Teil eins des Gesprächs
Interview: Lahnsteins OB über drei Jahre im Amt
Lennart Siefert blickt auf drei Jahre im Amt des Oberbürgermeisters zurück.
Stadtverwaltung/Dreiser

Es war ein Erdrutschsieg, den so kaum einer für möglich gehalten hatte: Im Herbst 2021 wurde Lennart Siefert mit 52,8 Prozent der Stimmen zum Oberbürgermeister von Lahnstein gewählt. Trotz zweier Gegenkandidaten und jahrzehntelanger CDU-Dominanz setzte mehr als jeder zweite Wähler sein Kreuz bei dem langjährigen Fraktionschef der Unabhängigen Liste. Dienstbeginn des heute 43-Jährigen war im Januar 2022. Eine lange Eingewöhnungszeit hat Siefert sich nicht gegeben, ging zahlreiche Vorhaben an. Doch ob nun gelungen oder nicht – eines haben fast alle Vorhaben des Frischlings im Amt gemein: Sie fanden unter großem öffentlichem Getöse statt. Darüber und über andere aktuelle Themen hat der Familienvater mit unserer Zeitung gesprochen.

Sie haben relativ zu Beginn Ihrer Amtszeit die Verwaltung neu organisiert. Wie weit sehen Sie sich auf diesem Weg?

Ich habe in der Tat begonnen, an vielen Baustellen gleichzeitig zu arbeiten. Das ist auch eine enorme Belastung für meine Mitarbeitenden, aber ich bin wirklich dankbar, dass man sich intern auf diese Umstellungen eingelassen hat. In einer Welt, die von dauerhaftem Wandel geprägt ist, ist man mit einem solchen Prozess nicht schnell fertig, sondern man muss sich immer wieder auf Neuerungen einlassen und wach sein für eine stetige Weiterentwicklung. Wer stehen bleibt, wird abgehängt.

Ich bin noch nicht fertig.
OB Siefert

Die ersten eineinhalb Jahre sind geprägt davon, sich einen Überblick zu verschaffen und gleichzeitig das immense Tagesgeschäft abzuarbeiten. Ich bin überzeugt, dass die Grundlagen gelegt sind. In Teilen hat das auch schon Früchte getragen, in anderen Fällen werden die Ergebnisse kommen. Zusammengefasst: Ich bin noch nicht fertig.

Was ist aus Ihrer Sicht gelungen, wo sind Sie gescheitert?

Die Sanierung des Alten Rathauses hat nach mehr als zwölf Jahren Stillstand begonnen ebenso wie der Ausbau im Hohenrhein, wir haben den Parkplatz in der Sebastianusstraße realisieren können, eine neue Website mit erheblich mehr digitalen Leistungen, im Service-Center ist Ruhe eingekehrt – Sie erinnern sich vielleicht an die zahlreichen Beschwerden vor drei Jahren. Auch haben wir im Bereich Photovoltaikanlagen zugelegt, werden das weiter ausbauen, zudem ist es mir gelungen, mit dem Windpark Lahnhöhe das größte Wirtschaftsprojekt der vergangenen 30 Jahre zu generieren. Wir haben Konzepte zur Wiederbelebung unserer Stadthalle umgesetzt, konnten die freiwilligen Leistungen für Ehrenamt und Vereine trotz der finanziellen Herausforderungen behalten, haben sogar einen zusätzlichen Fördertopf für Vereine geschaffen. Es gibt endlich wieder einen zentralen, großen Weihnachtsmarkt in der Stadt, das Theater läuft wieder mit einem vielfältigen Programm und ausverkauften Veranstaltungen – auch für junge Leute.

Ich tue ich Dinge, weil ich überzeugt von ihnen bin.
Stadtchef Siefert zur Außenwirkung mancher Entscheidung

Ich bedaure, dass es mir nicht gelungen ist, die Gremien davon zu überzeugen, die Freilichtspiele Mittelrhein und das geplante dreitägige Stadtfest zur „700+1-Jahr-Feier“ stattfinden zu lassen. Die Absage der beiden Veranstaltungen schmerzt mich schon sehr, denn gerade in diesen Zeiten der Unsicherheit sind diese Events, die Spaß und Freude bringen, notwendiger denn je.

Täuscht der Eindruck oder mögen Sie es gern laut und krachend?

Warum?

Viele Ihrer Vorhaben als Stadtchef – nehmen wir mal das Thema Theater als Beispiel – gingen nicht gerade geräuschlos über die Bühne, vieles wurde von medialem Tamtam begleitet. Aus der Kommunalpolitik wird immer wieder eine schlechte Kommunikation aus dem Rathaus bemängelt. Ziehen Sie sich diesen Schuh an?

Zunächst einmal tue ich Dinge, weil ich überzeugt von ihnen bin. Ich wurde zum OB gewählt – zumindest ist das meine Auffassung –, um Lahnstein voranzubringen und in eine gute Zukunft zu führen. Und auf diesem Weg gibt es nun mal auch Entscheidungen, die schmerzhaft sind, aber sein müssen.

