Verfahrensdauer in Lahnstein
Ist Amtsgericht Lahnstein das „langsamste im Land“?
Das Amtsgericht in Lahnstein ist für rund 58.000 Menschen zuständig – und genießt einen zweifelhaften Ruf. Eine oft lange Verfahrensdauer lässt Anwälte und Notare mitunter verzweifeln.
Tobias Lui

Zahlt jemand seine Miete regelmäßig nicht, bleibt dem Vermieter nur der Gang zum Amtsgericht. Doch bis zur erfolgreichen Räumungsklage kann viel Zeit vergehen. Vor allem im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts in Lahnstein.

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Amtsgerichte in Deutschland sind für kleinere und weniger komplexe Rechtsfälle zuständig. Es ist meist die erste Instanz und spielt daher eine wichtige Rolle im Justizsystem, weil es für die schnelle und unkomplizierte Klärung von Rechtsfragen sorgt. So weit die Theorie. Wie es nämlich auch gehen kann, zeigt der Blick nach Lahnstein. Das dortige Amtsgericht ist für rund 58.000 Menschen zuständig – und genießt einen zweifelhaften Ruf, spöttische Beschreibungen wie „das langsamste Amtsgericht in Deutschland“ machen die Runde. Verfahren, die an anderen Gerichten binnen weniger Wochen abgehandelt sind, ziehen sich in Lahnstein über Monate. Dies empfinden viele, die hier ihr Recht durchsetzen wollen, als Gängelung.

Mietnomadin in Braubach macht Vermieter zu schaffen

Das Amtsgericht in Lahnstein ist eines von 15 Amtsgerichten im Bezirk des Landgerichts Koblenz. „Zwei, drei Mal“ hatte Marcel Matern aus Braubach in der Vergangenheit mit diesem Amtsgericht zu tun, „das lief eigentlich immer zügig“, erinnert er sich. Doch was Matern seit Monaten erlebt, macht ihn sprachlos.

Es geht um eine Mietnomadin: Die junge Frau bewohnt eine Wohnung Materns in Braubach. Sie wohnt seit Dezember dort – und hat nach Materns Angaben genau einmal die Miete gezahlt. „Seitdem kommt nichts“, erklärt er. Zunächst habe er mit Verständnis reagiert, sogar Unterstützung angeboten. „Doch wir wurden nur angelogen – und frech wurde die Frau auch“, erinnert er sich. Irgendwann habe er dann „dichtgemacht“ und sei zum Anwalt gegangen: Räumungsklage. Die wurde am 2. April erhoben, die Gerichtskostenrechnung erfolgte schon am 9. April.

Gerichtskostenrechnung trudelt immer schnell ein

„Damit sind die immer schnell“, sagt Matern, der direkt zahlte. Dies war aber auch schon der letzte Kontakt mit dem Gericht in dieser Angelegenheit, seitdem herrsche Stillstand. Sein Anwalt bestätigt die Geschehnisse. Dabei seien Räumungsklagen „vorrangig und beschleunigt“ durchzuführen, wie der Anwalt aus dem Gesetz zitiert. Immerhin: Am Donnerstag, mehr als vier Wochen nach Antrag also, trudelte eine richterliche Verfügung ein. Auch für die Zukunft befürchtet der Anwalt, dass Zivilverfahren in Lahnstein nur mit „erheblichen zeitlichen Verzögerungen und nach mehreren Sachstandsanfragen bearbeitet werden“.

Nach Monaten wird um Stellungnahme zum eigenen Vorschlag gebeten

Denn es ist nicht nur der Mandant aus Braubach, dem die Wartezeiten am Amtsgericht in Lahnstein gegen den Strich gehen. „Ich erhalte nahezu wöchentlich Beschwerden oder Anfragen“, so der Anwalt. Ein besonders krasser Fall aus seiner Koblenzer Kanzlei, diesmal eine Zivilsache: Im März 2024 war Güteverhandlung, am 3. September folgte ein Beweisaufnahmetermin, im November 2024 dann der Vergleichsvorschlag. „Am 27. März und am 17. April habe ich Sachstandsanfragen gemacht, am 22. April dieses Jahres wurden wir dann um eine Stellungnahme zum eigenen Vergleichsvorschlag gebeten ...“, zeigt sich der Advokat fassungslos.

