Die Frage von Rennleiter Rudi Minor, ob ich als Berichterstatter für die Rhein-Lahn-Zeitung als Beifahrer in einem Vorausfahrzeug mitfahren wolle, kam überraschend. Aber, was sollte in einem solchen Fahrzeug mit erfahrenem Piloten schon passieren? Der Gedanke, dabei Fotos aus ungewöhnlicher Perspektive schießen zu können, reizte mich sehr. Meine Anweisung, die ich am Freitag, am Vortag des Rennens, am Miehlener Bürgerhaus bekomme, lautet: „Morgen kommst du gegen 10 Uhr wieder hierher zur Rennleitung; du bekommst einen Fahreranzug, einen Helm und den ,Hans', und dann fährst du mit dem Vorausfahrzeug eine der Wertungsstrecken ab.“ „Hans“, so wird mir erklärt, ist das „Head and Neck Protection System”, das mit dem Helm verbunden ein unkontrolliertes Schleudern des Kopfes verhindern soll.
Gesagt, getan. Am Samstagmorgen bin ich wieder da: „Mein“ Vorausfahrzeug steht mit der Vorderachse aufgebockt an seinem Platz. Der Fahrer, Holger Sack, kniet daneben, darunter liegt ein Mechaniker und begutachtet ein Leck im Getriebe; Öl geht verloren. Es liegt an nur einem kleinen Dichtring, ein Problem, das relativ schnell behoben ist. Aber der Zeitplan gerät durcheinander, auch, weil zwei der drei Vorausfahrzeuge ausgefallen sind. Aber keine Sorge: Die Sicherheitsfahrt vorab ist am Samstagmorgen um 10 Uhr schon lange gelaufen. Für die „Promigäste“ wie mich oder Nastättens Wehrführer Rolf Strobel drehen die Fahrer nach der Wertungsprüfung noch eine Extratour. Meine neue Einsatzzeit lautet nun 16.30 Uhr. Eine halbe Stunde vorher gibt mir Rudi Minor meinen Fahreranzug. Der Helm und der „Hans“ gehören fest zum Fahrzeug, einem Opel Ascona B, 2-Liter-Maschine, 180 PS. „Wie schnell ist der?“, frage ich meinen Fahrer Holger. „Spitze 170 bei 7000 Touren. Aber die Höchstgeschwindigkeit ist unwichtig, es geht um sehr starke Beschleunigung auf den kurzen Strecken. Das Getriebe ist entsprechend untersetzt.“
Es geht los. Ich steige über die Käfigstreben in den Sitz. Die feuerfeste Haube habe ich vorher schon übergezogen, dann den Helm auf und den Kinnriemen festziehen. Helfende Hände klicken den Helm am Hans fest, dann anschnallen: Je einen Gurt rechts und links von unten über die Oberschenkel am Gurtschloss einrasten; das gleiche mit den Beckengurten, dann die Schultergurte, die gleichzeitig das „Hans“ auf die Schultern pressen. Der Sechsfachgurt fixiert mich fast bis zur Unbeweglichkeit im Schalensitz. Wozu das gut ist, sollte ich dann erleben.
Es geht nach Nastätten bis zum Rewe-Parkplatz an den Start. Und von wegen relativ langsam über die Wertungsstrecke fahren: Start frei, das Fahrzeug schießt förmlich nach vorn. Die erste Schikane fliegt auf mich zu: kurz scharf angebremst, die Lenkung scharf nach links, direkt wieder nach rechts. Das Fahrzeug scheint sich im Kreis zu drehen, aber das täuscht. Vollgas in Richtung Bahnhofstraße, wieder einmal scharf auf die Bremse, Lenkung scharf rechts, das Heck kommt nach links nach, fängt sich über der Mühlbachbrücke bis zum Alten Bahnhof wieder.
90 Grad nach rechts, sofort 90 Grad nach links in den Busbahnhof, mit Vollgas in Richtung L 335. Gibt es hier denn nur 90- und 180-Grad-Wenden? Es scheint so. Fotos schießen von der Arbeit des Piloten? Daran ist nicht zu denken. Ich komme mir vor wie in einem Karussell: ständig Drehungen um die Hochachse. Rauch- und Gummigeruch erreichen meine Nase. Das hatte Holger ja auch gesagt: „Am Busbahnhof lassen wir die Kuh fliegen, wir müssen den Zuschauern etwas bieten.“ Raus aus den Busspuren, mit Vollgas zur L 335, aber nicht einfach so nach rechts Richtung Miehlen, sofort in die links liegende Haltebucht, dann erst ab zum Lidl-Kreisel. Will Holger denn gar nicht bremsen? Doch, aber erst, als er die Kreiselmarkierung erreicht. Im Kreisbogen volle Beschleunigung, dann nach rechts raus auf den sogenannten Wiesenweg, der Oelsberg mit Nastätten verbindet. Vollgas, keine Zeit, die Umgebung zu erkennen, rechts hinunter ins Wiesental. Was kommt denn da angeflogen? Eine Kuppe, ein beherzter Sprung, und die Kuppe liegt hinter uns. Wir landen in Flugrichtung sicher auf allen vier Rädern.
Wechsel auf die Schotterbahn, das Fahrzeug wedelt, Büsche und Bäume sausen rechts und links vorbei. Wieder keine Nerven, um Fotos zu machen, nur Blindschüsse. Die Strecke fordert absolute Konzentration. Mit einem Hopser geht es zurück auf den Asphalt der L 335, scharf rechts zurück Richtung Nastätten. „Mist, vorbei gerutscht“, kommentiert Holger seine kurze Unaufmerksamkeit, als er an der Einmündung zur Paul-Spindler-Straße die 180-Grad-Kehrtwende zu spät einleitet. Vollbremsung, Handbremswende und mit Vollgas auf den Radweg Richtung Miehlen. Aber nur ganz kurz.
Scharf rechts geht es an Strohrundballen als Kurvensicherung vorbei in die sogenannte Viktoriakurve. Die Fahrbahn ist eng, die Geschwindigkeit hoch. Nur auf der Fahrbahn bleiben, denke ich. Aber Holger ist ein alter Hase, er hat sein Fahrzeug unter Kontrolle. Über den Feldweg Richtung Miehlener Gewerbegebiet geht es zurück. Bald ist das Ziel oberhalb des Raiffeisenmarkts erreicht. Ausrollen und tief durchatmen.
„Alles gut überstanden?“, fragt Holger. Kopfnicken ist nicht möglich. Mein Helm wird vom Hans entkoppelt, jetzt kann ich nach links zum Piloten blicken, die Hand schütteln. „Ja“, meint der, „wir sind ja auch relativ langsam gefahren, im Wettbewerb hätte ich noch ein paar Schaufeln nachgelegt.“ Mir hat es auch so gereicht; in meiner Magengegend verspüre ich ein leicht flaues Gefühl. Aber Karussell fahren hatte ich als Kind schon nicht gut vertragen. Norbert Schmiedel