Bei einer polizeilichen Durchsuchung in der Wohnung eines 44-jährigen Mannes aus der Verbandsgemeinde Aar-Einrich im November 2023 waren die eingesetzten Beamten nicht nur auf eine größere Menge Marihuana und Haschisch nebst Gebrauchsutensilien gestoßen, sondern auch auf ein ganzes Arsenal von Dutzenden Pflastern und Hunderten Tabletten in Schubladen, Wandschränken und der Abstellkammer. Da es sich dabei vorwiegend um Schmerz- und Betäubungsmittel handelte, unter anderem um (semi-)synthetische Opioide wie Fentanyl und Hydromorphon oder Tilidin, lag der Verdacht nahe, dass man es hier mit einem Vorrat für den verbotenen gewerblichen Handel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten zu tun hatte.
Auch die Auswertung einiger Unterhaltungen in verschiedenen Chatgruppen auf dem Handy des Mannes erhärteten diesen Verdacht. Fentanyl dient unter anderem als Heroin-Ersatz und ist etwa 20-mal stärker in der Wirkung. Nun fand sich der 44-Jährige vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Diez wieder: Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete auf den verbotenen Besitz nicht geringer Mengen von Cannabis und Marihuana sowie verschreibungspflichtiger Medikamente und deren verbotenem gewerbsmäßigem Verkauf.
Liste der Hausapotheke vorgelegt
Gleich zu Beginn der Verhandlung legte der Verteidiger des Angeklagten jedoch eine Liste der Hausapotheke seines Mandanten vor, aus der hervorging, dass er diese Medikamente zu einem großen Teil von seinem behandelnden Hausarzt verschrieben bekommen hatte. Die Differenz zum Medikamentenbestand, der bei der Wohnungsdurchsuchung beschlagnahmt worden war, erklärte er mit weiteren Rezepten aus einem Krankenhaus und von Ärzten der Berufsgenossenschaft seines Mandanten, die in anderen Apotheken eingelöst worden seien. Darüber lagen allerdings keine Nachweise vor.
Der Angeklagte schrieb den Besitz der vielen Medikamente seiner noch jungen Krankengeschichte zu: Im Februar 2022 hatte er mit seinem Roller einen schweren Verkehrsunfall erlitten. Aus eigenem Verschulden war er frontal mit 30 km/h auf die Seite eines Vans geprallt. Dabei wurde eines seiner Knie derart zertrümmert, dass er einen Monat im Krankenhaus verbringen musste. Anschließend folgte eine mehrwöchige Reha. Gegen die bis heute bestehenden Schmerzen nach der Operation hatte er von unterschiedlichen Ärzten diverse Medikamente verschrieben bekommen. Laut eigener Aussage habe er diese aber alle nicht vertragen und deshalb nur sehr kurze Zeit eingenommen. Ein Medikament nach dem anderen wurde ausprobiert. Dementsprechend stapelten sich bei ihm zu Hause die kaum genutzten Medikamentenverpackungen. Gleichzeitig habe er festgestellt, so der 44-Jährige, dass nur die Verwendung von Marihuana und Haschisch ihm Linderung verschafften. Das habe er sich einerseits besorgt und andererseits versucht, Hanfpflanzen selbst zu ziehen. Das gelang allerdings mit wenig Erfolg, wie die Bilder von zwei beschlagnahmten vertrockneten Hanfpflanzen in den Prozessakten verrieten.
Vorwurf konnte nicht aufrechterhalten werden
Nach einer kurzen Verhandlungspause, in der der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Menge der per Rezept verschriebenen Tabletten gegen die Menge der tatsächlich in der Wohnung aufgefundenen gegenrechnete, wurde die Anklage beschränkt. Die nach der Berechnung übrig gebliebenen Kleinstmengen an Tabletten reichten dem Kläger nicht mehr aus, um den schwerwiegenden Vorwurf des Handels mit den Medikamenten aufrechtzuerhalten. Im Anschluss drehte sich der Prozess also nur noch um den Besitz einer nicht geringen Menge von Haschisch beziehungsweise Marihuana und deren verbotene Abgabe.
Hier räumte der Beschuldigte sowohl den Besitz ein als auch die einmalige Weitergabe an zwei Kneipenbekanntschaften. „Ich habe den beiden jeweils ein Gramm von meinem Vorrat zum Einkaufspreis von zehn Euro abgegeben“, erklärte er. „Dabei habe ich keinen Gewinn gemacht.“ Angesichts der stolzen Menge von immerhin 183 Gramm Marihuana und Haschisch in seinem Besitz – mehr als die dreifache Menge dessen, was nach der neuesten Gesetzgebung Privatpersonen erlaubt ist – wollte der Richter dann spontan wissen, wie er denn angesichts seiner schwierigen finanziellen Lage die dafür notwendigen 1830 Euro beschafft habe. Schnell erklärte der Verteidiger, dass sein Mandant dazu keine Angaben machen wolle.
Freiheitsstrafe von acht Monaten gefordert
Laut Bundeszentralregister hatte sich der Angeklagte bis zum Verhandlungstag lediglich einmal etwas zu Schulden kommen lassen; nämlich die unsägliche Unfallfahrt mit seinem Roller ohne Fahrerlaubnis und ohne Versicherungsschutz. Dafür hatte er im November 2022 bereits eine Geldstrafe per Strafbefehl erhalten. Angesichts des Geständnisses und einer recht guten Sozialprognose schöpfte der Anklagevertreter den rechtlichen Rahmen für solche Vergehen (drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) bei Weitem nicht aus. Er forderte eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, die für zwei Jahre zur Bewährung auszusetzen seien. In dieser Zeit solle der Verurteilte mit einem Bewährungshelfer daran arbeiten, wieder in sein normales Arbeitsleben zurückzukehren. Im Rahmen seiner Möglichkeiten solle er darüber hinaus noch 80 Arbeitsstunden innerhalb eines Jahres ableisten.
Der Verteidiger sah diese Forderungen als „vernünftig“ an: Das Verfahren habe auf seinen Mandanten erheblichen Eindruck gemacht und ihm viel Angst im Vorfeld bereitet. Künftig werde er versuchen, Cannabis legal auf Rezept zu erhalten – wenn nötig. Auch das Schöffengericht schloss sich – trotz einiger ungeklärter Fragen – der geforderten achtmonatigen Freiheitsstrafe zur Bewährung und den zu leistenden Arbeitsstunden an. Beide Parteien erklärten den Rechtsmittelverzicht, sodass das Urteil gültig ist.