Verfahren über Mietforderungen zigfach verschoben

Der hat weitere Beispiele parat: Für eine andere Mandantin habe er bereits im Juli 2024 eine Zahlungsklage über Mietforderungen in Höhe von rund 15.000 Euro erhoben. „Am 18. September erfolgte eine erste Sachstandsanfrage.“ Weitere Sachstandsanfragen habe er am 21. und am 28. Oktober gestellt. Mit Schreiben vom 18. November sei dann ein erster Termin für den 28. Januar 2025 anberaumt worden. „Doch dieser wurde ,von Amtes wegen’ auf den 25. Februar verschoben.“ Damit nicht genug: Wegen einer „dienstlichen Veranstaltung“ sei der Termin erneut verschoben worden, diesmal auf den 25. März. Weil dann noch ein „Dezernatswechsel“ anstand, schließlich auf den 29. April. „Die Mandantin ist stinksauer, auch weil sie jeweils bei ihrem Arbeitgeber für die Verhandlungstermine Urlaub nehmen musste“, so der Anwalt. Wegen einer zwischenzeitlich erforderlich gewordenen Klageerweiterung sei der Termin zuletzt auf den 24. Juni verschoben worden – Fortsetzung folgt.

In vielen zeitraubenden Telefonaten muss man sich die Verärgerung und Beschwerden der Mandanten anhören und versuchen, die Verzögerungen bei Gericht, mit denen man nichts zu tun hat, zu erklären.
Ein Koblenzer Anwalt zu den langen Bearbeitungszeiten am Amtsgericht in Lahnstein.

Für einen weiteren Mandanten habe er am 20. Dezember 2024 eine Räumungsklage erhoben. „Die Gerichtskostenrechnung folgte am 30. Dezember, am 2. Januar wurde gezahlt.“ Gefolgt sei das Übliche: Drei Sachstandsanfragen zwischen Januar und April, erst dann sei ein Versäumnisurteil ergangen. „Ähnliche Wahrnehmungen haben auch andere Rechtsanwaltskollegen und Notare“, berichtet er. „In vielen zeitraubenden Telefonaten muss man sich die Verärgerung und Beschwerden der Mandanten anhören und versuchen, die Verzögerungen bei Gericht, mit denen man nichts zu tun hat, zu erklären.“ Dies sei unzumutbar, „zumal es offenbar ein Dauerzustand in Lahnstein ist“.

Direktor: Krankheitsfälle sorgen für die Verzögerungen

Doch woran liegen die Verzögerungen? Laut Homepage arbeiten beim Amtsgericht in Lahnstein 34 Mitarbeiter, seit 2017 ist Ludger Griesar hier Direktor, er folgte auf Ursula Hartmann-Schadebrodt. „Ich kann verstehen, dass der ein oder andere verärgert ist“, sagt Griesar auf Anfrage unserer Zeitung, ohne auf Einzelfälle einzugehen. „Aber auch ich kann nichts für die Personallage.“ Die Personalbedarfsberechnung sehe fünf Arbeitskraftanteile für diesen Bereich vor, erklärt er. „Dieser war auch bis zum 28. Oktober 2024 durch fünf Richter gedeckt.“ Seitdem sei allerdings eine im Zivilrecht eingesetzte Kollegin ununterbrochen dienstunfähig erkrankt. „Aufgrund dieser 20-prozentigen Unterbesetzung kam es in der Folge zu Verfahrensverzögerungen und Bildung von Rückständen, die durch die Vertretungsregelungen nicht abgefangen werden konnten.“

Diese Unterstützung reicht nicht aus, um die entstandenen Rückstände komplett abzubauen.
Direktor Ludger Griesar zur personellen Unterstützung in Lahnstein seit dem 1. Februar.

Seit dem 1. Februar dieses Jahres aber, so erklärt es der Direktor des Amtsgerichtes weiter, sei ein Richter mit 40 Prozent Arbeitskraft nach Lahnstein abgeordnet. Griesar: „Diese Unterstützung reicht aber nicht aus, um die entstandenen Rückstände komplett abzubauen.“ Dies habe die Konsequenz, „dass Verzögerungen in der Bearbeitung einzelner Verfahren unumgänglich sind“. Somit dürften auch in den kommenden Monaten Anwälte und Notare nicht um regelmäßige Erinnerungen oder Sachstandsanfragen in Lahnstein herumkommen.

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