„Es ist traumhaft schön hier. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben“, berichtet Billie Griebler (61). Eine solche Aussage erwartet man wohl kaum von einem Menschen, der sich im Hospiz befindet, seiner letzten Station im Leben. Hier gibt es keine Patienten, sondern Gäste. Eine von ihnen möchte reden und ihre Erlebnisse mit anderen teilen. Billie Griebler ist seit etwa drei Wochen im Hospiz. Sie lebt im Gänseblümchenzimmer. Ein Zimmer, das voller Erinnerungen ist. Es hat keine Nummer, denn – so der Initiator des Hospizes und Vorsitzender des Fördervereins Stationäres Hospiz Rhein-Lahn, Martin Schencking – alle der acht Zimmer haben Blumen- oder Baumnamen statt Ziffern.
Das Gänseblümchenzimmer hat Billie Griebler ganz nach ihren Vorstellungen gestaltet. Da ist ein Osterstrauß mit selbst gehäkelten Eiern und Häschen, Bildern und Bastelarbeiten, die ihr Freunde geschickt haben. Durch die Musik und das Origami hat die Dausenauerin Freunde in aller Welt. Sie stammt aus Freiburg im Breisgau, wohnte dann in Bad Ems und kaufte 2014 mit ihrem Mann in Dausenau ein Haus.
Alles schien gut, bis 2019 bei ihr ein bösartiges Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert wurde. Und dann auch noch Lungenkrebs. Sie wollte weder Bestrahlung, Chemotherapie noch Operation. „Ich hatte noch fünf gute Jahre“, sagt sie. Doch nun ist der Krebs „überall“, im Rücken, den Beinen und im Gehirn. Eine indische Freundin, die in Kalifornien lebte, hatte ebenfalls die Diagnose Lungenkrebs und alle Behandlungsschritte durchgemacht. Dennoch ist sie letztes Jahr verstorben.

„Und ich bin immer noch da. Das ist ein Wunder“, sagt Billie Griebler, „die müssen mich hier noch etwas aushalten.“ Ihr nächstes Ziel liegt nur ein paar Tage entfernt: ein Wohnzimmerkonzert im Hospiz zu ihren Ehren. Organisieren könne sie, selbst noch im Hospiz. Organisiert hat sie früher Musikevents wie „Rock im Tal“ in Nassau und in Dienethal oder das Pellenzer Open Air in Plaidt.
Ihre zwölfseitige Gitarre, die sie zur Konfirmation bekam und die jetzt ebenso wie ein Didgeridoo im Gänseblümchenzimmer steht, sind eine schöne Erinnerung daran. Dank eines Lehrers aus Senegal kann sie auch afrikanische Trommel. Die würde sie sich gerne auch in Hospiz holen, „aber das wäre vielleicht zu laut“, meint sie. Ganz klar auch die Entscheidung, dass – obwohl sie ihn sehr vermisst – Kater Tommy zu Hause in Dausenau bleibt. Das wäre hier zu stressig für ihn und er würde sich unter dem Bett verkriechen, ist sie überzeugt.
Im vergangenen Jahr musste sich Billie Griebler dann auch noch einer Wirbelsäulen-OP unterziehen. „Das war schlimm“, erinnert sie sich. Aber es kam noch schlimmer. Nach 40-jähriger kinderloser Ehe trennte sich ihr Ehemann von ihr. „Das war ganz schrecklich für mich.“ Doch ihr Ex-Mann besucht sie im Hospiz und kümmert sich liebevoll.

Wie sie sich gerade fühlt? Die Schmerzen seien relativ niedrig dank der hier eingesetzten Opiate. „I am legaly high“, lacht sie. Billie Griebler sei ein Paradebeispiel dafür, was die Palliativmedizin und eine adäquate individuelle Medikation bewerkstelligen können, erläutert Ariane Schencking. Sie ist im Hospiz für die psychosoziale Begleitung und die Ehrenamtskoordination zuständig. „Wir wünschen uns, dass unsere Gäste früh genug kommen und noch eine glückliche und schöne Zeit erleben können“, sagt sie. Hier wird auf das Wohlbefinden und die letzten Wünsche der Gäste großen Wert gelegt. Erst kürzlich brachte ein Letzte-Wünsche-Bus einen Gast an die Südliche Weinstraße zu seiner verspäteten Hochzeitsreise mit seinem Mann.