Ich bin vorsichtiger geworden
Siefert zu Indiskretionen aus der Politik

Zur Kritik an meiner Kommunikation: Direkt nach Amtsantritt habe ich sehr, sehr offen und intensiv kommuniziert, lange Ältestenratssitzungen abgehalten, um ein möglichst einhelliges Meinungsbild zu erhalten. Der jetzige Vorsitzende der CDU-Fraktion hat sich damals deshalb sogar bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion beschwert. Auch wurden teils sensible Inhalte von nicht öffentlichen Sitzungen an die Medien weitergeleitet. Wenn Vertrauen durch Indiskretionen so missbraucht wird, kann man vielleicht nachvollziehen, dass es für mich schwieriger geworden ist, offen zu kommunizieren. Ich bin vorsichtiger geworden. Trotzdem suche ich aktuell das Gespräch mit allen Fraktionen, um für Verständnis zu werben, und hoffe, dies fällt auf fruchtbaren Boden. Und eines muss man ja auch mal festhalten: 95 Prozent der Beschlüsse im Rat sind einstimmig.

Viele große Themen werden sehr kontrovers diskutiert: die Verkehrsführung nach der Sperrung, die Zukunft des Jukz, der Kauf des Pfarrzentrums. Warum geht’s bei OB Siefert immer mit dem Kopf durch die Wand?

Eine lebendige Diskussionskultur ist doch Zeichen einer lebendigen Kultur. Mein Anspruch ist immer der, die Menschen mitzunehmen und in der Mehrheit zu überzeugen. Eines ist aber auch klar: Es allen recht machen, kann man nie. Das ist auch nicht mein Anspruch. Bei vielen Themen sind die Meinungen von Einzelinteresse geprägt, ich bin aber Oberbürgermeister aller Lahnsteinerinnen und Lahnsteiner.

Veränderungen können Einzelne manchmal mehr betreffen. Wer sich aber nicht verändert, der wird abgehängt.
Lennart Siefert

Veränderungen können Einzelne manchmal mehr betreffen. Wer sich aber nicht verändert, der wird abgehängt. Meine Wahrnehmung ist, dass es nicht die breite Masse ist, die kontrovers diskutiert. Ich führe viele konstruktive Diskussionen wie zuletzt mit den Einzelhändlern in der Bahnhofsstraße, die die von der Verwaltung vorgeschlagenen Entwicklungen ausschließlich sehr positiv begleitet haben. Viele Gespräche und Projekte werden außerdem auch abseits der breiten Öffentlichkeit und sozialer Medien geführt.

Dennoch werden viele Themen sehr emotional diskutiert, nehmen wir das Jukz. Der Förderverein wehrte sich mit Händen und Füßen gegen einen möglichen Umzug, warum ist es Ihnen hier nicht gelungen, zu überzeugen?

Ich habe wirklich daran geglaubt, dass es gerade dem Förderverein um die Institution Jukz geht und man nicht die Zukunft aufs Spiel setzt, weil man sich nicht offen mit dieser Zukunft beschäftigt. Der Verein fördert doch das Jukz als Institution und nicht ein Gebäude. Um eines ganz deutlich zu sagen – und das habe ich den Mitarbeitern des Jukz auch von Tag eins an versichert: Das Jukz als Institution muss unbedingt erhalten bleiben! Aber gerade deshalb ist es in Zeiten knapper werdender Ressourcen und finanzieller Mittel doch umso wichtiger, sich Gedanken um die Zukunft zu machen! Die Frage muss lauten: Wie können wir die Institution zukunftsfähig erhalten? Da haben wir als Verwaltung einen Plan – und ich bin froh, dass der Rat mehrheitlich beschlossen hat, eine Wirtschaftlichkeitsberechnung in Auftrag zu geben. Dann gibt es transparente Zahlen als Entscheidungsgrundlage.

Kritisiert wird in dem Zusammenhang, dass die Zahlen, die nötig wären, um das Gebäude zu sanieren, von der Verwaltung bisher extra hoch angesetzt werden ...

Wenn ich Zahlen in Vorlagen schreibe, stammen diese doch nicht aus meiner Fantasie! Die Fachleute aus unserem Bauamt haben anhand standardisierter Berechnungsverfahren den Kostenansatz ermittelt, der nötig wäre, um das Gebäude in Zukunft dauerhaft und uneingeschränkt nutzen zu können. Nun muss entschieden werden, ob wir uns das leisten wollen und können. Wenn das die Politik so entscheidet, kann ich damit leben. Wer aber A sagt, muss auch B sagen. Ich kann doch nicht kategorisch sagen, es bleibt alles so, wir öffnen unseren Horizont nicht für alternative Überlegungen.

