Am 14. Januar 1324 verlieh König Ludwig IV. Stadtrechte für Bad Ems. Das ist, vereinfacht gesagt, das Ereignis des Tages vor genau 700 Jahren. Aber was ist in der Geschichte und in der Politik schon einfach? Wieso feiern wir in diesem Jahr, und wieso feierten die Emser bereits vor 100 Jahren ein Ereignis, von dem in Bad Ems vor 700 Jahren zunächst einmal niemand etwas mitbekam? Was brachten die Stadtrechte der Bevölkerung? Und wo ist überhaupt die Urkunde? Grund genug für den Verein für Geschichte, Denkmal- und Landschaftspflege (VGDL), zu Beginn des Jubiläumsjahres einige Fragen zu klären und zu schauen, was es eigentlich mit den Stadtrechten auf sich hat.
Nach dem Ende der Römerzeit gab es im Rheinland nur ganz wenige Städte, durchweg auf der linken Rheinseite. Am oberen Mittelrhein etwa sind Andernach, Koblenz und Boppard zu nennen. Mittelalterliche Städte unterschieden sich in einigen Merkmalen von Dörfern. Dazu gehörten in der Regel eine gewisse Größe, eine Wirtschaftsstruktur, die von Handwerk und Handel geprägt war, eine Befestigung und ein Stadtrecht mit Freiheiten, Gerichtsbarkeit und Organen einer Selbstverwaltung.
Im Hochmittelalter kam es in Mitteleuropa zu einem Bevölkerungswachstum. Handel und Gewerbe blühten auf und damit das Städtewesen. Zunehmend erteilte der König Stadtrechte und förderte damit die wirtschaftliche Entwicklung. Neben den Reichsstädten, die nur ihm unterstanden, erteilte der König auch Landesherren Privilegien für landesherrliche Orte. Ein frühes Beispiel auf der östlichen Seite des Mittelrheins ist Braubach im Jahr 1276.
Es gab massenhafte Verleihungen des Stadtrechts im 14. Jahrhundert
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts kam es zu sehr vielen Stadtrechtsverleihungen, vor allem unter König Ludwig IV. (dem Bayern), etwas abgeschwächt unter seinem Nachfolger Karl IV. Die Landesherren erbaten vom König und erhielten von ihm Privilegien auch für kleine Orte oder auch für einzelne Burgen. Empfänger der königlichen Urkunden war also keinesfalls der Ort selbst, sondern der jeweilige Landesherr.
Schauen wir uns nur einen kleinen Ausschnitt der damaligen deutschen Landkarte an, das Rhein-Lahn-Dreieck: Kaiser Heinrich VII. verlieh 1312 Graf Diether von Katzenelnbogen Stadtrechte für Katzenelnbogen. König Ludwig IV. (1314 bis 1347) vergab Privilegien zum Beispiel 1321 an Erzbischof Balduin von Trier für Balduinstein, 1324 an Erzbischof Mathias von Mainz für Oberlahnstein, im selben Jahr an Graf Emich von Nassau für Ems und Hadamar, 1329 an die Grafen von Diez für Diez, 1332 an den Erzbischof von Trier für Niederlahnstein und zugleich noch einmal für Balduinstein. Im Jahr 1348 stellte sein Nachfolger Karl IV. den Grafen Adolf und Johann von Nassau eine Urkunde für Nassau, Scheuern und Dausenau aus.
Es ist klar: Hier ging es nicht in erster Linie darum, Zentren der überregionalen Wirtschaft zu schaffen, Orte, an denen Handelsströme zusammenflossen, ein hoch spezialisiertes Handwerk innovativ wirkte und ein reichhaltiges Gewerbe zu einem soliden Fundament der Staatsfinanzen wurde. Hier ging es zunächst einmal um Politik.
Der König oder Kaiser brauchte die Unterstützung der Landesherren. Heinrich VII. dankte dem Grafen von Katzenelnbogen mit den Stadtrechten dafür, dass er ihn auf dem Zug zur Kaiserkrönung nach Rom begleitet hatte, und drückte seine Hoffnung aus, dass Katzenelnbogen auch künftig ihn und das Reich unterstützen werde. Ebenso war die Stadtrechtsverleihung für Ems ein Mosaikstein der großen Reichpolitik.
Kurfürsten konnten sich nicht auf einen Kandidaten einigen
Im Jahr 1314 hatten sich die Kurfürsten nicht auf einen Kandidaten einigen können, und es kam zu einer Doppelwahl des Königs. Die Herzöge Friedrich der Schöne von Habsburg und Ludwig von Bayern aus dem Haus Wittelsbach rangen um Macht, bis Ludwig sich 1322 militärisch durchsetzen konnte. Zu jenen, die sich auf die Seite des Siegers schlugen, gehörte auch Graf Emich von Nassau. König Ludwig dankte es ihm, indem er 1324 Emich für seine Residenz Hadamar und für Ems Stadtrechte verlieh und den Grafen politisch damit noch fester an sich band.
