Kitasozialarbeit in der Praxis
Kummerkasten für 5300 Kinder im Rhein-Lahn-Kreis
Gleiche Chancen für alle, von klein auf: Dass Kinder schon in der Kita die gleichen Startbedingungen haben, dafür setzt sich die Kitasozialarbeit ein.
Rolf Zöllner. epd

Förderbedarfe, Trennung, Tod: Die Themen sind vielschichtig und betreffen immer die ganze Familie. Kitasozialarbeiter unterstützen Eltern und ihre Kinder in schwierigen Lebenslagen. Doch wie lange noch?

Alle Kinder in Rheinland-Pfalz sollen die gleichen Chancen haben. Dem will das Kitagesetz Rechnung tragen und dabei nicht nur das Personal nach der Platzbelegung ausrichten, sondern auch strukturelle Benachteiligung in den sogenannten Sozialräumen berücksichtigen. Diese werden zum Beispiel nach dem Anteil von Migranten, anderen sozialen Herausforderungen wie Kindern in Bedarfsgemeinschaften, wo Bürgergeld bezogen wird, oder den Besonderheiten im ländlichen Raum beurteilt. Auch werden Infrastrukturen wie die verfügbaren Beratungs- und Bildungseinrichtungen mit familienunterstützenden Angeboten in die Bewertung eines Sozialraums aufgenommen. Mit einem bestimmten Sozialraum gehen dabei auch besondere Herausforderungen für die Kitas einher, die durch das Sozialraumbudget aufgefangen werden sollen. Das Budget wird zu 60 Prozent vom Land und zu 40 Prozent vom Kreis finanziert, für 2025 sind 1,6 Millionen Euro vom Land und 1,1 Millionen vom Kreis dafür veranschlagt.

Von diesem Geld wird unter anderem die Kitasozialarbeit finanziert, die Sylvia Thielen, Sozialraumbudgetkoordinatorin beim Kreisjugendamt, jüngst im Jugendhilfeausschuss vorgestellt hat. 5300 Kinder im Alter zwischen einem und sechs Jahren besuchten im Jahr 2024 eine der 86 Kitas im Rhein-Lahn-Kreis. Diese Einrichtungen werden von 16 Kitasozialarbeiterinnen und -arbeitern betreut, die die Familien und Erzieher in herausfordernden Situationen begleiten sollen. „Dabei sind wir Kummerkasten, Berater, mitunter erste Ansprechpartner, und manchmal sind wir auch das Licht am Ende des Tunnels der Bürokratie“, beschrieb eine Kitasozialarbeiterin ihr Aufgabenspektrum vor dem Gremium.

Auch Ansprechpartner bei Problemen in der Familie

„Familien können mit allen Themen zu uns kommen. Unser Arbeitsort ist die Kita, wir sind regelmäßig vor Ort, können zuhören, haben Zeit und können uns der verschiedensten Themen annehmen“, ergänzte Veronika Schmidt, die als Kitasozialarbeiterin bei der Caritas angestellt ist. Denn der Kreis beschäftigt die Sozialarbeiter nicht selbst, sondern „kauft“ diese Leistung bei Caritas und Diakonie ein. Schmidt ist zuständig für fünf Kitas, in denen sie einmal pro Woche vor Ort ansprechbar ist, außerdem betreut sie Netzwerkkitas, die jederzeit auf sie zukommen können. „So kenne ich die Kinder und die Familien, gehöre dort zum Alltag, das senkt die Hemmschwelle, mich anzusprechen.“ Dabei ist sie nicht nur Ansprechpartnerin für Probleme oder Belange rund ums Kind, auch andere familiäre Probleme, Beziehungsfragen oder finanzielle Nöte beschäftigen sie im Alltag. „Denn schließlich schauen wir nie auf eine Person allein. Auch eine Trennung oder der Tod eines Angehörigen kann Auswirkungen auf das Kind haben. Deshalb betrachten wir immer das ganze System und schauen, wo wir Ressourcen zur Stärkung der Familie finden können“, erklären es die Sozialarbeiter. Das wüssten viele Familien nicht.

Der Vorteil der Kitasozialarbeit sei ganz klar, dass sie auch dort seien, wo es strukturell keine Beratungsstellen gibt. „Die Gesellschaft läuft durch die Kitas, fast alle Familien kommen an uns vorbei.“ So könne man frühzeitig Schwierigkeiten identifizieren und angehen, bevor Probleme manifestiert sind, ist Koordinatorin Sylvia Thielen überzeugt. „Unsere große Stärke ist dabei vor allem unser gutes Netzwerk: Wir kennen alle Einrichtungen bis hin zu den Schulen und Ärzten und können auf kurzem Dienstweg Kontakte herstellen“, betonen die Sozialarbeiter. Auch könne man die Fachkräfte in den Kitas entlasten, indem Elterngespräche begleitet oder Fälle gemeinsam besprochen werden.

„Kitasozialarbeit fußt auf langfristiger Beziehungsarbeit.“
Koordinatorin Sylvia Thielen hofft auf eine Entfristung ihrer Kitasozialarbeiter

Dabei registriert die Kitasozialarbeit steigende Bedarfe. Allein im Kitajahr 2023/2024 fanden 765 Elternberatungen und 490 Fallberatungen statt. Doch die Zukunft der Kitasozialarbeit hängt auch an der Zukunft des Sozialraumbudgets. Auch wenn das Sozialraumbudget im Kitagesetz verankert ist, hat das Land das aktuelle Budget nur bis 2026 ausfinanziert und wird noch in diesem Jahr entscheiden müssen, ob und wie hoch das Sozialraumbudget für weitere zwei Jahre ausfällt. Dass es weitergeht, ist klar, aber nicht welche Kommune wie viel von den 50 Millionen Euro bekommt, die für ganz RLP angesetzt sind.

Auch ist 2028 die Evaluierung des Kitagesetzes geplant, dann wird geschaut, ob es überhaupt in der jetzigen Form – also auch mit Sozialraumbudget – erhalten bleibt. Eine Zitterpartie auch für Thielen: „Unsere Kräfte sind aktuell alle befristet angestellt, wir hoffen, dass mit der Budgetierung für die kommenden zwei Jahre zumindest eine Entfristung einhergeht. Denn Kitasozialarbeit fußt auf langfristiger Beziehungsarbeit, die Sozialarbeiter brauchen Zeit, um mit den Familien in Beziehung zu treten. Da ist eine Befristung nie hilfreich.“ Dass der Bedarf da ist, das machen laut Thielen die Kitas immer wieder deutlich. Ob sie gehört werden, wird sich zeigen.

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