Politische Arbeit in Schulen
Diez: Junge Leute für die Räte begeistern
Julia Vollenweider, Daria Dolke und Nils Nink sind besorgt über den zunehmenden Rechtsextremismus.
Martin Gürth

Schülerinnen und Schüler des Sophie-Hedwig-Gymnasiums erarbeiteten Ideen, die sie gerne kommunalpolitisch umgesetzt sehen würden. Dabei hatten sie prominente Unterstützung.

„Junge Leute in die Räte“ war der Titel eines Workshops, den die 14-, 15- und 16-jährigen Schüler des Sophie-Hedwig-Gymnasiums, angeleitet von Theresa Lambrich, durchführten. Politikwissenschaftlerin Lambrich gibt Weiterbildungen in politischer Kommunikation und hat sich mit ihrer Firma „votes&words“ zum Ziel gesetzt, jungen Menschen Kommunalpolitik näherzubringen. Bei der neunten Klasse von Lehrer Martin Gürth scheint ihr dies gelungen zu sein. So erarbeiteten die Schüler Forderungen wie den Ausbau des ÖPNV und die Stärkung des Tourismus in der Region. Die Politik war durch VG-Bürgermeisterin Maren Busch und Stadtbürgermeisterin Annette Wick sowie die heimische Landtagsabgeordnete Lisa-Marie Jeckel an diesem Tag zahlreich vertreten.

Bevor die Politikerinnen in die Diskussionen einstiegen, hatten jedoch die Schüler das Wort. Julia Vollenweider, Daria Dolke und Nils Nink sind besonders über den zunehmenden Rechtsextremismus besorgt – auch unter ihren Mitschülern. „Es ist schlimm, dass Leute in unserem Alter nicht den Ernst der Lage verstehen. Viele machen aus Spaß Hitlergrüße“, sagt Daria. Sie erinnert sich an eine Diskussion mit einem Mitschüler, der Hitler „nicht so schlecht“ gefunden habe. „Ich war in der Diskussion plötzlich der ’Faschist’, weil ich seine Meinung kritisiert habe.“

Nationalsozialismus früher im Unterricht behandeln

Julia ärgert sich vor allem darüber, dass der Nationalsozialismus nicht früher im Unterricht behandelt wird: „Bei uns in der neunten Klasse bilden sich politische Meinungen heraus, aber in Geschichte sind wir erst beim Ersten Weltkrieg. Das ist zu spät, denn mit 16 dürfen wir bereits an einigen Wahlen teilnehmen.“

Nils pflichtet ihr bei: „Die Wahlprogramme müssten im Unterricht analysiert werden. Es sollte mehr über die Zielsetzungen der einzelnen Parteien aufgeklärt werden. Was bringt es, zu wissen, was horizontale und vertikale Gewaltenteilung ist, wenn man nicht weiß, welche Partei wofür steht?!“

Zum Inhalt des ersten Teils des Workshops zogen die drei ein positives Fazit. Besonders die Tatsache, „wie leicht es ist, auf kommunaler Ebene Vorstellungen einzubringen, wenn man sich an die richtigen Leute wendet“, machte den dreien Lust darauf, sich selbst zukünftig kommunalpolitisch zu betätigen. Hier setzte der zweite Teil des Workshops ein, bei dem die Neuntklässler ihre Ideen Maren Busch und Annette Wick präsentierten.

Theresa Lambrich (links) trägt mit den Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse ihre Ideen für die Kommunalpolitik zusammen.
Martin Gürth

Darunter war auch die Errichtung eines Calisthenics-Parks. Bei der Sportart wird unter Einsatz des eigenen Körpergewichts an Stangen trainiert. „Im Hain hängt zwar eine Klimmzugstange, aber ein bisschen mehr Geräte wären schon gut, denn ein Fitnessstudio kann sich nicht jeder leisten“, erläuterten die Neuntklässler ihren Wunsch. Annette Wick bot den Schülern an, vorbeizukommen und im Rathaus darüber mit ihr zu sprechen. Dorothee Milles-Ostermann, Gleichstellungsbeauftragte des Rhein-Lahn-Kreises, empfahl den Neuntklässlern: „Ihr könnt euch auf den Termin vorbereiten. Informiert euch, was braucht ihr, was kostet das und woher bekommt man es.“

Dem Wunsch nach größeren Sprungtürmen im Freibad Birlenbach hingegen musste VG-Bürgermeisterin Maren Busch eine Absage erteilen. Dafür sei das Becken nicht tief genug und der Bau eines neuen Beckens sei unvergleichlich teurer als die Anschaffung einiger Klimmzugstangen für einen Calisthenics-Park. Einer Schülerin, die wissen wollte, wann der Reitplatz in Eppenrod komme, gab Busch ihre E-Mail-Adresse, um sich detaillierter über das Thema austauschen zu können.

