„Bereits zum vierten Mal steht Ulrike Neradt auf unserer Bühne, heute hat sie ihr Lieblingsprogramm mitgebracht“, kündigte Ortsbürgermeister Thomas Steffen dem beinahe ausverkauften Saal die Künstlerin samt Begleitung an. Die anschließende humoristische Eröffnung nach Wolfgang Neuss – „gäbe es keine Schafe, hätten wir heute kein Publikum“ – ließ bereits erahnen, wohin diese „kleine Zeitreise“ die Gäste führen sollte. Die Kabarettistin und ehemalige Deutsche Weinkönigin Neradt begeisterte mit dem Schauspieler und Sänger Klaus Brantzen und Jürgen Streck am Klavier von Anfang an das Publikum mit ihrem abwechslungsreichen Programm. Dazu gehörten Texte, Chansons und Dialoge von Größen wie Georg Kreisler, Friedrich Hollaender, Wolfgang Neuss und vielen mehr.
Pointiert vorgetragene Auszüge aus „Etikette neu“, einem umstrittenen Benimmregelbuch von Erica Pappritz, eröffneten den Abend. Das Werk der stellvertretenden Protokollchefin der Adenauer-Ära porträtiert ein Frauenbild, über das man heutzutage wohl nur den Kopf schütteln würde: „Halten Sie ein warmes oder kaltes Getränk für ihn bereit, rücken Sie ihm sein Kissen zurecht, bieten Sie ihm an, ihm die Schuhe auszuziehen.“
Neradt bezauberte zwischen den ironischen Texten und Dialogen vor allem mit Chansons wie „Circe“ von Hanne Wieder oder Lale Andersens „Die Dame von der Elbchaussee“ in Hamburger Platt. Mit „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ kritisierte Franz Josef Degenhardt „das Gewissen einer Generation“ und in den 60er-Jahren die Spießigkeit der Nachkriegszeit – im Kastell füllte Brantzen das Stück mit neuem Leben. Und ein Dialog zwischen Vater und Tochter des Satirikers Rudolf Rolfs illustrierte die grundlegende Ablehnung des Marxismus' der damaligen Zeit: „Also da muss man dagegen sein!“, sagt da der Vater und flüchtet vor einer Begründung.
Auszüge aus der Zeitschrift „Bravo“, Erzählungen über die Starschnitte aus selbigem Heft (für die Beatles benötigte man 44 Teile) amüsierten das Publikum. Lieder wie „Mit 17 hat man noch Träume“ von Peggy March und „The Boxer“ von Simon & Garfunkel ließen die Gäste im Kastell in Erinnerungen schwelgen. Und zu „Yesterday“ – „was wäre ein 60er-Jahre-Programm ohne einen Titel der Beatles“ – sang das Publikum schließlich einfach mit. Der Text „Ich setzte auf die Liebe“ vom „Poeten unter den Kabarettisten – Hanns Dieter Hüsch“ beendete den offizielle Teil des Programms.
„Gute Nacht Freunde“ von Reinhard May markierte dann endgültig den Abschluss eines großartigen Abends. Neradt, Brantzen und Streck entführen mit „Wir sind so frei“ äußerst überzeugend in die 60er-Jahre, präsentieren humorvoll den geschichtlichen Kontext und verkörpern mit Texten, Musik und Spiel den damaligen Zeitgeist: Eine Zeitreise, die sich lohnt.