Für ihn war jene Zeit die Chance auf ein neues Leben. Diese Chance hat er genutzt: Heute lebt der 35-jährige Pakistaner in Lahnstein und ist ein positives Beispiel für gelungene Integration. Waqas Muzaffars Geschichte steht stellvertretend für viele geflüchtete Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, um anderswo ein neues Zuhause zu finden. Waqas wurde 1986 geboren und stammt ursprünglich aus Gujrat, einer rund 390.000 Einwohner großen Stadt in der pakistanischen Provinz Punjab.
Bis zu seiner Flucht nach Europa war er niemals außerhalb seiner Heimatstadt gewesen. Umso unvorstellbarer, dass ihm seine Mutter 2005 nahelegte, das Land zu verlassen. Da hatte Waqas die zehnte Klasse absolviert und war gerade einmal 19 Jahre alt. Um dem Sohn ein besseres Leben abseits von Krieg und Armut zu ermöglichen, hatte sie extra für ihn etwas Geld gespart. Also ließ er das vertraute Gujrat hinter sich und machte sich auf in Richtung Griechenland. Durch den Iran ging es zunächst in die Türkei.
Den größten Teil seiner Reise absolvierte Waqas zu Fuß oder mit dem Bus. Zu Beginn noch ganz auf sich alleine gestellt, lernte der junge Mann im Iran zwei andere Flüchtlinge kennen, mit denen er die Tour fortsetzte. In der Türkei mussten sie vor der Einreise nach Griechenland zunächst rund drei Monate in einem Keller verweilen; „da waren noch rund 400 andere Flüchtlinge“, erinnert er sich zurück. Schließlich ging es auf einen fünftägigen Fußmarsch über die Grenze nach Griechenland. „Wir hatten fünf Tage nichts zu essen und tranken dreckiges Wasser“, erzählt Waqas. Kaum auf griechischem Boden angekommen, wurden die Flüchtlinge von der Polizei gestoppt und zurück in die Türkei geschickt. Nach weiteren drei Monaten in einem türkischen Keller unternahm Waqas einen zweiten Versuch und reiste 2006 erneut in Griechenland ein. Dieses Mal mit Erfolg. Dank entsprechender Papiere war er dort nun geduldet.
Gewalt in Griechenland
Rund neun Jahre lebte der junge Pakistaner in Griechenland, schlief in Flüchtlingscamps, auf der Straße oder mietete sich für ein paar Euro pro Nacht ein Zimmer. Finanziell hielt er sich als Tagelöhner über Wasser. „Wir haben irgendwo an der Straße gewartet, bis jemand kam und uns Arbeit angeboten hat. Das waren verschiedene Hilfsarbeiten, für die es dann pro Tag 10 bis 20 Euro gab“, berichtet Waqas. Unter anderem sammelte er dabei auch erste Erfahrungen mit Farbe und Pinsel.
Dass ihm die Malerarbeiten in seinem späteren Leben noch zugutekommen sollten, ahnte Waqas damals allerdings noch nicht. Es war keine wirklich schöne Zeit, zumal die Gewalt gegen Flüchtlinge in Griechenland stetig wuchs. „Vor allem abends hatte man große Angst, alleine auf die Straße zu gehen. Man musste um sein Leben fürchten“, erinnert sich der Pakistaner nur ungern zurück.
2015 entschied er sich daher, das Land zu verlassen. Es war im Prinzip die zweite Flucht in seinem noch jungen Leben; ein neues Ziel hatte Waqas da noch nicht. „Zunächst fuhr ich mit dem Bus nach Mazedonien“, erzählt er. Von dort ging es weiter nach Serbien und dann nach Ungarn. Unterwegs berichteten ihm andere Flüchtende immer wieder, dass sie nach Deutschland wollten. „Also sagte ich mir: Okay, warum soll ich nicht auch in Deutschland leben.“ Von dem Land wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nichts.
Und so kam Waqas Muzaffar im Juli 2015 schließlich nach Deutschland. Mit dem Zug ging es zunächst nach München, wo die ankommenden Geflüchteten auf unterschiedliche Erstaufnahmeeinrichtungen im ganzen Land verteilt wurden. Waqas wurde einem Flüchtlingslager in Trier zugeordnet, wo er rund einen Monat lebte, ehe es für ihn weiter nach Lahnstein ging. Dort wurde ihm eine Wohnung zugeteilt, die er sich zunächst mit einem anderen Geflüchteten teilte.
Den ersten Kontakt mit der Caritas hatte er rund drei Monate nach seiner Ankunft in Lahnstein, nachdem er Kleidergutscheine für den Secondhandladen Anziehpunkt erhalten hatte. „Als ich dort war, fragte ich, ob ich vielleicht helfen kann“, erzählt er.
