Auch heimischer Schäfer berichtet von Rissen
Land und Region stellen sich auf den Wolf ein: Auch heimischer Schäfer berichtet von Rissen
Wolf
Der Wolf wird auch im Rhein-Lahn-Kreis regelmäßig gesichtet. Im Vergleich zu Ost- und Norddeutschland ist die Verbreitung in Rheinland-Pfalz aber noch überschaubar. Über die Gründe gibt es aktuell nur Mutmaßungen. Symbolbild: Christian Charisius/dpa
Christian Charisius. dpa

Region/Allendorf. Die Ansage war eindeutig: „Fakten statt Meinungsmache“ lautete das Motto des von der SPD Allendorf organisierten Informationsabends. Über den Stand der Wolfspopulation sprach dort der Biologe Peter Sound vom rheinland-pfälzischen Umweltministerium. Ein Vortrag, der an dem Abend vor „vollem Haus“ stattfand, so groß war das Interesse der Bevölkerung an dem Thema.

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Unter den Zuhörern waren unter anderem Jäger und Förster, der aus Allendorf stammende Landrat Jörg Denninghoff sowie auch der Wanderschäfer Erwin Schwarz aus Schönborn. Als Betroffener machte dieser aus seiner Meinung keinen Hehl: „Ich habe nichts gegen den Wolf. Wenn er aber Mist baut, soll er entnommen werden.“ Trotz solcher eindeutiger Meinungen blieb der Ton der Veranstaltung, wie von den Organisatoren vorgesehen, immer respektvoll und sachlich. Denn es ging an dem Abend auch um konkrete Hilfestellungen, verbunden mit dem Appell des Referenten: „Melden Sie Wolfssichtungen und Risse.“ Denn nur dann können Betroffene auch Hilfsleistungen in Anspruch nehmen.

„Es geht darum, Fehler wie in Ostdeutschland zu vermeiden“, betonte wiederum Erwin Schwarz später. Denn in Ostdeutschland dringen Wölfe gezielt in Herden ein, was die Schäfer dort an den Rand der Verzweiflung treibt. „So etwas wäre auch das Ende der Weidehaltung im Westerwald“, ist der Wanderschäfer überzeugt. Ihm steckt noch der Vorfall vom 22. April in Wölferlingen im Westerwaldkreis in den Knochen. Dort hatte am helllichten Tag ein Wolf seine Schafsherde attackiert. Dass Erwin Schwarz sofort anfing zu schreien, beeindruckte das Tier wenig. Erst als er mit dem Auto auf den Wolf zusteuerte, ließ dieser von dem Lamm ab, das er bereits gepackt hatte. Das Lamm konnte dank schneller tierärztlicher Versorgung gerettet werden.

Wölfe lernen dazu

Ausdrücklich lobt Schwarz dabei die Arbeit des Koordinationszentrums Luchs und Wolf (Kluwo). Deren Mitarbeiter entnahmen DNA-Abstriche und organisierten auch Helfer, die ihn unterstützten, als am nächsten Tag die Herde erneut durch das betroffene Waldstück getrieben werden musste. „Wölfe sind hochintelligente Opportunisten, die ihr Wissen an Artgenossen weitergeben“, mahnt Schwarz. In Ostdeutschland hat man vonseiten der Politik zu lange nur auf Herdenschutz gesetzt. So konnten Wölfe, die gelernt hatten, die 90 Zentimeter hohen, elektrisch geladenen Schutznetze zu überspringen, ihr Wissen weitergeben.

Immer höhere Netze aufzustellen, sei jedoch auch keine Lösung. „Jeden Morgen baue ich 400 bis 800 Meter an Netzen ab und stelle sie am Abend wieder auf“, erzählt Schwarz. Höhere Netze bedeuten mehr Gewicht und mehr Angriffsflächen für den Wind, sodass sie umfallen können. „Und ein Wolf, der gelernt hat, 90 Zentimeter zu überspringen, wird das auch mit 1,20 Metern machen können“, so die Vorhersage.

„Ich habe nichts gegen den Wolf. Wenn er aber Mist baut, soll er entnommen werden.“

Wanderschäfer Erwin Schwarz hat eine klare Meinung zum Wolf.

Die Ereignisse aus Wölflingen schilderte Schwarz auch während der Veranstaltung in Allendorf, wo er offenbar der einzige Schäfer in der Runde war. Für ihn brachte der Fachvortrag daher eher wenig Neues, für interessierte Laien dürften an dem Abend aber einige Neuigkeiten dabei gewesen sein. Denn auch für den Experten hat sich wohl viel im Laufe der Zeit verändert. Denn als er vor vielen Jahren die Stelle antrat, ging es um Artenvielfalt, erinnerte sich der Referent. „Nun geht es zu 95 Prozent der Zeit um den Wolf.“

Deutschlandweit wurden nun im Rahmen des jüngsten Monitorings 184 Rudel, 47 Paare und 22 Einzeltiere in 253 Territorien erfasst. Entgegen dem Gefühl, dass der Wolf sich überall im Land ausbreitet und vermehrt, zeigte der Blick auf die Karte, dass mit Abstand die meisten Wölfe in Ost- und Norddeutschland vorkommen. Und dort bleiben sie offenbar auch zum Großteil, denn die Wolfspopulation wächst nicht mehr sprunghaft an. In Rheinland-Pfalz wurde der Wolf nach 153 Jahren Pause erstmals 2012 wieder gesichtet.

