Lebendige Bibliothek
„Die Menschen begannen, sich gegenseitig umzubringen“
Gaga Diakovska möchte unbedingt einmal den Limburger Christopher-Street-Day moderieren.
Till Kronsfoth

Bei der „Lebendigen Bibliothek“ sollen Menschen aus ihrem Leben erzählen und eröffnen so ihren Zuhörern neue Perspektiven. In Diez fanden wieder bewegende Lebensgeschichten Gehör.

Auch dieses Mal hatte die Diezer Würdewerkstatt bei ihrer „Lebendigen Bibliothek“ in Kooperation mit der Diezer Stadtbibliothek interessante Menschen eingeladen, die aus ihrem Leben berichteten. Die Idee hinter der Veranstaltungsreihe: Menschen erzählen aus ihrem Leben und eröffnen ihren Zuhörern neue Perspektiven. „Wenn mich meine kleinen Geschwister fragen: ,Was ist Würde?’, dann sage ich: Würde ist das, was dir wehtut, wenn dir jemand eine Chance verwehrt, die dir zusteht“, eröffnete die Vorsitzende Lena Rapp den Abend. Zwei in dieser Hinsicht besonders spannende, aber auch ergreifende Schicksale teilten Gaga Diakovska und Khuloud Khair Mohamad mit ihren Zuhörern.

Dudi ist studierte Medizinerin. Sie hofft, in Deutschland bald als Arzt arbeiten zu können.
Till Kronsfoth

Khuloud Khair Mohamad, genannt „Dudi“ ist studierte Medizinerin. Die 32-Jährige kam vor einem Jahr aus dem Sudan. Innerhalb dieses einen Jahres hat sie sich in der Sprachschule bis zum B1-Niveau hochgekämpft. Um in Deutschland als Ärztin arbeiten zu dürfen, braucht sie Kenntnisse auf B2-Niveau. „Daran arbeite ich gerade“, erzählt sie.

Im innerstaatlichen sudanesischen Konflikt kämpfen seit April 2023 zwei miteinander verfeindete Militärführer und ihre jeweiligen Einheiten um die Vorherrschaft im Land. Dem vorausgegangen war der Sturz des langjährigen Machthabers Baschir aufgrund monatelanger Proteste der Bevölkerung.“ Als ich gerade mein Visum für Deutschland bekommen hatte, begannen die Menschen im Sudan damit, sich gegenseitig auf offener Straße umzubringen“, sagt Dudi. „Als ich nach meiner Ankunft in Deutschland Fahrrad fahrende Frauen sah, war das für mich ein Kulturschock. Im Sudan gibt es keine Frauen, die Fahrrad fahren. Es ist nicht gesetzlich verboten, aber die Gesellschaft toleriert es einfach nicht. Und ich dachte: ’Ich will auch Fahrradfahren lernen.“ Auch dies hat sie erfolgreich getan.

Je größer der Dachschaden, desto schöner der Blick auf den Sternenhimmel.
Drag-Künstlerin Gaga Diakovska

Gaga Diakovska ist Drag-Künstlerin. Anders als die meisten „Drag-Queens“ ist Diakovska tatsächlich eine Frau. Der Legende nach schrieb Shakespeare an den Rand seiner Bühnenstücke das Wort „Drag“ als Kurzform für „Dressed as a girl“, wenn für eine Rolle ein Mann in Frauenkleidern vorgesehen war. „Die meisten Menschen denken, Drag-Queens müssen immer Männer sein, die sich als Frauen verkleiden und meistens ist das auch so. Aber für mich bedeutet Drag ein Ventil, um aus mir rauszukommen“, sagt die 36-Jährige. Diakovska ist lesbisch. Ihr Comingout hatte sie mit 14. Ihren Künstlernamen wählte sie selbst. „Nicht nur, weil ich ein Fan von Lady Gaga bin, sondern weil meine Freunde sagen: ,Du hast einen Dachschaden!’, aber ich sage dann immer: Je größer der Dachschaden, desto schöner der Blick auf den Sternenhimmel.“ Wenn Gaga Diakovska nicht gerade in Frankfurt oder Köln bei Events auftritt, arbeitet sie als Kindergärtnerin in einer U3-Gruppe. „Dann bin ich natürlich anders angezogen als jetzt“, lacht sie mit Blick auf ihre Netzstrumpfhose, nur, um schlagartig wieder ernst zu werden. „Viele Drag-Queens und Drag-Kings, die in der Jugendhilfe oder im Pädagogikbereich arbeiten, werden von AfD und Freien Wählern angefeindet“, beklagt sie. „Es wird unterstellt, wir würden die Kinder schwul machen. Das sind dieselben Argumente wie vor 20 Jahren von der NPD, nur, dass die damals offen gegen Homosexuelle gehetzt haben. Weil das heute nicht mehr geht, hat man sich auf Drag-Queens und Drag-Kings eingeschossen, aber sie meinen dasselbe“, ist die Künstlerin überzeugt.

Alois Diebold sprach an diesem Abend über ein gänzlich anderes Thema – Schuld. Der ehemalige Gefängnispsychologe der JVA Diez hatte den Freigang eines Insassen befürwortet. Im Zuge dessen hatte der Straftäter drei Frauen vergewaltigt.

Musikalisch untermalt wurde die Veranstaltung von Liedermacher Micha Steinhauer, begleitet von der Bigband Hofheim. Als Gastrednerin sprach die Gleichstellungsbeauftragte des Rhein-Lahn-Kreises: Dorothee Milles-Ostermann: „70 Prozent der Opfer von Gewalttaten im Kreis sind Frauen.“ Sicher, es gäbe Frauenhäuser, aber deren finanzielle Ausstattung sei verbesserungswürdig. Ein großes Problem von Gewaltopfern sei das Gefühl, alleingelassen zu sein. Daher appellierte Milles-Ostermann: „Jeder, der das Gefühl hat, meine Nachbarin ist Opfer von Gewalt und ich weiß nicht, was ich tun soll, kann die 116016 anrufen und sich beraten lassen.“

Ein weiterer Gastredner, Eric Tilch vom Verein LimBUNT, führte aus: „Für uns queere Menschen heißt Würde, so leben zu können, wie man ist. Diese Würde wird heute noch verletzt. Ob in Deutschland für Menschen, die bei der katholischen Kirche angestellt sind und nicht zu dem Menschen stehen können, die sie lieben, oder in anderen Teilen der Welt, wo queere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ermordet werden.“

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