Im Rhein-Lahn-Kreis könnten bald vier Kliniken zu einer großen verschmelzen - Das würde allen helfen, dürfte aber auch Proteste auslösen
Im Rhein-Lahn-Kreis könnten bald vier Kliniken zu einer verschmelzen: Das Gesundschrumpfen der Krankenhäuser

Aus vier mach eins: Nach Informationen unserer Zeitung soll im Rhein-Lahn-Kreis von dem St.-Elisabeth-Krankenhaus in Lahnstein …

Rheinland-Pfalz. Für die Klinikexperten der Bertelsmann Stiftung dürfte die Krankenhauskrise im Rhein-Lahn-Kreis eine Steilvorlage sein. Sie hatten dieses Jahr in einer Studie ermittelt, dass deutschlandweit mehr als jedes zweite Krankenhaus geschlossen werden könnte, ohne dass sich die Versorgung der Patienten verschlechtern würde. Im Rhein-Lahn-Kreis könnte es sich noch drastischer entwickeln, indem von vier angeschlagenen in Kürze nur noch ein Krankenhaus übrig bleibt – und zwar am Standort der Paracelsus-Klinik in Bad Ems.

Unsere Redakteure Christian Kunst, Tobias Lui und Carlo Rosenkranz analysieren die Lage der Krankenhäuser im Rhein-Lahn-Kreis

Im Raum steht eine Investition von 30 bis 40 Millionen Euro. Voraussetzungen sind eine 100-prozentige Förderung durch das Land und eine Vermittlung des Gesundheitsministeriums bei den Gesprächen zwischen den Trägern. Das haben Recherchen unserer Zeitung ergeben.

Aktuell stehen im Rhein-Lahn-Kreis vier Krankenhäuser im Fokus, die allesamt für sich genommen aus Sicht von Experten als nicht überlebensfähig gelten. Zugleich sind sie aber auch nicht unverzichtbar, haben also alle keinen Anspruch auf Sicherstellungszuschläge wie in Kirn oder Zell. Hintergrund ist vor allem, dass es ausreichend Kliniken in erreichbarerer Distanz etwa im Westerwald oder in Koblenz gibt.

Spätfolgen der Insolvenz

Eine der vier Kliniken im Rhein-Lahn-Kreis ist die Paracelsus-Klinik in Bad Ems, ein Grund- und Regelversorger mit gerade einmal 140 Betten, von denen derzeit nach Informationen unserer Zeitung nur 100 für Patienten verfügbar sind, weil drei Stationen renoviert werden. Es sind die Spätfolgen der Insolvenz in Eigenverwaltung des Klinikträgers Paracelsus, die erst durch die Übernahme durch die Schweizer Beteiligungsgesellschaft Porterhouse Group AG ein glimpfliches Ende fand. Trotzdem hat die Paracelsus-Klinik in Bad Ems im Krisenjahr 2018 ein Defizit im einstelligen Millionenbereich angehäuft, heißt es.

Dann sind da die beiden Fachkliniken der Katholischen Kliniken Lahn (KKL) GmbH, die Hufeland-Klinik in Bad Ems mit 205 Betten für Lungenerkrankungen und Naturheilmedizin – davon 100 Rehabetten – und das Marienkrankenhaus in Nassau mit 70 Betten für geriatrische Patienten. Die KKL hat gerade ebenfalls einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt. Auch diese beiden Kliniken sollen 2018 ein Defizit im siebenstelligen Bereich erreicht haben, nachdem es 2017 knapp 400.000 Euro betrug. Dabei stehen die KKL-Kliniken eigentlich nicht allein da. Sie gehören zum durchaus kapitalträchtigen Elisabeth-Vincenz-Verbund (EVV) – mit bundesweit 15 Krankenhäusern einer der größten katholischen Krankenhausträger in Deutschland.

Eines dieser Häuser ist das Lahnsteiner St.-Elisabeth-Krankenhaus, das wie die Paracelsus-Klinik über 140 Betten verfügt. Dem Vernehmen nach ist die Lahnsteiner Klinik noch die wirtschaftlich gesündeste der vier Häuser. Als die Insolvenz der KKL verkündet wurde, betonte man seitens des EVV immer wieder, dass die Lahnsteiner Klinik davon nicht betroffen sei. Allerdings liegt auf der Hand, dass es dem kleinen Krankenhaus vor den Toren der Region Koblenz, in der es gleich mehrere, um Patienten konkurrierende Großkliniken gibt, künftig immer schwerer fallen wird, wirtschaftlich zu überleben – zumal einige Kilometer entfernt die Paracelsus-Klinik um die gleichen Patienten buhlt. Und bereits seit Jahren gibt es zwischen den beiden Kleinkliniken im Rhein-Lahn-Kreis einen Wettkampf um Pflegekräfte und Ärzte.

