Denn nach seiner Einschätzung bietet die zeitgleiche Rückgabe von vier pädiatrischen Kassensitzen auch eine einmalige Chance für Patienten: Ihre gesetzlichen Krankenkassen dazu zu bringen, privat erbrachte medizinische Leistungen zu bezahlen – und zwar in voller Höhe. Klingt aussichtslos?
Bezahlung unzureichend
Doch Franz-Josef Müller weiß, wovon er spricht: Als Unternehmensberater hat der studierte Volkswirt über viele Jahre tiefe Einblicke sowohl in das Abrechnungswesen der Krankenkassen als auch in die ökonomische Situation von Ärzten gewonnen. Sein Befund ist für viele Nicht-Mediziner sicherlich provokant: „Dass es Ärztemangel gibt, hat aus ökonomischer Sicht nur eine einzige Ursache: unzureichende Bezahlung“, sagt Müller.
Der in Mainz lebende Ökonom rechnet vor: „Ein Kinderarzt in Limburg erhält, so hat es mir eine Ärztin aus der Stadt gesagt, pro Quartal und Behandlungsfall 32 Euro. Bei 1500 Kindern pro Quartal kommt man auf sagenhafte 192.000 Euro an Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit pro Jahr. Davon zieht man dann noch die Personalkosten, Miete, Mietnebenkosten, EDV, Buchhaltung, Steuerberater, Labor, Verbrauchsmaterialien, Büromaterialien und Telefon ab – und landet bei einem Einnahmenüberschuss von weit unter 50.000 Euro. Hat der Pädiater viel Personal, liegt der Einnahmenüberschuss bei null.“ Mit anderen Worten: „Es hat gute Gründe, warum es in Limburg künftig keine Kinderärzte mehr geben wird. Es ist die völlig unzureichende Bezahlung.“
Eltern solidarisieren sich
Und das bei oftmals einer 50-Stunden-Woche. Kein Wunder, so Müller, dass sich viele junge Ärzte weigern, eine eigene Praxis zu eröffnen und lieber als Angestellte im Krankenhaus oder in einem Medzinischen Versorgungszentrum (MVZ) arbeiten wollen. Ein Weg, den nun auch die Limburger Pädiater wählen, zumindest teilweise. Sie haben sich bereit erklärt, in beschränktem Umfang weiter in einem noch zu gründenden MVZ auch Kassenpatienten zu behandeln und ansonsten nur noch Privatpatienten. Die Eltern, die sich in einer Facebook-Gruppe mit mittlerweile mehr als 1000 Mitgliedern zusammengeschlossen haben, hoffen ebenfalls auf die Gründung eines MVZ mit Sitz in Limburg. Ob es dazu kommt, ist derzeit nicht absehbar.
Franz-Josef Müller sieht indes noch eine andere Möglichkeit für die Eltern, die sogar im Fünften Sozialgesetzbuch aufgezeigt wird. Dessen Paragraf 13 regelt die Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenkassen. In Absatz drei heißt es wörtlich: „Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.“
Gesetz bietet Optionen
Was bedeutet das im Klartext? Für Müller ist die Sache eindeutig: Sollten die Limburger Kassenpatienten von Oktober an keine Möglichkeit mehr haben, in zumutbarer Entfernung von ihrem Wohnort einen Kinderarzt aufsuchen zu können, so dürfen sie ihre Kinder privat behandeln lassen und die Kosten anschließend ihrer Krankenkasse in Rechnung stellen. Voraussetzung: Die Leistung muss „unaufschiebbar“ und „notwendig“ sein. So steht es im Gesetz.
Dies wäre nach Franz-Josef Müllers Einschätzung beispielsweise bei den sogenannten U-Früherkennungsuntersuchungen der Fall. Sie gelten als notwendig und müssen innerhalb einer bestimmten Frist erledigt werden. Da die Kassenärztlichen Vereinigungen einen „Sicherstellungsauftrag“ für medizinische Leistungen haben und die Krankenkassen diesen im Interesse ihrer Versicherten kontrollieren müssen, haben die Patienten aus Müllers Sicht die Wahl, auch einen privat praktizierenden Arzt aufzusuchen. Sofern, wie möglicherweise demnächst in Limburg, diese Leistungen für Kassenpatienten regulär nicht mehr zugänglich sind.
Der Mainzer Ökonom räumt ein, dass sich die Krankenkassen vermutlich weigern werden, einzelne von Eltern eingereichte Privatrechnungen zu bezahlen. Juristische Auseinandersetzungen wären möglicherweise die Folge. Sollten aber Tausende Eltern von diesem Recht Gebrauch machen, sähe die Sache womöglich anders aus, und die Kassen könnten sich genötigt sehen, dem Druck ihrer Versicherten nachzugeben, meint Müller.