Während das Wohnzimmerkonzert näher rückt, folgt Billie Grebler weiter ihrer kreativen Ader. Sie faltet Origami. Ein Papier mit dem Peace-Zeichen hat sie schon ausgesucht für Steven, den netten Ehrenamtler. Für ihn will sie einen Kranich falten, weil der für Glück, Gesundheit und Frieden stehe.
Vor 20 Jahren hat ihr das kaum einer noch zugetraut. Dagegen stand die Diagnose paranoide Schizophrenie. Nie wieder werde sie stricken und häkeln können. Doch Billie Griebler erkämpfte sich nach und nach alles zurück. Zugunsten der Tierfreunde im Nassauer Land strickte sie so 40 Paar Socken, die in einem Geschenkeladen in Diez verkauft wurden. Heute sei ihr Psychiater stolz auf sie. Eines hat sie sich auch behalten: das Zeichnen. Das brauchte sie bei ihrer Arbeit im Wasser- und Schifffahrtsamt in Koblenz und in einem Ingenieurbüro.
„ Ich habe so ein Glück, dass ich hier bin.“
Billie Griebler, Gästin im Hospiz Rhein-Lahn in Nassau
Ins Hospiz kam Billie Griebler über einen Sozialarbeiter im Krankenhaus Montabaur. „Obwohl es dort sehr gut war, geht es mir hier viel, viel besser als im Krankenhaus, ich habe so ein Glück, dass ich hier bin“, konstatiert sie. Das Zimmer mit der Terrasse gefällt ihr, das „Superteam“, der Raum der Stille, in den man sie im Rollstuhl bringe und nicht zuletzt, dass man sich auch mal in den Arm nehmen könne. Dabei hat sie den kleinen Elefanten aus Speckstein in der Hand, den ihr eine Freundin machte: „Der gibt mir Kraft.“
Auf ihrem Bett sitzend schaltet Billie ihren Laptop auf dem Beistelltisch an und zeigt nicht nur die Fotos ihrer Freunde. Sie ruft auf Youtube auch sich selbst auf mit ihrer Interpretation des von ihr komponierten Songs „Always in White“. Das waren noch Zeiten. Aus welchen Zeiten die Darbietungen ihrer drei Freunde sein werden, die das Wohnzimmerkonzert für sie und alle im Hospiz gestalten wollen, darauf ist sie gespannt und sie freut sich sehr darauf.
Doch Billie geht es immer schlechter. Zweien der Musiker, die eine weite Anreise für das Wohnzimmerkonzert hätten, sagt sie ab. Dann ist der Mittwoch da. Kurz vor 17 Uhr füllt sich das Wohnzimmer im Hospiz mit rund 20 Zuhörerinnen und Zuhörern. Eine Bewohnerin des Hospizes im Rollstuhl ist da, Tierfreunde aus dem Nassauer Land, Pflegepersonal, auch solches, das eigentlich frei hätte, ehrenamtliche Helfer und persönliche Freunde. Alle haben gebangt, ob Billie ihr Konzert noch erleben wird.
„ Es war eine Erlösung für sie.“
Freund und Singer-Songwriter Stephan Maria Glöckner
Die Terrassentür wird aufgelassen, damit Billie im angrenzenden Gänseblümchenzimmer die Musik noch hören kann. Der Freund und Singer-Songwriter Stephan Maria Glöckner aus Mendig an der Akustikgitarre und Wolfgang Griebler (Percussion und Handpan) aus Dausenau spielen zum ersten Mal zusammen und geben alles. Wunderbare Lieder mit anspruchsvollen Texten. Auf Deutsch, Englisch und Portugiesisch. Letztere stammen aus Glöckners Zeit, in der er in Brasilien mit seiner Band Menino auf Tournee war. „Chaos im Kopf“, Billies Lieblingslied, ist das erste auf dem Programm. Besondere Bewunderung gilt Wolfgang Griebler, dem Ex-Ehemann. Das Konzert habe ihm gutgetan und ihn abgelenkt, wird er später sagen.
„Macht es unbedingt. Ich bin irgendwie dabei“, hat Billie Griebler sich mit letzter Kraft und unter laufenden Schmerzmittelpumpen noch gewünscht und auch ein Lied für ihre Freundin Marianne, die an diesem Tag Geburtstag hat, in Auftrag gegeben. Doch sie erreicht ihr Ziel nicht. Kurz vor dem Konzert stirbt Billie Griebler um 15.35 Uhr. „Es war eine Erlösung für sie“, sagt Stephan Maria Glöckner. Zum Ende des Wohnzimmerkonzertes als würdige Abschiedsfeier wünscht er: „Gute Reise, Billie“.