9,1 Gramm Kokain hatte ein 19-jähriger Mann an seinen Arbeitsplatz mitgebracht. Kein gewöhnlicher Arbeitsplatz, sondern einer, an dem vorbildliches Verhalten eigentlich Gesetz sein sollte: eine Kindertagesstätte im Norden des Kreises Limburg-Weilburg. Entsprechend erschüttert zeigten sich Richterin Luisa Schäfer und Staatsanwalt Marcel Markovic, als die Sache nun vor dem Jugendschöffengericht landete. Auf der Anklagebank saß der heute 21-jährige Mann, der sich – offenbar auf Anraten seiner Verteidigerin Lisa Müller – geständig zeigte und zerknirscht gab. Die Anklage lautete: Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
Am 19. Oktober 2023 erreichte die Drogenkarriere des Angeklagten ihren Höhepunkt: Er absolvierte schon seit Längerem ein Praktikum in der Kindertagesstätte mit dem Berufsziel Sozialassistent. Als er sich in der Toilette umkleidete, fiel von ihm unbemerkt ein Beutelchen mit Kokain aus seiner Umhängetasche. Eine Kollegin fand den Drogenbeutel und schaltete die Kita-Leitung ein, die den Mann umgehend aus dem Gebäude verwies und die Polizei einschaltete.
Auch in Wohnung fündig geworden
Bei der Durchsuchung der Wohnung und des Pkw des Angeklagten wurde die Polizei erneut fündig: Sie stellten nicht nur Cannabis sicher, für dessen Besitz er aufgrund der zwischenzeitlichen Liberalisierung nicht mehr belangt werden kann, sondern auch ein Einhand-Messer und eine Feinwaage, die auf Handel mit Betäubungsmitteln hinwies. Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Ermittler einem Beutel mit einer zunächst undefinierbaren gelben Flüssigkeit, die verpackt im Auto des Angeklagten gefunden wurde. Vor Gericht behauptete der Angeklagte nun, er habe gar nicht gewusst, was sich in dem Beutel befand, da er Teil eines von ihm zuvor bestellten Adventskalenders gewesen sein. Eine Aussage, die Staatsanwalt Markovic auf die Palme brachte: „Wollen Sie das Gericht und die Staatsanwaltschaft für dumm verkaufen?“ Es stellte sich nämlich heraus, dass sich in dem Beutel sauberer Urin befand, den der Angeklagte im Falle einer polizeilichen Drogenkontrolle möglicherweise hätte nutzen können, um eine Fahrt unter Drogeneinfluss zu verschleiern.
Angeklagter: „Ich war nicht mehr ich selbst“
Der 21-Jährige blickt auf eine Drogenkarriere zurück, die zur Zeit der Trennung seiner Eltern begann, damals war er zwölf Jahre alt. Erst Marihuana, mit vierzehn folgte Amphetamin, zwei Jahre später Kokain. Zum Zeitpunkt des Vorfalls in der Kita habe er bereits eine Persönlichkeitsveränderung durchlaufen, schilderte er. „Im Laufe der Zeit hatte ich die Kontrolle verloren. Heute verstehe ich nicht mehr, wie ich das machen konnte. Ich war nicht mehr ich selber.“ So ganz ohne Drogen lebt er allerdings bis heute nicht: Er konsumiere Cannabis auf Rezept, um damit seine Schlafstörungen zu behandeln, erklärte er.
Staatsanwalt Markovic sprach in seinem eindringlichen Plädoyer von einem „Vertrauensbruch von besonderer Qualität“. Da sei ein junger Mann, der Kokain in die Kita mitnehme. „Das ist kein Leichtsinn, sondern Dummheit, die erschüttert“, so der Staatsanwalt. Der Angeklagte habe seine eigenen Bedürfnisse über die der Schwächsten der Gesellschaft gestellt – kleine Kinder. „Was wäre passiert, wenn ein Kind den Kokainbeutel gefunden, geöffnet und in den Mund genommen hätte?“ Möglicherweise hätte der Angeklagte dann wegen fahrlässiger Tötung vor dem Landgericht gestanden.
Dennoch sah der Staatsanwalt einen minderschweren Fall, weil die Kokainmenge nur geringfügig über der Grenze der „nicht geringen Menge“ gelegen habe. Zudem sei die Toilette, in der der Angeklagte den Kokainbeutel verloren hatte, abgeschlossen und für die Kinder nicht zugänglich gewesen. Markovic forderte eine Verwarnung mit zwei Wochen Dauerarrest, 1500 Euro Geldauflage, eine Suchtberatung und ein Drogen-Screening.
Richterin: Sie haben Vertrauen missbraucht
Rechtsanwältin Lisa Müller sah den Sachverhalt ähnlich wie der Staatsanwalt, wies aber darauf hin, dass das Leben des Angeklagten vor zwei Jahren aus den Fugen geraten sei. „Er wurde wachgerüttelt“, sagte Müller. Er habe eine Entzugstherapie gemacht, seinen Job aufgegeben und sich eine neue Arbeit in einer Shishabar in Darmstadt gesucht.
Richterin Schäfer folgte in ihrem Urteil den ‚Forderungen der Staatsanwaltschaft und verwarnte den 21-Jährigen. Zusätzlich verlangte sie, dass er seinen Arbeitsvertrag mit der Shishabar so schnell wie möglich vorlegt. „Sie haben das Vertrauen der Kinder und der Eltern missbraucht“, sagte Schäfer. „Das ist kein Kavaliersdelikt, da haben Sie sich ein ganz schönes Brett geleistet.“ Das Urteil ist rechtskräftig.