Die Urkunde von 1324 ist nicht erhalten. Bereits in der Festschrift zur 600-Jahr-Feier im Jahr 1925 hat Paul Wagner vom Staatsarchiv Wiesbaden festgestellt, dass im Dillenburger Archiv, das inzwischen Teil des Staatsarchivs war (und ist), weder das für Graf Emich ausgestellte Original noch eine Abschrift erhalten ist, wie sie dort von allen wichtigen Urkunden stets angefertigt wurde. Er folgerte daraus, dass die Urkunde wohl schon sehr früh verloren ging.
Erhalten ist sie nur in einem Registerauszug, den ein Kanzleibeamter König Ludwigs namens Berthold anfertigte und der heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München aufbewahrt wird. Wagner ließ den Auszug eigens noch einmal in München auf seine Glaubwürdigkeit prüfen und veröffentlichte ihn in der damaligen, von Adolf Bach herausgegebenen Festschrift der Stadt Bad Ems: „Item dominus Rex liberavit Nobili viro Emchoni comiti de Nassawe duo oppida Eumetz et Hadamar ad instar Civitatis franchenfurden (sis) et quod possit ea muro et fossatis circum cingere et munire. Datum in franchenfurt XVIIII kalend. febr. anno domini MCCCXXIIIIo Regni vero nostri anno Decimo.“
Wie üblich, ist in solchen Urkunden nicht ausdrücklich von „Stadtrechten“ die Rede, sondern von einer Freiung. Der König freite dem Grafen seine beiden „oppida“ Ems und Hadamar, um dort Städte nach Frankfurter Stadtrecht einzurichten und sie mit Mauern und Gräben zu umgeben. Die Urkunde wurde in Frankfurt am Main ausgestellt, wo sich der König gerade aufhielt. Die Datierung erfolgte nach dem damals geltenden julianischen Kalender und entspricht nach dem heutigen Kalender dem 14. Januar 1324. Wagner hält es für möglich, dass die Urkunde im Original auch noch die Verleihung eines Wochenmarktes gestattete, denn das war einer der Hauptzwecke einer Stadtrechtsverleihung.
Urkunde brachte dem Landesherrn mehr Rechtssicherheit
Wie fast alle damaligen Stadtrechtsurkunden so wurde auch diese nicht der Stadt ausgestellt, sondern dem Stadtherrn, dort also dem Grafen von Nassau. Die Bevölkerung bekam davon zunächst gar nichts mit. Für den Landesherrn brachte eine solche Urkunde vor allem eine größere Rechtssicherheit in seiner Herrschaft. Im Mittelalter waren nämlich sehr unterschiedliche Formen der Herrschaft nebeneinander wirksam, etwa Grund-, Lehns- oder Pfandherrschaft. Erst allmählich gelang es, einen Territorialstaat aufzubauen.
Die Bewohner von Ems wurden mit der Freiung zu Untertanen des Grafen, auch wenn sie noch zu einer Grundherrschaft wie dem Stift St. Kastor gehörten oder Leibeigene eines anderen Herrn, etwa des Erzbischofs von Trier, waren. Infolge der Urkunde waren die Emser fortan persönlich frei, während die Bewohner der meisten Dörfer in ihrer Nachbarschaft noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts Leibeigene blieben.
Freiheiten, Befestigung und ein Markt?
Die meisten der massenhaften Stadtrechtsverleihungen galten kleineren Ortschaften, die sich sehr unterschiedlich entwickelten und oft nur Ansätze von städtischen Merkmalen ausprägten. Man spricht daher auch von Minderstädten. Wie sich die Urkunde für Bad Ems auswirkte, ist nicht konkret nachvollziehbar. Anders sah es für Nassau, Scheuern und Dausenau aus. Im Jahr 1348 erteilte König Karl IV. den Grafen Adolf und Johann von Nassau das Recht, auf ihren Gütern zu Nassau, Scheuern und Dausenau drei Städte aufzurichten und zu befestigen.
Die drei Städte sollten Recht, Gericht, Kaufmannschaft und Freiheiten haben wie andere Städte des Reichs. Die Urkunde gab den Grafen erhebliche Möglichkeiten zur Entwicklung. 1355 stellte Graf Adolf den Gemeinden Nassau und Dausenau – von Scheuern war nicht mehr die Rede – eine Urkunde aus, mit der er die Freiheiten bestätigte. Zugleich bewilligte der Graf einen Wochenmarkt. Diese Urkunde stellte also der Graf den Gemeinden aus. So hat sie sich im Archiv der Gemeinde Dausenau erhalten und wird heute im Verbandsgemeindearchiv Bad Ems-Nassau aufbewahrt, während die Ausfertigung für Nassau nicht erhalten ist.
