Die Baumaßnahme der Stadt betrifft natürlich nicht nur das Fotografen-Team in der alten Güterhalle – der Unterschied zu den Bewohnern und anderen Beschäftigten am Spieß: Für Robin Wink hängt seine berufliche Existenz von der Erreichbarkeit seines Studios ab.
Die Stadt Bad Ems plant den Lückenschluss am Bahnhof und damit den Abschluss des Sanierungsgebietes Ost. Ab kommenden Montag wird der gesamte Bereich am alten Güterbahnhof abgesperrt sein – inklusive der Güterhalle, also dem Fotostudio. Robin Wink Photography hat sich auf Produktfotografie für die Werbebranche spezialisiert und nimmt weltweit Aufträge an. Sein Team besteht in guten Zeiten aus sechs bis acht festen Mitarbeitern plus zehn Freelancern. Insbesondere fotografiert Robin Wink Autos, oft sogenannte „Erlkönige“, also neue, noch geheim zu haltende Modelle, die mit Lkw angeliefert und in der Güterhalle in Szene gesetzt werden. 20 bis 40 dieser Erlkönige hat Robin Wink nach eigener Aussage pro Jahr vor der Linse.
Weil die Form der Erlkönige vor der offiziellen Präsentation der neuen Modelle streng geheim gehalten werden muss, „ist es wichtig, dass die Autos direkt vom Lkw in mein Studio gerollt werden können“, erklärt der Fotograf. Dafür gibt es am hinteren Teil der alten Güterhalle ein Tor. Auf der 25 Meter langen Zufahrt können Lkw rückwärts anfahren, und der Erlkönig bleibt vor neugierigen Blicken geschützt. Dafür haftet der Unternehmer bei den Auftraggebern. Sein Studio ist, wie nur wenige weitere Studios in Deutschland, sicherheitszertifiziert. Ein Auftrag kann nicht einfach in einem anderen Studio ausgeführt werden. Für Robin Wink und sein Team ist es also essenziell, dass die Zufahrt zur Güterhalle frei bleibt, und das, betont er, „zu jeder Zeit“. Denn ein Auftrag werde oft sehr kurzfristig erteilt und müsse ebenso kurzfristig umgesetzt werden. Deswegen sei seine Arbeit nicht von langer Hand planbar.
Anders die Baumaßnahme der Stadt, die nicht überraschend kommt. Auf Anfrage unserer Zeitung erklärt die Verwaltung der Verbandsgemeinde Bad Ems-Nassau, dass es schon seit 2015 mehrere Kontakte mit Robin Wink in Sachen Lückenschluss gegeben habe. Konkret habe es etwa im April 2018 oder im Januar 2019 Gespräche gegeben. „Es ging dabei unter anderem um die Bauausführung im Bereich seines Anwesens“, erklärte Bürgermeister Uwe Bruchhäuser in einer schriftlichen Stellungnahme zu dem Thema. „Dabei dürfte auch offenkundig gewesen sein, dass eine Baumaßnahme Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb haben würde.“ Also war der Verwaltung frühzeitig die besondere Zufahrtssituation bekannt.
Gerade weil Robin Wink seit anderthalb Jahren im Kontakt mit der Verwaltung stand, ärgert er sich, dass er so kurzfristig vom konkreten Beginn der Baumaßnahme erfahren habe. „Offiziell informiert wurde ich Ende August, Schriftliches habe ich bis heute nicht.“ Und er ärgert sich noch mehr, weil die Baustelle nicht derart in Bauabschnitte eingeteilt werde, dass er sein Studio permanent erreichen kann. Das wäre seines Erachtens nämlich durchaus möglich.
Im Rahmen des Gespräches vor zwei Wochen mit Vertretern der Verwaltung, der Bauleitung und des Ingenieurbüros machte Robin Wink deutlich, wie wichtig die Zufahrtsmöglichkeit für sein Unternehmen ist. In der Stellungnahme Bruchhäusers heißt es: „Es wurde vereinbart, dass gewährleistet wird, das eine grundsätzliche Zufahrtsmöglichkeit zu seinem Anwesen und Betrieb während der Bauzeit in Abhängigkeit vom Bauablauf möglich ist. Während der Bauausführung wird hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt. Nicht vermeidbare eventuelle Einschränkungen der Zufahrt werden zeitnah mit Herrn Wink abgestimmt.“ Außerdem sei zugesichert worden, dass eine Zufahrtsmöglichkeit für einen Lkw (bis 40 Tonnen) gewährleistet werden kann. Wenn die Bauleitung frühzeitig über Anfahrtstermine von Lkw Bescheid wisse, könne man den Bauablauf unter Umständen anpassen.
„Die Inhalte der mündlich getroffenen Vereinbarung gelten als Arbeitsauftrag für die beteiligten Akteure und sind während der Bauzeit zu beachten“, so der Bürgermeister. Für Robin Wink reicht das nicht aus – eben weil Aufträge spontan erteilt würden. „Es kann sein, dass ich freitags einen Anruf bekomme, und der Auftrag muss montags fertig sein“, erzählt er. „Auf der Baustelle ist freitagsmittags Schicht, da erreiche ich doch keinen mehr.“ Die Konsequenz: Der Auftrag geht an einen anderen. Deswegen möchte Wink eine Garantie, dass seine Zufahrt stets frei bleibt, und die gebe es eben nur, wenn die Baustelle in zwei Abschnitte gegliedert würde.
Dass sich der Unternehmer so aufregt, liegt natürlich vornehmlich an der Sorge um seine berufliche Existenz, ist aber auch eine Konsequenz aus den Entscheidungen der Stadt aus den vergangenen Jahren, sagt er. „Immer wieder werden mir Steine in den Weg gelegt“, so sein subjektives Empfinden. Beispiel: Als er die geschichtsträchtige, erhaltenswürdige Halle im Jahr 2014 als „Bruchbude“ kaufte und in Abstimmung mit der Denkmalpflege herrichtete, habe er einen Sanierungsausgleich von 30 000 Euro zahlen müssen. Für den Veranstaltungsraum, den er später noch in der Güterhalle einrichtete, seien vergleichsweise zu hohe Auflagen gemacht worden, findet er.
Robin Wink fühlt sich ungerecht behandelt und hat jetzt den Krieg erklärt. „Ich habe einen Anwalt eingeschaltet und werde jeden Schritt an dieser Baustelle genauestens dokumentieren. Jeder Verdienstausfall wird in Rechnung gestellt.“ Und überhaupt erwäge er mittlerweile, sein Studio zu verkaufen. „Dann kann die Stadt das Ding abreißen und noch 150 Parkplätze bauen.“