Politischer Schulbesuch
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit
Beim rheinland-pfälzischen Schulbesuchstag stellen sich erneut Landtagsabgeordnete den Fragen der Schülerinnen und Schüler
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Schüler intressieren sich nicht für Politik - ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält. Zu Unrecht, sagen Politiker, die regelmäßig an Schulen mit den jungen Menschen in den Austausch gehen. Ein Austausch, der heute wichtiger ist denn je.

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Die Landtagsabgeordneten drücken derzeit die Schulbank. Insgesamt nutzen Politiker aller Couleur den 2005 eingeführten Schulbesuchstag des Landtags Rheinland-Pfalz und besuchen noch bis Ende November insgesamt 116 weiterführende Schulen im ganzen Bundesland, um mit Schülerinnen und Schülern zu diskutieren. Von Anfang an mit dabei: Matthias Lammert (56). Für den Vizepräsidenten des Landtags stehen dieses Jahr gleich vier Schulen auf dem Programm: die Realschule plus und die Fachoberschule im Einrich, die Nicolaus-August-Otto Schule Diez, das Goethe-Gymnasium Bad Ems und die Freie Walldorfschule Diez. An den Standorten ebenfalls dabei: Der Landtagsabgeordnete Manuel Liguori (44).

Unter den Politikern, die die EInrichtungen im Rhein-Lahn-Kreis besuchen, ist auch Mathias Lammert (CDU).
Annette Schön Katharina

Das Vorurteil, junge Menschen würden sich nicht für Politik interessieren, sieht Lammert in den fast 20 Jahren seiner Schulbesuche nicht bestätigt. „Im Gegenteil: Ich nehme eher ein größeres Interesse wahr als in früheren Jahren“, so der CDU-Politiker. Die Jugendlichen seien sehr gut informiert. „Von Politikverdrossenheit kann ich da nichts spüren.“ Die Schulen müssten sich natürlich auch an den Besuchstagen beteiligen. Ihm und Liguori geht es angesichts extremistischer Tendenzen in der Gesellschaft und einer Verhärtung der politischen und gesellschaftlichen Fronten vor allem darum, die jungen Leute für die Demokratie zu begeistern. „Wenn ich von Schülern gesagt bekomme, man dürfe seine Meinung nicht mehr sagen, halte ich schon dagegen: Hier darf ich sagen, wenn mir an der Schule etwas nicht gefällt. In anderen Ländern bekomme ich Probleme“, nennt Lammert ein Beispiel. Demokratische und offene Diskussionen seien wichtig und die Darstellung der Grundrechte und Freiheiten. „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Tyrannei auf“, sei für ihn ein zentraler Satz, den er Jugendlichen mitgibt und verdeutlicht. „Ich versuche, bei meinen Besuchen immer zu erklären: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sie muss immer wieder erarbeitet werden.“

So viele Anfragen für Besuche wie noch nie

Das ist auch dem SPD-Abgeordneten Liguori ein zentrales Anliegen während der Schulbesuche, an denen er jetzt zum dritten Mal teilnimmt und sich freut, dass es noch nie so viele Anfragen dafür gab wie in diesem Jahr. „Wenn die Demokratie gefährdet ist, ist es umso wichtiger, im direkten Kontakt Verständnis für politische Prozesse zu wecken“, so der Sozialdemokrat. Auch wenn unter Jugendlichen wie Erwachsenen einfache und schnelle Lösungen und Umsetzungen immer öfter gewünscht seien, „Demokratie ist auf Kompromisse angelegt, das braucht Zeit, um Meinungen zu hören und zu diskutieren, damit die Freiheit nicht eingeschränkt wird.“ Das schließe natürlich Verbesserungen nicht aus, etwa durch den Abbau von Bürokratie. Aber die Menschen müssten in ihren Meinungen mitgenommen werden.

Bei aller Digitalisierung – die hautnahe Begegnung zwischen Schülern und Politikern sei unersetzlich. „Trotzdem müssen wir uns noch stärker in den digitalen Medien einbringen“, sagt Liguori, der gerade dabei ist, nach Instagram und Facebook auch einen TikTok-Kanal anzulegen. Aber das direkte Gespräch helfe, Vorurteile abzubauen und falsche Informationen aufzuklären. Viele junge Leute hätten das Gefühl, Politik sei von der Lebenswirklichkeit zu weit entfernt, lebe in der eigenen Blase und beschäftige sich nur mit sich selbst. „Mit den Schulbesuchen lässt sich das widerlegen, und man hat die Möglichkeit, jungen Menschen klarzumachen, dass es Sinn macht, sich selbst in die Politik einzubringen“, so Liguori.

Für alles andere als antiquiert hält auch Lammert das Format. „Das Konzept trägt und baut Distanz ab.“ Durch die eigenen dem Schulalter gerade entwachsenden Kinder fühlt er sich zwar noch nah an den Interessen dieser Generation. „Das persönliche Gespräch mit Schülerinnen und Schülern ist und bleibt mir aber sehr wichtig“, so der Christdemokrat. Das Gute an den Besuchen: „Man kann unmittelbar Infos, Anregungen und Kritik aufnehmen“, sagt Lammert und ergänzt: „Viele der jungen Leute kommen in ihrem Alltag ja nicht auf die Idee, mich im Internet anzuklicken oder mir darüber eine Frage zu stellen.“

Die Themen, über die gesprochen wird, sind so vielseitig wie die jungen Menschen, ihre Interessen und Schullaufbahnen selbst. „Was verdienen Sie?“ und „Wann kommt der Führerschein mit 16?“ sind die zwei häufigsten Fragen, die Lammert beantworten musste. Aber auch konkrete Probleme in Schulalltag und Freizeit werden angesprochen. „Jugendliche können sehr unverblümt und klar Fragen stellen, das gefällt mir“, sagt Liguori. Und so schätzen die beiden Politiker nicht nur, ihre eigene Arbeit erklären zu können, sondern auch zu erfahren, wo die Schüler der Schuh drückt. Wann wird das WLAN in der Schule besser? Wann wird die Turnhalle saniert? Wie kann die Lehrerversorgung verbessert werden? Das sind konkrete Anliegen, die schon an Lammert herangetragen wurden und denen er nachgehen konnte. „Die meisten Fragen lassen sich gleich beantworten, andere werden nachgereicht“, so Lammert. Liguori wurde etwa mit Kritik am ÖPNV konfrontiert. „Das habe ich für die Beratung im Kreistag mitgenommen.“

Spielt die Parteizugehörigkeit der beiden während der Besuche eine Rolle? „Nein“, sagen sie unisono. „Natürlich stellen wir unterschiedliche Standpunkte unserer Parteien vor, wenn wir danach gefragt werden“, berichtet Lammert. Aber wichtiger ist ihnen die Werbung fürs demokratische Miteinander. „Engagiert euch in Vereinen, Jugendorganisationen, in Parteien“, macht Liguori in den Schulen Mut zum Mitmachen.

Zum Schulbesuchstag

Seit 2003 gibt es den Schulbesuchstag in Rheinland-Pfalz. Ins Leben gerufen wurde er vom damaligen Landtagspräsidenten Christoph Grimm im Rahmen der Veranstaltungen zum 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Seit dem Jahr 2005 findet der landesweite Schulbesuchstag jeweils im Umfeld des 9. Novembers statt. Mittlerweile haben sich über 130.000 Schülerinnen und Schüler am Schulbesuchstag beteiligt.

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