Er spricht von „Asbestfallen“ und nennt Zahlen: „In den vier ,Asbestjahrzehnten‘ wurden im Rhein-Lahn-Kreis rund 18.000 Wohnhäuser mit 30.300 Wohnungen neu gebaut. Das sind immerhin 47 Prozent aller Wohngebäude, die es heute im Kreis gibt. Dazu kommen noch Gewerbegebäude, Garagen, Ställe und Scheunen in der Landwirtschaft.“ Der stellvertretende Bezirksvorsitzende der IG Bau Koblenz-Bad Kreuznach verweist dabei auf die „Situationsanalyse Asbest“, die die Bau-Gewerkschaft beim Pestel-Institut (Hannover) in Auftrag gegeben hat.
„Asbest ist ein krebserregender Stoff. Wer in einem asbestbelasteten Haus wohnt, muss sich trotzdem erst einmal keine Sorgen machen. Erst bei Sanierungsarbeiten wird es kritisch. Dann kann Asbest freigesetzt und damit zu einem ernsten Problem werden“, sagt Gordon Deneu. Er warnt vor einer „unsichtbaren Gefahr“, wenn Altbauten zu Baustellen werden: „Alles fängt mit Baustaub und dem Einatmen von Asbestfasern an. Bauarbeiter und Heimwerker haben kaum eine Chance, diese Gefahr zu erkennen.“
Bis zu 30 Jahre dauere es, ehe es zur tragischen Diagnose komme: Asbestose – mit Lungen-, Bauchfell- oder Kehlkopfkrebs. Zum Komplettschutz bei einer Sanierung mit Asbestgefahr gehöre daher immer mindestens eine FFP3-Atemschutzmaske. Ebenso ein Muss: Overall, Schutzbrille und Handschuhe.
Gewerkschaft IG Bau fordert Info-Kampagne
„Altbauten im Rhein-Lahn-Kreis sind ein tonnenschweres Asbestlager. Die krebserregende Mineralfaser steckt in vielen Baustoffen. Die Asbestfallen lauern überall: Asbest ist oft im Putz und sogar in Spachtelmassen und Fliesenklebern. Vor allem aber im Asbestzement. Daraus wurden vorwiegend Rohre, Fassadenverkleidungen und Dacheindeckungen gemacht. Eternit war typisch für den Westen, Baufanit für den Osten“, sagt Gordon Deneu. Ein großes Problem sei Spritzasbest: „Hier sind die Asbestfasern schwächer gebunden. Sie können deshalb leichter freigesetzt werden. Vor allem Aufzugsschächte sowie Schächte mit Versorgungs- und Entsorgungsleitungen wurden früher intensiv mit Spritzasbest verkleidet“, erklärt Deneu.
Die IG Bau spricht von einer neuen „Asbestgefahr“: „Wir stehen am Anfang von zwei Sanierungsjahrzehnten. Die energetische Gebäudesanierung wird enorm an Fahrt aufnehmen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, wird auch im Rhein-Lahn-Kreis in den nächsten Jahren ein Großteil der Altbauten angefasst.“ Dabei bleibe es in den meisten Fällen nicht bei einer reinen Energiesparsanierung: „Wohnhäuser werden modernisiert, senioren- und familiengerecht umgebaut. Es wird angebaut und aufgestockt, um mehr Wohnraum zu bekommen“, so Deneu.
Die IG BAU will der drohenden Asbestwelle auf dem Bau jetzt mit einem Maßnahmenpaket entgegentreten. Die Bau-Gewerkschaft hat dazu eine bundesweite Asbestcharta mit zentralen Forderungen für mehr Schutz vor Asbest vorgelegt. Gewerkschafter Deneu fordert einen Schadstoffgebäudepass mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die jeweilige Asbestbelastung eines Gebäudes. „Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker muss wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert“, so Gordon Deneu.
Er plädiert außerdem für eine staatliche Sanierungsprämie. Dazu müsse der Bund ein KfW-Förderprogramm „Asbestsanierung“ schaffen. „Das hilft, Kosten abzufedern, die bei einer beispielsweise energetischen oder altersgerechten Gebäudesanierung in asbestbelasteten Wohnhäusern zusätzlich entstehen. Außerdem ließe sich damit auch eine ordnungsgemäße Entsorgung von alten Asbestbaustoffen sicherstellen“, so Deneu. Die Gewerkschaft fordert deshalb eine intensive Asbestaufklärung.
Asbestfolgen können tödlich sein
Die Dimension und damit auch die Gefahr, die vom Asbest ausgehe, sei gewaltig: Insgesamt sind nach Angaben des Pestel-Instituts in der Zeit von 1950 bis 1990 bundesweit rund 4,35 Millionen Tonnen Asbest (Ost- und Westdeutschland) importiert worden. Daraus seien rund 3500 Produkte hergestellt worden – die meisten davon für den Baubereich: Knapp 44 Millionen Tonnen asbestbelastetes Baumaterial stecken bundesweit im Gebäudebestand.
In den vergangenen zehn Jahren sind nach Angaben der IG BAU 3376 Versicherte der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) an den Folgen einer asbestbedingten Berufserkrankung gestorben, darunter allein 320 Baubeschäftigte im vergangenen Jahr. red