Wegen der weitreichenden finanziellen Folgen für den Kreis – es geht in der Summe um Millionenbeträge – soll nach dem Willen des Kreisausschusses eine Berufungsverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht unter anderem klären, was das im Detail für den Rhein-Lahn-Kreis bedeutet und ob die Entscheidung als Präzedenzfall für ganz Rheinland-Pfalz zu werten ist.
Hintergrund: Das Kindertagesstättengesetz des Landes Rheinland-Pfalz verpflichtet den Kreis, sich vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz „angemessen“ an den notwendigen Baukosten zu beteiligen. Wie aus einer Vorlage der Verwaltung weiter hervorgeht, wurden die Richtlinien des Rhein-Lahn-Kreises 2017 neu gefasst und eröffneten so die Möglichkeit, Modernisierungsmaßnahmen zu fördern.
Aufgrund der fehlenden Definition zur Angemessenheit im Landesrecht hatte sich der Kreis demnach bei der Überarbeitung an vergleichbaren Richtlinien orientiert. Die Förderbeträge und -möglichkeiten seien im Vergleich zu einer Richtlinie von 2009 deutlich verstärkt worden. So könnten auch Umbauten oder Anbauten, die keine neuen Plätze schaffen, Sanierungsmaßnahmen, Ersatzbauten und provisorische Gruppen gefördert werden.
Im Fall des Baues der Kita Lahnpiraten in Nassau hatte sich laut Verwaltung durch den Förderbetrag von 420.000 Euro ein effektiver Fördersatz in Höhe von 11,6 Prozent ergeben. Der Verbandsgemeinde Bad Ems-Nassau als Bauherr und zugleich Träger der Kita erschien das aber nicht ausreichend; unter „angemessen“ verstand die Verbandsgemeinde etwas anderes; sie legte zunächst Widerspruch ein und erhob im Anschluss Klage gegen die Förderhöhe vor dem Verwaltungsgericht.
Die Kreisverwaltung, das bestätigte Landrat Frank Puchtler am Montag im Kreisausschuss nochmals ausdrücklich, begrüßte dieses Vorgehen, „um eine klare Definition und eine rechtlich sichere Basis für die Angemessenheit zu erhalten“.
„Die Festlegung zurückzunehmen, war ein Eigentor.“
Laut Udo Rau hatte das Land ursprünglich einen Fördersatz von 40 Prozent durch die Kreise festgelegt, dann aber nur eine „angemessene“ Förderung verlangt.
Inzwischen liegt das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz (Aktenzeichen 1 K 499/20.KO) vor, und es könnte weitreichende finanzielle Folgen für den Rhein-Lahn-Kreis und gegebenenfalls viele darüber hinaus haben, denn die Richter halten „eine Förderung von grundsätzlich mindestens 40 Prozent der erstattungsfähigen Kosten für eine angemessene Beteiligung des Kreises an den Baukosten“.
Die Kreisverwaltung hat eigenen Angaben zufolge die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), den Landkreistag und das Ministerium für Bildung um eine Einschätzung zum Urteil gebeten. Aufgrund der zahlreichen noch offenen Fragen schlägt die Verwaltung vor, Berufung einzulegen, um die Fragen rechtlich klären zu lassen. Der Prozess dürfte landesweit Beachtung finden, denn es könnte auf ein Urteil mit Grundsatzcharakter hinauslaufen. Der Kreisausschuss hat diesem Vorgehen am Montag zugestimmt.
Udo Rau (CDU), der noch als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nassau das Verfahren in Gang gesetzt hatte, erinnerte während der Sitzung des Ausschusses daran, dass das Land den ursprünglich festgelegten Fördersatz von 40 Prozent durch die Forderung nach „angemessener“ Förderung ersetzt habe. „Die Festlegung zurückzunehmen, war ein Eigentor“, so Rau.
Carsten Göller (SPD) hofft wie Rau, dass der Kreis durch die Berufung Rechtssicherheit bekommt. Es gehe darum, Klarheit zu haben. Bernd Hartmann hält den bisherigen Förderanteil des Landes (3,6 Prozent) für „lachhaft“. Auch Leo Neydek (Grüne), Ralph Schleimer (FDP) und Lennart Siefert (Freie Wähler) äußerten sich ähnlich und hoffen in erster Linie auf eine eideutige rechtliche Klärung der Frage.
Das könnten die finanziellen Folgen für den Kreis sein
Wenn die Förderprojekte, denen eine Günstigerprüfung in Aussicht gestellt wurde oder die Widerspruch gegen den Förderbescheid eingelegt haben, nach den Maßgaben des Verwaltungsgerichtsurteils zur Kita Lahnpiraten neu berechnet werden würden, hätte dies nach Angaben der Verwaltung folgende finanzielle Auswirkungen für den Rhein-Lahn-Kreis:
Bei 16 Förderprojekten mit noch ausstehenden Bewilligungen ergeben sich zusätzliche Kosten in Höhe von circa 888 000 Euro.
Von der vorgenannten Günstigerprüfung mit Neuerteilung eines Förderbescheids wären 14 Förderprojekte betroffen. Wenn man für die Berechnung vereinfacht bei allen Projekten einen Fördersatz von 40 Prozent anlegt, entstehen zusätzliche Kosten in Höhe von circa 2,425 Millionen Euro.
Die betroffene Förderrichtlinie ist damals rückwirkend zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Betrachtet man alle Förderprojekte, die seitdem eine Zuwendung erhalten haben, würden zusätzliche Kosten in Höhe von 5,091 Millionen Euro entstehen.
Dabei handelt es sich laut Kreisverwaltung lediglich um die aktuell bekannten Förderprojekte. Die Mehrkosten für zukünftige Förderprojekte werden demnach enorm sein, können aber nicht beziffert werden.