Uneidliche Falschaussage
Diez: Gerichtsverhandlung mit vertauschten Rollen
Eine 34-Jährige musste sich vor dem Diezer Amtsgericht wegen des Vorwurfs uneidlicher Falschaussage gegen ihren offenbar gewalttätigen ehemaligen Freund verantworten.
Maurizio Gambarini. picture alliance/dpa

Log eine Zeugin vor Gericht, um ihren gewalttätigen Freund loszuwerden? Diese Frage beschäftigte das Amtsgericht Diez kürzlich - mit ungewöhnlichen Zeugen.

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Normalerweise nehmen Richter und Staatsanwälte nicht im Zeugenstand Platz, doch am vergangenen Mittwoch war alles etwas anders. Eine 34-Jährige hatte in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Diez im Juni 2024 als Zeugin bekundet, von ihrem damaligen Freund während eines Streites an einem Badesee unter Wasser gedrückt worden zu sein. Es kam zu einer Verurteilung wegen Körperverletzung, der Exfreund ging jedoch in Berufung. Im Rahmen der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Koblenz stellte sich jedoch heraus, dass die Frau gelogen hatte. Dies brachte ihr eine Anklage wegen uneidlicher Falschaussage ein. Nun sahen sich die Frau und ihr Exfreund vor dem Diezer Amtsgericht wieder, diesmal mit vertauschten Rollen: sie auf der Anklagebank und er als Zeuge.

Angeklagte wurde von Exfreund häufig geschlagen

Gleich zu Beginn der Hauptverhandlung wurde Richter Martin Böhm konkret: „Vor dem Landgericht haben Sie gesagt, das Unterwasserdrücken gab es nicht. Was sagen Sie dazu?“, konfrontierte er die Angeklagte. Sie gab an, sich an ihre Aussagen sowohl vor dem Amtsgericht Diez als auch vor dem Landgericht Koblenz nicht erinnern zu können. Zum Zeitpunkt des Vorfalles am See habe es häufiger Handgreiflichkeiten gegeben. Sie sei oft geschlagen worden. „Ich wollte mich trennen.“

Der Staatsanwalt, der die erste Verhandlung gegen den Exfreund in Diez verhandelt hatte, sagte im Zeugenstand: „Es gab damals eine Verurteilung wegen Körperverletzung. Die Angaben der Zeugin erschienen mir glaubwürdig.“ Der Vorsitzende wollte wissen: „Aus dem Protokoll von damals geht hervor, dass Sie die Zeugin zweimal zur Wahrheit ermahnt haben. Wann machen Sie das üblicherweise?“ „Wenn ich den Eindruck habe, dass etwas nicht stimmen kann, wenn ein Zeuge mit der Sprache nicht herauswill, oder sich widerspricht, von Angaben zurückrudert“, war die Antwort. „Hätten Sie eine Verurteilung beantragt, wenn die Zeugin nicht angegeben hätte, unter Wasser gedrückt worden zu sein?“, hakte Richter Böhm nach. Der Zeuge verneinte dies.

„Ich konnte es nicht fassen“,
Richterin im Zeugenstand

Auch die Richterin, welche der Berufungsverhandlung am Landgericht vorgesessen hatte, wurde im Zeugenstand befragt: „Die Zeugin gab an, sie könne sich an ein Unter-Wasser-Drücken nicht mehr erinnern. Stattdessen sprach sie nur noch von Flaschenwürfen in ihre Richtung und davon, dass der damalige Angeklagte ihr den Weg versperrte, als sie aus dem Wasser steigen wollte. Das fand ich merkwürdig, denn unter Wasser gedrückt worden zu sein, hätte ein sehr eindrückliches Erlebnis sein müssen. Ich konnte es nicht fassen, dass sie sich daran nicht erinnern konnte. Auch nach mehrmaligem Nachhaken“, schilderte die Juristin.

Als Beweisstück wurde anschließend das Urteil der Berufungsverhandlung vom Landgericht Koblenz verlesen. Dieses würdigte zwar, dass Erinnerungen verblassen können, jedoch könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Zeugin etwas hinzuerfunden oder übertrieben habe. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Zeugin durch die Aussage die Trennung von ihrem gewalttätigen Freund habe vollziehen wollen.

Die Staatsanwältin, die die Berufungsverhandlung am Landgericht begleitet hatte, bestätigte im Zeugenstand die Ausführungen der Richterin. „Mir kam es merkwürdig vor, dass die Zeugin sich noch an die Anzahl der Flaschen erinnern konnte, die nach ihr geworfen wurden, aber nicht mehr an das Unterwasser gedrückt werden. Auch die ermittelnde Polizistin sagte, die Zeugin habe sich bei der Vernehmung merkwürdig verhalten.“

Zeuge pöbelt Richter an

Denkbar kurz war der Auftritt des letzten Zeugen in dieser Verhandlung, dessen Auftritt allerdings mit einiger Spannung erwartet worden war: Der Exfreund, der aktuell in Limburg einsitzt und in Handschellen hereingeführt wurde, sollte Aufschluss über die Situation am Badesee geben, zeigte jedoch denkbar wenig Eifer darin, die Frau, wegen der er zu Unrecht verurteilt worden war, zu belasten. Stattdessen erklärte er genervt, er wisse nach zwei Jahren nicht mehr, was passiert sei und wunderte sich darüber, „was der Schwachsinn überhaupt soll“. Trotz der Belehrung durch das Gericht, dass er sich bei einer Weigerung, eine Aussage zu machen, vielleicht wieder als Angeklagter in Diez einfinden werde - wohl im Hinblick auf ein nicht vorhandenes Zeugnisverweigerungsrecht, da er mit der Angeklagten weder verwandt noch verschwägert ist - blieb es bei der Aussage. Keine fünf Minuten später war der Zeuge auf dem Rückweg in seine Zelle.

Die Staatsanwaltschaft sah die uneidliche Falschaussage als erwiesen an und beantragte eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 30 Euro. Das Gericht folgte dem Antrag, fand jedoch auch mitfühlende Worte für die Delinquentin: „Sie haben es mit ihrem damaligen Freund nicht leicht gehabt, aber jemand anders ist aufgrund einer falschen Aussage von Ihnen verurteilt worden und sie können froh sein, dass nicht noch eine Anklage wegen falscher Verdächtigung hinzukam. Wenn Sie sich wegen der Schläge früher an die Polizei gewendet hätten, wäre alles vielleicht ganz anders gekommen“, schloss Richter Böhm die Sitzung.

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