In den gefreiten Orten entwickelte sich ein bescheidenes Gewerbe, jedoch blieben Landwirtschaft und Weinbau für die ganze Region, auch für die „Städte“ vorherrschend. Ems wird weiterhin „Dorf“ genannt, ab dem 16. Jahrhundert auch „Flecken“, womit ein größeres Dorf gemeint ist, aber bis um 1800 war nie von „Stadt“ die Rede. 1379 verlieh Graf Rupert von Nassau Ems einen Jahrmarkt auf Bartholomäus (24. August) sowie einen Wochenmarkt. Falls diese jemals realisiert wurden, bestanden sie nicht lange, denn im 17. und 18. Jahrhundert gab es keinen Markt. Der heutige Bartholomäusmarkt ist erst 1927 entstanden.
Als Merkmale einer gewissen kommunalen Selbstverwaltung können wir das ab 1455 nachweisbare Gerichtssiegel sehen, ebenso das 1379 erwähnte Schöffenhaus, ein Vorläufer des Rathauses. Schwierig ist es mit dem 1324 erwähnten Recht zu einer Befestigung mit Mauer und Graben. In Dausenau wurde bekanntlich eine imposante Stadtmauer errichtet, die von Nassau wurde allerdings erst im 16. Jahrhundert erbaut. Größere Dörfer waren oft mit einem Graben umringt. Der ist auch für das Dorf Ems nachweisbar, aber es ist fraglich, ob hier ein Zusammenhang mit den Stadtrechten besteht.
Eine Befestigung mit Mauern und Türmen erhielt jedoch das Emser Bad. Hier ist allerdings durchaus ein Zusammenhang mit den Stadtrechten denkbar. Das Bad ist erstmals um 1320/40 erwähnt und von da an dauerhaft. 1382 ist ein Turm über einer der Quellen erwähnt, später gab es zwei dieser Wohn- und Befestigungstürme, dazu einen Torturm, Mauern und Gräben sowie verschließbare Pforten. Die Anlage wirkt auf den ältesten Abbildungen wie eine Burg. In Ems, so ist zu vermuten, ging es dem Grafen weniger um das von Bauern und Weingartsleuten bewohnte Dorf als um das Bad, in dem er offenbar Entwicklungspotenzial sah.
Wildbad sollte zu einer modernen Baderesidenz werden
Sollte es auch für vornehme Gäste attraktiv sein, so musste das bisherige, weit außerhalb des Dorfes Ems gelegene Wildbad zu einer attraktiven, komfortablen und sicheren Baderesidenz ausgebaut werden. Das gelang auch. Bereits im 15. Jahrhundert sind neben Grafen die rheinischen Kurfürsten und damit die nach dem Kaiser höchsten Würdeträger des Reiches als Besucher im Emser Bad nachweisbar. Ems hatte damit bereits im Spätmittelalter überregionale Bedeutung.
Alle Orte an der unteren Lahn, die Stadtrechte erhielten, blieben Minderstädte. Soweit es in Recht und Verfassung noch Unterschiede zu den Gemeinden im Umland gab, verschwanden diese mit dem Gemeindeedikt des Herzogtums Nassau von 1816, das nicht zwischen Stadt und Dorf unterschied. Alle Ortsbürger, die ein Haus hatten und ein Gewerbe betrieben, waren gleichgestellt. Das blieb auch so in den späteren Gemeindeverfassungen.
Dass Diez, Holzappel und Nassau in den Adressbüchern als „Stadt“ und Bergnassau-Scheuern, Dausenau und Ems als „Flecken“ bezeichnet wurden, hatte keine Auswirkungen auf die Gemeindeverfassung. Das blieb auch so, als der Herzog 1863 auf Antrag des Gemeinderates genehmigte, dass sich Ems fortan als „Stadt“ bezeichnen durfte. Dabei spielte das Stadtrecht von 1324 keine Rolle. Vielmehr ging es darum, der Entwicklung vom Dorf oder Flecken zu einem mondänen Bad mit allen städtischen Attributen auch in der Bezeichnung als „Stadt Ems“ Rechnung zu tragen. Die nassauische Gemeindeverfassung blieb auch noch in preußischer Zeit gültig bis 1897.
Allerdings wurde mit der neuen Kreisordnung von 1885 zwischen Stadt- und Landgemeinden unterschieden. Als Städte galten nur Gemeinden, die nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft als solche zu verstehen waren und zentralörtliche Funktion hatten. Als 1891 eine neue Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden in Kraft trat, galt sie folglich auch für Diez, Nassau und Bad Ems, nicht jedoch für Balduinstein, Scheuern und Dausenau. red