Eine andere Schülerin präsentierte ihre Idee eines Autokinos. „Gute Idee, so etwas gab es auch schon in Diez. Aber ihr braucht einen Betreiber“, erwiderte Stadtbürgermeisterin Annette Wick. „Wenn jemand in die VG-Verwaltung kommt und sagt: ’Ich möchte ein Autokino aufmachen’ dann können wir das zusammen in die Wege leiten“, ergänzte Maren Busch.

„Je mehr ich mich anstrengte, desto größer wurde das Auto meines Chefs.“
VG-Bürgermeisterin Maren Busch zu ihrer Arbeit in einem Unternehmen

Danach plauderten die anwesenden Politikerinnen noch ein wenig aus dem Nähkästchen und berichteten über ihren Weg in die Politik. Dorothee-Milles Ostermann berichtete von ihrer Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte: „Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben. Ich setze mich dafür ein, dass niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt wird, nicht in der Schule, nicht im Beruf, nicht im Alltag.“

Lisa-Marie Jeckel erzählte, nach dem bestandenen Jurastudium sei sie bei den Freien Wählern eingetreten. Dann wandte sie sich direkt an die anwesenden Mädchen. Obwohl die Freien Wähler die Partei sei, von der sie überzeugt sei, dass diese am besten zu ihr passe, gebe es auch bei den Freien Wählern ein Frauenproblem.

Maren Busch erzählte: „Lisa-Marie Jeckel und ich haben eine Gemeinsamkeit. Wir hatten lange nichts mit Politik zu tun. Mein Schwerpunkt war die Vereinsarbeit. Für mich war es immer das Wichtigste, in der Region zu bleiben. So habe ich bei einem Unternehmen hier in der Region eine Leitungsposition bekommen. Mir fehlte aber die Sinnhaftigkeit. Je mehr ich mich anstrengte, desto größer wurde das Auto meines Chefs, aber es trug nichts zur Verbesserung der Gesellschaft bei.“ Bis jemand zu ihr gesagt habe: „Demnächst sind VG-Bürgermeisterwahlen, wäre das nichts für dich?“ Dann habe sie erst einmal eineinhalb Jahre lang VG-Ratssitzungen besucht und sich mit Kommunalpolitik befasst. Erst dann fühlte sie sich gut vorbereitet, ihre Kandidatur bekannt zu geben und für Busch durchaus überraschend wurde sie gleich im ersten Wahlgang gewählt.

Etwas für die Menschen tun

Stadtbürgermeisterin Annette Wick beschrieb, wie sie nach der Geburt ihrer Kinder begann, sich ehrenamtlich zu engagieren. „Irgendwann kam der Gedanke, das Leben muss doch mehr zu bieten haben.“ Sie trat in die SPD ein und wurde Ortsbürgermeisterin in Netzbach. Für die Bürgermeisterin einer Arbeiterpartei war die Arbeit in dem ländlich geprägten Ort nicht immer leicht. „Aber man konnte viel gestalten und etwas für die Menschen tun.“ Nach ihrem Umzug nach Diez begann sie eine Tätigkeit bei der Naspa. Doch der Wunsch nach Veränderung blieb. Sie engagierte sich im SPD-Ortsverein. Als sie gefragt wurde, willst du als Diezer Bürgermeisterin kandidieren? Habe sie sich lange gefragt: „Kannst du das?“ „Ein Mann hätte wahrscheinlich gesagt: ’Wow, klar!’“, musste Wick lachen, als sie den Schülern von diesem Moment erzählte. Annette Wick musste lernen, sich und wofür sie steht, bekannt zu machen. „Aber ich liebe die Menschen und im Wahlkampf kommt man mit ihnen in Kontakt.“ 2019 gewann sie erstmals die Wahl und ist seitdem ehrenamtliche Bürgermeisterin der Grafenstadt.

Auf Interesse bei den Schülern stieß ihre Idee, ein Jugendparlament in der Stadt zu etablieren. „Ihr seht, es gibt nicht den einen Weg in die Politik. Es geht einfach darum, Lösungen für die Probleme der Menschen zu finden“, schloss Theresa Lambrich die Veranstaltung.

Das Kreisprojekt „Junge Leute in die Räte“ fand am Sophie-Hedwig-Gymnasium nicht zum ersten Mal statt. Mehr junge Menschen für Politik zu begeistern, ist das Ziel. Projektleiterin Theresa Lambrich hatte der Kreisverwaltung eine Handlungsempfehlung an die Hand gegeben. Eine Maßnahme des Kataloges sind Schulworkshops, in denen eine Einführung in die Kommunalpolitik gegeben wird, von den rechtlichen Grundlagen bis hin zur Kommunalstruktur. Daraufhin werden die Teilnehmer selbst aktiv. Initiiert wurde die Idee der Workshop-Reihe bereits 2019 von der Gleichstellungsbeauftragten Dorothee Milles-Ostermann. Es gehe nicht nur darum, einmal im Jahr ein Schlaglicht darauf zu werfen, was junge Menschen sich wünschten, sondern tatsächlich um eine kontinuierliche Begleitung durch die Politiker, stellte Milles-Ostermann klar.

Top-News aus der Region