Die 18-Jährige geht nicht auf Partys, trifft sich nicht zum Shoppen in der Stadt, ja, sie besucht nicht mal die Schule. Sie fährt nicht mit dem Bus oder kauft im Supermarkt ein, sie geht nicht allein zum Arzt. Nicht kontrollierbare Panikattacken und Flashbacks überfallen die junge Frau, die sie völlig aus der Bahn werfen, wo auch immer sie sich gerade aufhält. Der Hund soll ihr zur Seite stehen – als Begleiter, Beschützer, als Warnsystem und Assistent. Ein Held auf vier Pfoten. Genau dafür wird er gerade ausgebildet.
„Salvatore ist ein Traumhund“, schwärmt Anita Lakotta, die den Welpen für Dorothee ausgesucht hat. Die Hundetrainerin aus Bad Ems bringt den Vierbeinern in ihrer Hundeschule nicht nur Gehorsam bei, sondern bildet in ihrem Therapiehundezentrum Rhein-Lahn auch Therapie- und Assistenzhunde aus – befellte Therapeuten und Sanitäter, die ihren Besitzern Sicherheit und ein Stück Lebensqualität zurückgeben.
Um die richtigen Hunde für den wichtigen Job zu finden, arbeitet sie ausschließlich mit vertrauenswürdigen Züchtern zusammen und lernt in mehreren Besuchen den ganzen Wurf kennen. Nicht jeder Welpe eignet sich. „Die Hunde müssen besonders aufmerksam und menschenbezogen sein“, erklärt sie.
Große Anforderungen an Assistenzhunde
Dafür führt sie verschiedene Tests durch und prüft das Verhalten und den Charakter der Hunde. Beispiel: „Ich leg mich flach auf den Rücken und spiele Ohnmacht.“ Bei diesem Test kam Salvatore sofort angeflitzt, steckte ihr die Nase ins Gesicht und legte sich auf ihre Brust. Nach zehn Wochen war klar, dass der aufgeweckte Rüde Dorothees Begleiter werden würde. Eine weitere Hündin aus demselben Wurf wird gerade zum Therapie-Begleithund ausgebildet.
„Die größten Anforderungen werden an Assistenzhunde gestellt“, erklärt Anita Lakotta – deutlich mehr als an Therapie-Begleithunde oder Besuchshunde. „Assistenzhunde müssen die meisten Aufgaben bewältigen, eine Mega-Leistung für die Hunde und ein Mega-Aufwand für die Trainer.“ Dementsprechend dauert auch die Ausbildung der Assistenzhunde am längsten. Knapp zwei Jahre Zeit investiert die Hundetrainerin letztlich in jedes Tier.
Oft werden die Hunde in der Familie ausgebildet, in der sie auch zum Einsatz kommen. Die entsprechende Erziehung und regelmäßige Trainingsstunden vor Ort bereiten die Tiere auf ihr Leben als Assistenzhund vor. In Dorothees Fall ist das aber aktuell nicht möglich. Deswegen lebt Salvatore derzeit in einer Gastfamilie in Neuwied.
Salvatores Fähigkeiten werden genau auf Dorothees Krankheit angepasst
Gastfrauchen Nicole Klein ist selbst Hundetrainerin und arbeitet eng mit Anita Lakotta zusammen. Von den beiden Familienhunden Mila und Silas lernt Salvatore eine Menge und stößt sich „die Hörner“ ab. „Der Kleine pubertiert nämlich gerade ganz fürchterlich“, lacht Nicole Klein. Dorothee ist regelmäßig dabei, sodass der Hund schon jetzt eine gute Bindung zu seinem Frauchen in spe aufbauen kann. Sobald die „Flegelzeit“ vorbei ist und Dorothee ihre neue Wohnung bezogen hat, wird die Ausbildung dann dort fortgeführt.
Was Salvatore lernt, ist passgenau auf Dorothees Bedürfnisse und Krankheitsbild ausgerichtet. „Er wird erspüren, wenn eine Panikattacke anrollt und Dorothee wegführen aus dem Raum oder von der Örtlichkeit, die ihr Panik bereitet“, erklärt Anita Lakotta. Er wird sich an sie schmiegen und ihr Halt geben, er wird vorausgehen in ihre Wohnung und das Licht anmachen, er wird vorausgehen in andere Räume oder öffentliche Gebäude, er wird die Notfallmedikamente in seinem Geschirr bei sich tragen, und er wird auch lernen zu knurren, wenn sich jemand zu sehr nähert, auch wenn Labradore in der Regel einen überaus gutmütigen Charakter haben.
Seine Kenndecke wird Salvatore als Assistenzhund kennzeichnen, eine Art Dienstausweis, der ihn zu Dingen berechtigt, die normale Hunde nicht dürfen: kostenlos Zug fahren, Supermärkte oder Arztpraxen betreten.
Krankenkassen übernehmen Kosten für Hundeausbildung nicht
Die Zeit, die Arbeit und das Herzblut, die Anita Lakotta und Nicole Klein in den Hund investieren, ist nicht aufzurechnen. „Überschlagen kosten diese ersten zwei Jahre mit Ausbildung, Tierarzt, Futter und allem drum und dran wohl 20 000 Euro“, schätzt Anita Lakotta. Den Welpen selbst hat Dorothees Mutter finanziert. Den gesamten Rest übernehmen die beiden Hundetrainerinnen, denn bisher sind diese Hunde gesetzlich nicht als Hilfsmittel anerkannt. Daher werden ihre Kosten im Gegensatz zu Blindenhunden nicht von der Krankenkasse übernommen.
Dorothee findet das traurig. „Ich habe einen Großteil der letzten Jahre in Kliniken und mit Therapien verbracht“, erzählt sie. Und dies habe die Krankenkasse doch weitaus mehr gekostet als so ein Hund. „Nichts hat wirklich geholfen. Jetzt wird mich Salvatore durch den Alltag bringen.“ Den Namen „Salvatore“ hat sie selbst ausgesucht. „Das bedeutet so viel wie ,Retter‘“, sagt sie.
Um die Ausbildung der Assistenz- und Therapiehunde auf sichere Füße zu stellen, hat Anita Lakotta vor drei Jahren den „Förderverein tiergestützte Intervention“ gegründet. Über Aktionen, Projekte und Aufklärungsarbeit sollte damit Geld für die Ausbildung der Hunde generiert werden. „Doch dann kam Corona.“ Dass das Sparschwein hungrig ist, hindert weder Anita Lakotta noch Nicole Klein an der Arbeit. „Ich hab‘ mich auf das Projekt eingelassen, weil ich ein Teil dieser Hilfe für das Mädel sein will“, erklärt die Neuwiederin. „Ich tue das gern.“
Und wenn Salvatore mit seinen dicken Pfoten und Schlappohren nun erst einmal eingezogen ist, hat Anita Lakotta auch bereits weitere Pläne für Dorothee. „Ich würde sie gern als Hundetrainerin ausbilden“, sagt sie. „Sie hat ein unglaubliches Gespür für Hunde. Und da sie selbst betroffen ist, weiß sie, worauf es ankommt.“
Wer sich für die Arbeit Anita Lakottas oder den Förderverein tiergestützte Intervention interessiert, kann sich via E-Mail mit ihr in Verbindung setzen a.lakotta@therapiehundezentrum-rhein-lahn.de