Posthum allerdings fanden die beiden Diven in einer sehr intensiven Begegnung zueinander – in einem Doppelporträt, das am vergangenen Freitagabend in der Braubacher Markuskirche zu erleben war. Dorthin waren die Burgspiele Braubach, eigentlich eine Open-Air-Veranstaltungsreihe im Innenhof von Schloss Philippsburg, wo sie tags darauf auch wieder stattfinden sollten, der wackeligen Wetterprognose wegen umgezogen.
Man habe mindestens 30-mal diverse Wetter-Apps studiert und dann entschieden, das von der evangelischen Kirchengemeinde Braubach zur Verfügung gestellte Ausweichquartier zu nutzen, verriet Friedhelm Hahn, einer der führenden Köpfe der Burgspiele, der für den Chansonabend „Die Gedanken sind frei“ überdies die verbindenden Texte geschrieben hat. Es sei ein spannender Prozess gewesen, die passende musikalische Besetzung für dieses Projekt zu finden, fügte er im Gespräch mit unserer Zeitung hinzu.
Um es vorweg zu nehmen: Die fünf Akteure im Altarraum ergaben genau die richtige Konstellation für einen Chansonabend dieser Klasse. Silva Heil (Gesang und Sprecherin), Ulrich Cleves (Piano und musikalische Leitung), Rudolf Frauenberger (Kontrabass), Ivo Ivanow (E-Gitarre) und Mario Specht (Sprecher) transportierten die Musik, vor allem aber auch die Persönlichkeiten der beiden heute zumindest bei Jüngeren nahezu vergessenen Sängerinnen aus den 1960er- bis, im Fall von Milva, 2010er-Jahren sehr eindrucksvoll in die Gegenwart.
Gemeinsamkeiten gefunden
Und verdeutlichten dabei immer wieder die Gemeinsamkeiten, die es den unterschiedlichen Lebensläufen zum Trotz zwischen diesen beiden Frauen gab. „Beide stellten die Frage nach dem Sinn des Lebens, beide setzten sich für ihre Werte ein und kämpften für ihre Freiheit“, fasste Mario Specht, der sich bei der textlichen Performance mit Silva Heil die Bälle zuspielte, zusammen.
Da ist die Italienerin Milva, 1939 in armen Verhältnissen geboren, deren Karriere startete, als sie 1959 den Talentwettbewerb des italienischen Rundfunks gewann. Schnell war die in acht Sprachen singende Milva auch im Ausland ein Star. Wobei ihre Liedtexte von Anfang an nicht nur Tiefgang, sondern zumeist auch eine politische Botschaft hatten: „La Rossa“ war, ganz abgesehen von ihrer markanten roten Mähne, überzeugte Sozialistin. Sie setzte sich gegen jede Form von Unterdrückung ein – Lieder wie das von Silva Heil geradezu kongenial gesungene „Freiheit in meiner Sprache“ oder eben das titelgebende „Die Gedanken sind frei“ zeugen davon.
Etwas anders verhielt es sich mit der drei Jahre jüngeren Alexandra, die zunächst auf belanglose Schlager und eingängige Russland-Folklore gebucht war – ein Beispiel aus dieser Phase ist das ebenfalls von Silva Heil sehr eindrucksvoll dargebotene „Lied der Taiga“. Aber: Alexandra wollte bald mehr, bestand auf eigenen Texten und Liedern. So entstand unter anderem „Mein Freund, der Baum“, das bis heute wohl bekannteste Lied dieser Sängerin, von der Silva Heil sagte, man könne sie zu Recht als die erste Ökoaktivistin bezeichnen.
„Beide stellten die Frage nach dem Sinn des Lebens, beide setzten sich für ihre Werte ein und kämpften für ihre Freiheit.“
Mario Specht über Alexandra und Milva
Beide Frauen waren ihrer Zeit zweifelsohne weit voraus. Und: Beide entsprachen so gar nicht dem damals vorherrschenden Frauenbild – Milva nicht, die für die Selbstbestimmung der Frauen kämpfte, und auch nicht die selbstbewusste Alexandra, die sich, in den 1960er-Jahren keineswegs selbstverständlich, als alleinerziehende Mutter behauptete.
Stücke waren teils dunkel, teils knallig
Es war Silva Heils großes Verdienst, die gesanglichen Unterschiede zwischen diesen beiden großartigen Künstlerinnen erlebbar zu machen. Hier die dunkle, von tiefer Melancholie geprägte Stimme von Alexandra, dort die stets sehr expressiv vorgetragenen, teils „knalligen“ Lieder Milvas, die hier und da – wie es etwa bei „Little man“ (Piccolo ragazzo) der Fall war – sogar an italienische Gassenhauer erinnerten: Man hatte in der Tat den Eindruck, zwei unterschiedliche Sängerinnen vor sich zu haben. Als Zugabe obendrauf kam das mimische Talent der Schauspielerin Silva Heil: Da saß jede Pose, jede Geste und jedes Mienenspiel, ohne dass es angestrengt gewirkt hätte.
Zusammen mit der einfühlsamen, auf einem hohen musikalischen Niveau angesiedelten Begleitung der Instrumentalisten Uli Cleves, Rudolf Frauenberger und Ivo Iwanov, die das Geschehen zudem mit dem einen oder anderen Solo bereicherten, aber auch mit der ausdrucksstarken Co-Moderation von Mario Specht ergab das eine anregende Mischung, die durch den Abend trug.
Und den Blick auf eine weitere Gemeinsamkeit der beiden einst berühmten Diven lenkte: Weder Milva noch Alexandra hatte Glück in der Liebe. Beide durchlebten zahlreiche Affären, scheiterten aber immer wieder an diesem „großen Menschheitsthema“, wie es in der Moderation hieß. Lieder wie „Komm zurück zu mir“ (Milva) oder „Grau zieht der Nebel“ (Alexandra) vermitteln eine Ahnung davon. Logisch, dass auch der tragische, bis heute von zahlreichen Mythen und Ungereimtheiten umrankte Unfalltod der erst 27-jährigen Alexandra ein Thema war – ein regelrechter Krimi, der über ihr ohnehin bewegtes Leben hinaus für Schlagzeilen sorgte.
Zwei Frauen mit einer außergewöhnlichen Biografie, die zahlreichen Liedern zur Unsterblichkeit verholfen haben – es war einer der großen Pluspunkte dieses Abends, dass er diese beiden Ebenen miteinander zu verbinden verstand und so ein fast mit Händen greifbares Ganzes entstehen ließ. Die stehenden Ovationen und mehrfach geforderten – und gegebenen – Zugaben am Ende waren da nur so etwas wie die logische Folge.