkrankten und die individuellen Beratungsgespräche habe sie ihre Erkrankung besser verstanden und konnte nun effektiv entgegenwirken. So schaffte sie es nach einiger Zeit vom Rollstuhl an den Rollator – ein immenser und wichtiger Schritt zurück in die Autonomie.

In den Badebecken der Emser Therme (Foto), der Vamed- oder der Lahntal-Klinik trainieren Rheuma geplagte Menschen ihre Beweglichkeit mit Wassergymnastik.
Rheuma-Liga

Doch nun ist Ebbe im Vereinsleben. Nach dem ersten Lockdown von März bis August vergangenen Jahres konnte die Rheuma-Liga gerade mal zwei Monate wieder mit den Patienten arbeiten, bevor Ende Oktober wieder alles heruntergefahren werden musste. „Für unsere Erkrankten ist das eine Katastrophe“, sagt Dieter Schweikard, hochengagierter Vorsitzender der Ortsgruppe Bad Ems der Rheuma-Liga.

Normalerweise bieten die Experten für ihre knapp 800 Mitglieder 35 Trockengruppen (Training in der Halle) und 40 Wassergruppen (Training im Schwimmbad) an. „Seit dem 11. Januar können wir immerhin wieder unsere Trockengruppen anbieten, allerdings nur mit fünf statt fünfzehn Teilnehmern.“ Das heißt: Ein Großteil der Patienten bleibt aktuell auf der Strecke.

Auch Dagmar Pollesche musste fast ein Jahr pausieren. Die Konsequenz: Große Schmerzen, Muskelabbau und Stimmungstief. Auch die körperliche Kondition ist dahin. An Fortbewegung mit dem Rollator ist kaum mehr zu denken. „Ich habe versucht, an den Onlineangeboten des Landesverbandes der Rheuma-Liga teilzunehmen, aber das ist einfach nicht vergleichbar.“

Auch die Motivation zu den Übungen fehlt zu Hause im eigenen Wohnzimmer. Die vier festen Termine zur Gymnastik in Bad Ems haben die Woche strukturiert, das gemeinsame Training habe angespornt, der Erfolg dann wiederum motiviert. Seit wenigen Wochen kann sie immerhin wieder an einer Gymnastikeinheit pro Woche teilnehmen.

Neben dem Training fehlt den rheumaerkrankten der persönliche Austausch mit anderen. „Wir bieten zwar Gesprächskreise über Videokonferenzen an, aber viele sind technisch nicht ausreichend ausgestattet“, erklärt Schweikard.

Dieter Schweikard nimmt sich am Telefon Zeit für die Anliegen der Rheumakranken. Auch persönliche Beratungsgespräche im Büro können vereinbart werden.
Michaela Cetto

Individuelle Beratungsgespräche im Büro der Rheuma-Liga in Bad Ems können glücklicherweise weiterhin angeboten werden. Doch normalerweise gibt es ja auch noch die vielen Veranstaltungen, Informationsabende, Grillfeste, Ausflüge, gemeinsame Aktionen. „Das Miteinander macht bei uns viel aus. Was bei einem guten Gespräch so ganz nebenbei an Tipps und auch Kraft rüberkommt, das kann kein Arzt und kein Therapeut leisten. Und das fehlt total.“

Dabei haben nicht nur die Erkrankten, sondern auch der Verein selbst unter der Situation zu leiden. „Uns laufen die Einnahmen weg.“ Die Krankenkassen zahlen die Teilnahme der Patienten an den Kursen, aber wenn nur knapp die Hälfte der Kurse stattfinden und daran nur ein Drittel der sonstigen Gruppe teilnehmen kann, dann wird die Bilanz ziemlich mager. Gewinn erwirtschaften darf die Rheuma-Liga ohnehin nicht. Aber in der jetzigen Situation hat der Verein im vergangenen Jahr tüchtig Miese gemacht. Zwar gab es staatliche Hilfen, aber „das war ein Tropfen auf dem heißen Stein.“

Zusätzlich verzeichnete die Rheuma-Liga landesweit seit der Coronakrise 1500 Austritte – selbst die Ortsgruppe Bad Ems ist um 111 Mitglieder geschrumpft – und das, nachdem Schweikard und sein Team bis 2020 jährlich ein Plus von durchschnittlich 130 Mitgliedern listeten.

„Schade“, findet dies der Vorsitzende, der sich seit vielen Jahren enorm für das Wohl „seiner“ Rheumakranken engagiert. „Die Rheuma-Liga und die damit verbundene Hilfe für die Erkrankten sind mir eine echte Herzensangelegenheit.“ Schweikard, selbst betroffen und längst jenseits der 70, hofft, dass die Impfungen gegen das Coronavirus nun schnell vorangehen.

Und er wünscht sich, dass sich mehr Menschen im Ehrenamt engagieren und verlässliche Strukturen für einen sicheren Fortbestand der Selbsthilfeorganisation schaffen. Auch Erkrankte wie Dagmar Pollesche wünschen sich das, denn die Rheuma-Liga ist ein wichtiger Baustein zur Bewältigung des Alltags.

Ein individuelles Beratungsgespräch kann unter Telefon 02603/507.106 immer werktags zwischen 9.30 und 11 Uhr sowie zusätzlich montags, mittwochs und donnerstags zwischen 15.30 und 17 Uhr oder via E-Mail unter bad-ems@rheuma-liga-rlp.de vereinbart werden.

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