Wir müssen versuchen, Gelder nachhaltig, zukunftsorientiert und bedarfsorientiert einzusetzen.
Lennart Siefert zu knappen Kassen

Das ist aus meiner Sicht zwar kurzsichtig, aber das habe ich zu akzeptieren. Was ich aber nicht akzeptiere, ist, wenn eine Fraktionsvorsitzende behauptet, ich würde den Einbau von Behindertentoiletten im Jukz verhindern und so die Rechte von Behinderten nicht wahren. Das war eine demokratische Mehrheitsentscheidung des Ausschusses. Damit muss auch eine Fraktionsvorsitzende leben, wie ich es bei anderen Entscheidungen auch tun muss. Ein Letztes von mir dazu: Wir müssen versuchen, Gelder nachhaltig, zukunftsorientiert und bedarfsorientiert einzusetzen. Daher ist eine Investition in die Institution Jukz super sinnvoll. Aber ist es wirklich sinnvoll, dieses an dieser Stelle zu belassen? Ich habe hier eine andere Meinung. Den Mitarbeitenden ist es wichtig, die wertvolle Arbeit weiter ausüben zu können – unabhängig vom Gebäude.

Sie würden in der Wilhelmstraße gern die benachbarte Kita Arche Noah unterbringen...

Wir können doch nicht so tun, als ob es das Thema fehlender Kitaplätze nicht gäbe. Im Prinzip ist alles miteinander vernetzt. Und es muss doch erlaubt sein, offen zu denken. Kann man dies nicht, nimmt das jegliche Kreativität, was für die Entwicklung einer Stadt schlecht ist. Ich streite mich auch gern um die besten Ideen und Pläne. Aber man muss mir dann auch sagen, wie es mit der Kita Arche Noah weitergehen soll, wenn das Jukz in der Wilhelmstraße bleibt. Konkret ist hier der Weiterbestand einer Kita durch eine neue gesetzliche Regelung akut gefährdet. Die Verlagerung dieser Plätze an einen anderen Standort wird nicht gefördert und verhindert zudem an diesem neuen Standort die Schaffung neuer Plätze. Wir müssen aber Betreuungsplätze schaffen und nicht verlagern. Auch deshalb bin ich sehr froh über die Entscheidung, eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung machen zu lassen: Welche Flächen brauchen wir, welche haben wir, wie können diese genutzt werden, was ist nötig an Sanierungen? Derzeit planen wir, die genaue Aufgabenstellung mit dem Rat auszuarbeiten und dann gemeinsam ein Fachbüro mit der Ausarbeitung zu beauftragen.

Kommen wir zum Haushaltsplan: Sie haben dagegen gestimmt, weil der Rat eine Erhöhung der Grundsteuer B abgelehnt hat. Was glauben Sie: Wie hätte der ULL-Fraktionschef Siefert auf den Vorschlag der Verwaltung Labonte reagiert, die Grundsteuer B nahezu zu verdoppeln?

Das mit der Verdopplung ist so nicht korrekt. Wir haben eine Grundsteuerreform, die Situation ist also nicht mit der Vergangenheit zu vergleichen. Und diese Grundsteuerreform hat nicht ein OB Siefert zu verantworten! Das geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Entscheidungen der damaligen Großen Koalition zurück. Wir müssen es umsetzen. Ich habe einen Vorschlag gemacht, die Grundsteuer zu erhöhen. Denn: Früher hat die Aufsichtsbehörde ADD auch hochdefizitäre Haushalte genehmigt, sodass nie die Notwendigkeit bestand, schmerzhafte Einsparungen zu bringen. Das hat lange funktioniert. Doch diese Marschrichtung ist vorbei, das Land fordert bis auf wenige Ausnahmen ausgeglichene Haushalte.

Zudem habe ich eine völlig andere Rolle als früher: Ich bin heute dafür verantwortlich, dass die Stadt funktioniert: Alle Pflichtaufgaben wie die großen Investitionen in Kindergärten, Schillerschule, Straßenausbau von Hohenrhein, Lindenweg und Emser Straße, Bau der neuen Lahnbrücke, Sanierung des Alten Rathauses et cetera. Aber auch die vielen freiwilligen Leistungen der Stadt: Bäder, Stadtbibliothek, Theater, Jukz, Vereinsförderung, Sporkenburger Hof, Sporthallen und, und, und. Wir haben ein riesiges Angebot, welches wir fortführen wollen. Das geht aber nur, wenn wir unseren Haushalt genehmigt bekommen. Die Frage, vor der ich stand: Wie kriege ich es hin, dass wir eine Genehmigung bekommen, obwohl wir ein Defizit haben? Dafür ist laut ADD eine maximale Kraftanstrengung notwendig. Hierzu gehört neben einer effizienten, modernen Verwaltung und dem Fokus auf nachhaltige Investitionen – wie unser zukünftiger Windpark – auch eine Erhöhung der Grundsteuer.

Die Fragen stellte Tobias Lui

Im zweiten Teil des Interviews spricht Lahnsteins OB über das Thema Verkehrsführung.

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