Und so arbeitet Waqas zunächst ehrenamtlich im Anziehpunkt, ehe er nach gut einem halben Jahr seinen Bundesfreiwilligendienst dort absolvierte. „Zu diesem Zeitpunkt war er auch bei uns in der Beratung wegen seines Asylverfahrens“, erinnert sich Amanda Kras von der Migrations- und Flüchtlingsberatung der Caritas. Durch den Bundesfreiwilligendienst konnte der Pakistaner unter anderem auch einen Sprachkurs besuchen. Zu jener Zeit lernte Waqas zudem Helga Hönl kennen, die sich ehrenamtlich beim „Runden Tisch für Flüchtlinge“ in Lahnstein engagierte.
„Wir hatten fünf Tage nichts zu essen und tranken dreckiges Wasser.“
Waqas berichtet vom Fußmarsch über die Grenze nach Griechenland
Sie gab dem jungen Mann fortan zusätzlich Privatunterricht und lernte fleißig Deutsch mit ihm. Im Laufe der Zeit entstand eine Freundschaft, die bis heute anhält. „Ich bin so etwas wie die Ersatzmama“, lacht Helga Hönl.
Asylantrag zunächst abgelehnt
Als eigentlich alles recht gut lief, musste Waqas einen Rückschlag hinnehmen: Da er nicht als politischer Flüchtling galt, wurde sein Asylantrag abgelehnt. „Auch ein Einspruch brachte keinen Erfolg“, berichten Amanda Kras und Helga Hönl, die Waqas bei seinem Ziel, in Deutschland bleiben zu können, stets tatkräftig unterstützt haben. „Am Ende blieb die einzige Chance auf eine sogenannte Ausbildungsduldung. Für diese benötigte er allerdings einen Ausbildungsplatz“, erklärt Kras. Bei der Suche nach der geeigneten Tätigkeit, erinnerte sich Waqas zurück an seine Zeit in Griechenland und seine Arbeit als Maler dort. Zudem hatte er bei der Caritas geholfen, die Räumlichkeiten für den Anziehpunkt zu streichen.
So besorgte ihm Helga Hönl schließlich einen Praktikumsplatz bei dem Malerfachbetrieb Secker in Bad Ems. Dort hinterließ der junge Pakistaner einen so guten Eindruck, dass man bereit war, ihm einen Ausbildungsplatz zu geben. Und so startete Waqas 2017 eine Ausbildung zum Bauten- und Objektbeschichter, die er Anfang 2020 erfolgreich abschloss. „Für die theoretische Prüfung habe ich zwei Anläufe benötigt“, gesteht er. Seinen Arbeitgeber hatte er dennoch überzeugt: Die Firma Secker übernahm Waqas nach der Ausbildung und gab ihm ab März 2020 einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
Dadurch änderte sich natürlich auch der Aufenthaltsstatus des Wahl-Lahnsteiners, der bis dahin lediglich geduldet war in Deutschland. Er beantragte zunächst eine Aufenthaltserlaubnis zu Arbeitszwecken, die aber aufgrund des fehlenden B1-Sprachniveau-Nachweises abgelehnt wurde. „Weil er extreme Prüfungsangst hat, hat er diesen bislang noch nicht absolviert“, berichtet Helga Hönl. Dank der Unterstützung von Amanda Kras erteilte ihm die Ausländerbehörde schließlich die sogenannte Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Ausländer. „Dabei kam ihm unter anderem zugute, dass er immer noch regelmäßig samstags ehrenamtlich im Anziehpunkt tätig ist“, so die Caritas-Beraterin.
Auf seine Aufenthaltserlaubnis ist Waqas sichtlich stolz. Sie zeigt ihm nicht nur schwarz auf weiß, dass er nun nicht mehr „nur“ geduldet ist, sondern sie verleiht ihm auch neue Rechte. Der neue Status erlaubt ihm beispielsweise Reisen ins Ausland. Dadurch hat er nun die Möglichkeit, seine Familie zu besuchen und erstmals wieder in das Land zu reisen, dass er vor 17 Jahren verlassen musste. Seither hatte er mit seinen Eltern und Geschwistern ausschließlich Kontakt per Telefon und Facetime. Sollte er sich demnächst aufmachen nach Pakistan, steht für Waqas eines allerdings fest: „Ich komme wieder!“ Auch wenn er Mamas pakistanisches Essen manchmal vermisst, so fühlt sich der 35-Jährige längst heimisch in Lahnstein. „Nach Pakistan fahre ich in Urlaub. Mein Zuhause ist Deutschland“, sagt Waqas Muzaffar mit einem Lächeln – und jeder Menge Überzeugung. red