Bezeichnend war die Pressemitteilung, die Paracelsus keine 24 Stunden nach dem angekündigten KKL-Insolvenzverfahren verbreitete. Darin hieß es: „Paracelsus bedauert diese Entwicklung und bietet zugleich an, seinen eigenen Beitrag zur Gewährleistung einer stabilen und sicheren medizinischen Versorgung auf qualitativ hohem Niveau zu verstärken.“ Durch Konzentration und Fortführung der „unverzichtbaren Leistungsangebote mit Unterstützung der Paracelsus-Klinik könnten die von der Insolvenz betroffenen medizinischen Leistungsstrukturen weitgehend erhalten und die Qualität der Versorgung sogar weiter verbessert werden.“ Dr. Martin Siebert, der Vorsitzende der Geschäftsführung des deutschlandweit tätigen privaten Klinikbetreibers Paracelsus, forderte dazu die Unterstützung aller Beteiligten und Betroffenen – nicht zuletzt mithilfe des Landes Rheinland-Pfalz und des Landkreises. „Paracelsus steht bereit, die notwendigen Schritte samt der erforderlichen Investitionen für ein stabiles regionales Versorgungskonzept voranzutreiben.“

Wer zwischen den Zeilen liest, findet darin die Blaupause für die künftige Krankenhausstruktur im Rhein-Lahn-Kreis. Unter dem Dach der Bad Emser Paracelsus-Klinik könnte in vier bis fünf Jahren ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung für den gesamten Kreis entstehen – mit zusätzlichen Betten und unter Einbeziehung der beiden insolventen Fachkliniken, die dann dort Fachabteilungen wären. Nach Informationen unserer Zeitung wäre es sogar denkbar, dass die Klinik mehrere Träger bekommt – Paracelsus und EVV. Vor der Insolvenz der KKL soll es bereits entsprechende Gespräche gegeben haben. „Das ist aber am Geld gescheitert“, sagt ein Insider. „Und dafür braucht es einen längeren Atem, der dem EVV offenbar gefehlt hat.“ Stattdessen habe man jetzt den Weg der Insolvenz in Eigenverwaltung gewählt. Gefordert sei deshalb jetzt auch das Land, heißt es aus den Verhandlerkreisen. „Da fehlt bislang aber die Entschlossenheit, die nötigen Strukturreformen anzupacken.“

Möglicherweise könnte durch das Insolvenzverfahren der KKL aber neue Bewegung in die Verhandlungen kommen – obwohl das Team um Interimsgeschäftsführer Dr. Jan Schlenker und den Generalbevollmächtigten Stefan Denkhaus alle Optionen wie den Einstieg eines externen Investors prüft. Doch Schlenker betont: „Man kann Krankenhäuser wirtschaftlich nur nachhaltig führen, wenn angemessen große Strukturen vorhanden sind. Je mehr Standorte man in einem strukturarmen Gebiet hat, umso schwieriger ist es, eine ausreichende Wirtschaftlichkeit herbeizuführen.“ Und bezogen auf den nordwestlichen Rhein-Lahn-Kreis sagt er: „Wenn alle vier Einrichtungen unter einer Trägerschaft stünden, dann ließe sich die Grund- und Regelversorgung in Verbindung mit der Spezialversorgung in den Bereichen Geriatrie und Pneumologie an einem Standort sicherstellen.“ Die Gespräche für eine solche Großlösung seien jedoch vorerst gescheitert. Schlenker geht aber davon aus, dass die Leistungen des Standortes Nassau künftig an anderen Standorten erbracht werden.

Trotz der Insolvenz betont der Interimsgeschäftsführer: „Wir haben mit den zwei Kliniken zwei wirkliche Nischenprodukte, zwei Perlen. Eine Pneumologie mit Rehabetten wie an der Hufeland-Klinik gibt es deutschlandweit nur an einem weiteren Standort. Und auch eine Geriatrie wie in Nassau ist nicht so weit verbreitet. Doch beide Kliniken haben ein strukturelles Problem. Jedes Haus hat eine eigene Pforte, eine Küche oder eine Endoskopie. Diese Vorhaltekosten können so kleine Häuser nicht finanzieren. Wären es Fachabteilungen in einem Krankenhaus, würde sich das rechnen.“

Proteste auch an der Lahn?

Vieles spricht also für eine Einhauslösung im Rhein-Lahn-Kreis. Die Frage dürfte sein, wie Bürger und Kommunalpolitiker in Lahnstein und Nassau reagieren, wenn ihnen „ihr Krankenhaus“ genommen wird. Wie im Streit um den Standort der neuen DRK-Klinik im Westerwald oder der von der Marienhaus GmbH angedrohten Schließung der Loreley-Kliniken in St. Goar und Oberwesel dürfte es auch an der Lahn Proteste geben. Deshalb geht es auf dem Weg zu einer Einhauslösung auch darum, was aus den dann leer stehenden Kliniken in Lahnstein und Nassau wird. Doch das ist nichts Neues: Auch in Koblenz gibt es Überlegungen, das künftig nicht mehr als Klinik gebrauchte Evangelische Stift in der südlichen Vorstadt in ein Seniorenzentrum umzuwandeln.

Außerdem wiegt es schwer, dass die derzeitige Krankenhauslandschaft mit vier nicht überlebensfähigen Kliniken alle Beitrags- und Steuerzahler massiv belastet. So zahlt die Bundesagentur für Arbeit die Gehälter der 250 Beschäftigten der KKL-Kliniken für drei Monate. Legt man die Personalkosten des Jahres 2017 zugrunde, wären dies allein für diese Insolvenz 3 Millionen Euro an Beitragsgeld. Eine ähnliche Summe dürfte 2018 auch für die Paracelsus-Klinik in Bad Ems geflossen sein. Hinzu kommen millionenschwere Fördermittel des Landes, die in den vergangenen Jahren in eine – wie sich jetzt zeigt – wirtschaftlich nicht tragfähige Struktur geflossen sind. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Qualität der Behandlung in größeren Krankenhäusern erwiesenermaßen besser ist, würde eine Einhauslösung auch den Patienten im Rhein-Lahn-Kreis zugutekommen.

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