„Unsichtbarer“ Luchs

Inzwischen gibt es zwei Rudel im Westerwald (Leuscheid und Hachenburg). Für den Rhein-Lahn-Kreis spielt aber auch noch das Rüdesheimer Rudel in Hessen eine Rolle. Hinzu kommen Einzeltiere aus anderen Regionen Deutschlands, die den Landkreis immer wieder mal durchqueren. In Rheinland-Pfalz gibt es noch Wolfsnachweise im Hunsrück, aber der Pfälzer Wald beherbergt erstaunlich wenige Wölfe. „Das könnte am Luchs liegen“, äußert Peter Sound eine Theorie. So gibt es wohl unter anderem aus der Schweiz dokumentierte Fälle von Wolfstötungen durch Luchse.

Wie der Name schon sagt, kümmert sich das Kluwo auch um Luchse, da scheint es aber aktuell offenbar wenig neue Erkenntnisse zu geben. Denn der Luchs ist sehr scheu und für Menschen daher quasi „unsichtbar“. Vielleicht wäre es wieder an der Zeit, einen Luchs einzufangen und mit einem Sender zu versehen, um das Verbreitungsgebiet der Population zu überprüfen, überlegte der Referent.

Peter Sound appellierte, Wolfsrisse zu melden. Foto: Johannes Koenig
Johannes Koenig

Bestätigt werden Luchs- und Wolfssichtungen durch die bereits erwähnten DNA-Abstriche. In Deutschland werden diese im Labor des Senckenberg-Zentrums für Wildtiergenetik in Gelnhausen ausgewertet. Das Institut hat in den letzten Jahren wegen nicht eindeutiger Untersuchungsergebnisse einigen Unmut auf sich gezogen. Manche Menschen mutmaßen offenbar, dass aus „politischen Gründen“ Wolfsrisse nicht als solche benannt, sondern Hunden und Hybriden „zugeschoben“ werden.

Vielleicht auch deshalb ging Peter Sound ausführlich auf das Thema DNA-Analysen und die Arbeit des Senckenberg-Instituts ein. „Die Methoden dort sind State of the Art“. Das Institut arbeitet unabhängig und ist eng vernetzt mit anderen Laboren. „Von wissenschaftlichen Einrichtungen ist keine Kritik an den Senckenberg-Methoden bekannt“.

Kaum Hybride in über 20 Jahren

Woran aber liegt es nun, dass DNA-Proben oft zu keinen Ergebnissen führen, obwohl es doch vom „Tatort“ her „klar“ ist, dass es Wolfsrisse waren? Die entnommenen Proben können von schlechter Qualität oder kontaminiert sein und DNA-Analysen sind komplex. Daher gilt, Risse werden nur als Wolfsrisse gewertet, wenn zu 100 Prozent feststeht, dass es ein Wolf war, betont der Experte.

Hybride zwischen Wolf und Hund gibt es laut Peter Sound wiederum nur sehr selten: „In über 20 Jahren gab es fünf Hybridisierungsereignisse.“ Den Zuhörern blieb am Ende des Vortrags die Erkenntnis, dass es den perfekten Schutz gegen den Wolf nicht gibt, aber Betroffenen doch möglichst viele Hilfestellungen und Unterstützung an die Hand gegeben werden sollen. Denn auch in Rheinland-Pfalz ist der Wolf gekommen, um zu bleiben.

Koordinationszentrum Luchs und Wolf (Kluwo)
Nach eigenen Angaben wurde das Koordinationszentrum Luchs und Wolf (Kluwo) 2021 gegründet. Der Sitz ist in Trippstadt. Das Zentrum ist laut Flyer die zentrale Anlaufstelle für alle Fragen rund um das Thema Luchs und Wolf in Rheinland-Pfalz (RLP). Zu den Aufgabenbereichen gehören Monitoring, Schadensbegutachtung, Herdenschutzberatung, Förderabwicklung und Ausgleichszahlungen. Unterstützt wird das Zentrum durch ein Netz ehrenamtlicher Großkarnivoren-Beauftragte und Nutztierrissbegutachter der Landesforste und von der Stiftung Rheinland-Pfalz. Nutztierrisse und Hinweise zu Luchs und Wolf werden unter Telefon 06306/911 199 entgegengenommen. Die Nummer ist auch außerhalb der Bürozeiten erreichbar. red

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