Und weil er gerade eine berufliche Auszeit hatte, konnte er diese Idee jetzt umsetzen. Dass dazu nicht unbedingt der Jakobsweg in Spanien nötig ist, bewies er mit seiner Wanderung aus Lahnstein nach Basel.
Noch nie so lange unterwegs
Fit war Otu schon vor seinem Start: Als langjähriger Sportler macht er dreimal in der Woche Fitness- und Ausdauertraining in der Natur oder einem Lahnsteiner Kraftstudio. Regelmäßig trainiert er mit anderen in den Rheinanlagen, um seine und deren körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. Darüber hinaus legt er gerne alltägliche Strecken zu Fuß zurück und fährt selten Auto. Allerdings hatte er sich vorher noch nie auf einen so langen Weg gemacht. Große Blasen schon wenige Tage nach dem Start seines Marathon-Marsches waren das Ergebnis der ungewohnten Belastung für die Füße.
„Die Füße tun weh, sie bluten. Aber Du hast keine andere Möglichkeit. Du musst einfach weiter gehen“, betont Otu. Einige Wanderer hätten ihm geraten, die Schuhe zu wechseln. „Aber ich glaube einfach, da muss man durch. Bis die Blasen austrocknen und sich die Füße daran gewöhnt haben“, so der 48-Jährige. Hier merkt man Otu an, dass er es in der Kindheit und Jugend nicht leicht hatte – und lernen musste, sich durchzubeißen. „Manche Wanderer nutzen Tourismusfirmen, um ihr Gepäck ins nächste Hotel zu bringen. Das war aber nichts für mich. Ich wollte alles selbst machen“, betont Otu. Allerdings gibt er auch zu, dass er eine Sache beim nächsten Mal anders machen würde: „Ich hätte weniger Gepäck dabei. 20 Kilo waren definitiv zu viel. Die Hälfte muss reichen.“
Man braucht mehrere Pläne
Auf jeden Fall sei Flexibilität wichtig: „Man muss immer einen Plan B, C oder D haben. Beispielsweise, wenn das Zelten in einem Naturschutzgebiet verboten ist. Oder wenn es keine Hotels, Pensionen oder Jugendherbergen gibt.“ Dabei habe er manchmal ungewöhnliche Wege eingeschlagen: „Einmal fand ich in den Ebay-Kleinanzeigen eine Frau, die eigentlich jemanden für eine WG suchte. Die habe ich kontaktiert und gefragt, was sie von einer Zwei-Tage-WG halten würde. Nachdem wir länger telefoniert hatten, bot sie mir an, dass ich einfach vorbei kommen soll.“ Am Ende habe er mit Christina Debos, so hieß die Dame, sogar einen Podcast aufgenommen – interessanterweise für Single-Mamas als Zielgruppe.
Überhaupt sei der Kontakt zu den Menschen auf dem langen Weg am interessantesten gewesen, hebt Otu hervor: „Ich habe eine natürliche Neugier auf Menschen. Ich liebe Menschen.“ Und weiter: „Wichtige Werte für mich sind Respekt und Akzeptanz. Ob ich in Harmonie mit anderen zusammenkomme, liegt vor allem an mir selbst.“ Lächeln sei das beste Mittel, um Menschen zu kontaktieren. Es strahle eine positive Energie aus. „Man darf keine Angst haben, keine Vorurteile, sondern den Mut, auf die Menschen zuzugehen. Ich habe auf der Wanderung sicher 60 bis 70 Menschen kennengelernt. Dabei gab es keine einzige negative Reaktion – egal, wen ich ansprach.“
So habe er den Inhaber einer Strandbar gefragt, ob er auf dessen Platz übernachten könne. Und da er vorher durch gute Stimmung einen hohen Umsatz generiert habe, sei ihm dies erlaubt worden. „In der Nacht gab es auf einmal Krach. Als ich mein Zelt aufmachte, sah ich mehrere Jugendliche. Mit denen habe ich mich zusammengesetzt und ausgetauscht. Am Ende nannten sie mich ‚großer Bruder‘, erzählten über ihre Lieblingslieder und ihre Lieblingsvereine. Es war sehr harmonisch, da sie merkten, dass sie ernst genommen wurden.“ Dies sei eines der schönsten Erlebnisse der Reise gewesen. Weil sich alle wohlgefühlt hätten.
Hilfe gegeben, Hilfe bekommen
„Ein anderes Mal saß ich in einer Pension, weil ich auch einmal duschen wollte. Dort wohnte ebenfalls eine größere Gruppe von Motorrad-Fahrern. Weil ich eine Zecke hatte, bat ich die Jungs einfach um Hilfe. Und am Ende haben mich alle ausgefragt und waren beeindruckt, dass ich den ganzen Weg zu Fuß zurücklege.“ Aber auch er habe anderen geholfen, erinnert sich Otu: „Da war einer, der vorher als IT-Angestellter gearbeitet hat und nun wie ein Obdachloser lebte. Den habe ich einfach zum Frühstück eingeladen.“ Ein anderes Mal sei in einem Geschäft die Internetverbindung ausgefallen. Da habe er über ein Handy eine Behelfs-Verbindung aufgebaut. „Darüber hinaus gab es noch viele energiegeladene Begegnungen. Kleine, gefühlvolle Gänsehautmomente.“
„Mit der Zeit klappte es auch mit der harmonischen Verbindung zur Natur“, berichtet Otu. Deshalb habe er nach den schönen Gärten in Speyer seine Route geändert – weg von der direkten Linie den Rhein entlang: „Ich dachte, dass Ludwigshafen mit seiner Industrie nicht mein Ding ist. Weil ich in meinem Beruf jahrelang unter großer Lärmbelastung arbeiten musste. Darum habe ich etwas recherchiert und mich für den ‚Westweg‘ durch den Schwarzwald entschieden. Am Ende waren es dann rund 500 Kilometer bis nach Basel.“
Otus Fazit: „Ich finde es wichtig, dass jeder einmal etwas für sich selbst tut. Was er oder sie unbedingt will. Ohne sich von jemand anderem beeinflussen zu lassen. Ich bin einfach glücklich, dass ich diesen Weg gegangen bin.“ Falls er nochmal die Möglichkeit hätte, würde er gerne von Basel bis zur Quelle des Rheins weiter wandern. Aber eines sei ihm nach dem Marsch auch klar geworden: „Am schönsten war es doch von hier bis Bingen den Rhein entlang, mit den ganzen Burgen. Viele Menschen fahren ganz weit weg und übersehen dabei, wie schön wir es hier bei uns haben.“