Die Frau sollte im Januar auf der B 274 zwischen Zollhaus und Allendorf einem anderen Pkw zu dicht aufgefahren sein. Dann überholte sie, ohne den Gegenverkehr einsehen zu können. In diesem Moment sei ein anderer Wagen entgegengekommen, sodass sich kurzzeitig drei Fahrzeuge auf einer Höhe befanden. Nur durch ein Wunder, so der Vertreter der Staatsanwaltschaft, sei es nicht zu einem Unfall gekommen.
Danach habe sie den vor ihr befindlichen Wagen abermals überholt, während dieser gerade links nach Allendorf abbiegen wollte, wodurch es zu einem Unfall zwischen den beiden Autos kam und die zweite straßenverkehrsgefährdende Situation stattgefunden habe.
Die Kinderkrankenschwester aus dem Rhein-Lahn-Kreis, die wegen einer Vorverurteilung wegen Betrugs unter laufender Bewährung steht, bestritt nicht, die Fahrerin gewesen zu sein. „Ich hatte den Eindruck, dass der Fahrer vor mir mit der Bremse gespielt hat. Ich habe einen Anruf der Mutter meines Lebensgefährten bekommen, dass sie sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen habe, und wollte schnell zu ihr fahren“, ließ die Angeklagte durch ihren Anwalt erklären. Dass drei Wagen nebeneinander auf der Fahrbahn gewesen seien, stimme nicht. Dass sie nach dem Unfall einfach weggefahren sei, werte sie nicht als problematisch, weil sie den Unfall nicht als solchen wahrgenommen habe und sie schnell zu ihrer Schwiegermutter wollte.
Angeklagte: „Wenn es eine Berührung gegeben hätte, hätte ich das gemerkt.“
„Wenn es eine Berührung gegeben hätte, hätte ich das gemerkt. Der Zeuge hat auch nicht zu mir gesagt: ‚Sie haben mich touchiert‘, als wir miteinander sprachen“, erklärte sie vor Gericht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft monierte: „Warum sollte ein Zeuge eine falsche Verdächtigung aussprechen?“ Woraufhin der Verteidiger bemerkte: „Meine Mandantin kann nicht in den Kopf des Zeugen schauen.“
Schließlich kam der Fahrer des mutmaßlich touchierten Fahrzeuges selbst im Zeugenstand zu Wort: „Ich bin die Schliem hoch. Hinter mir ist ein anderer Wagen dicht aufgefahren. Ich habe gebremst, um zu zeigen, dass das zu dicht ist. Der Wagen überholte, in dem Moment kam Gegenverkehr. Alle drei Wagen fuhren einen Moment lang nebeneinander. Vor Allendorf hat mich das Fahrzeug erneut überholt, obwohl ich gerade links abbiegen wollte. Dann gab es einen Knall. Die Fahrerin und ich stiegen aus. Sie sagte, sie habe die Polizei verständigt, was aber gelogen war, denn plötzlich stieg sie wieder ein und fuhr weg.“ Die vom Zeugen hinzugezogene Polizei konnte an seinem Wagen zwar keinen Schaden feststellen, doch der Wagen sei 16 Jahre alt und weise daher zahlreiche Kratzer und Beulen auf, weshalb der von der Angeklagten verursachte Schaden nicht mehr zugeordnet werden könne, so der Zeuge.
Als Nächstes wurde der 25-jährige Sohn des mutmaßlich Geschädigten in den Zeugenstand gerufen, der als Beifahrer seines Vaters zugegen gewesen war. Der Junior wich in seiner Darstellung des Geschehens in wesentlichen Punkten von der Erzählung des Vaters ab, vor allem im Hinblick auf die Frage, ob sich während des ersten Überholmanövers wirklich drei Fahrzeuge auf derselben Höhe befunden hatten und ob die Angeklagte während des zweiten Überholmanövers überholt hatte, obwohl der Abbiegevorgang bereits begonnen hatte.
Staatsanwalt: „Da haben sich zwei Deppen zur gegenseitigen Verkehrserziehung getroffen!“
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft machte seinem Ärger sowohl über die Angeklagte als auch über den Zeugen, der es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte, Luft: „Da haben sich zwei Deppen zur gegenseitigen Verkehrserziehung getroffen!“ Das Gericht regte aufgrund der neuen Sachlage eine Einstellung der zweiten Verkehrsgefährdung kurz vor Allendorf durch das Überholmanöver an, und die Staatsanwaltschaft erklärte, was den ersten Überholvorgang angehe, müsse wohl eher von einer Nötigung denn von einer konkreten Verkehrsgefährdung ausgegangen werden, weil nicht mehr glaubhaft sei, dass tatsächlich ein drittes Auto auf derselben Höhe gewesen sei.
Am Ende wurde die Angeklagte, deren Bundeszentralregister 13 Einträge wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis, Diebstahl und Betrug aufwies, wegen Nötigung zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung – unter der Auflage, eine Geldstrafe in Höhe von 1800 Euro zu zahlen – verurteilt sowie zu einem vierwöchigen Führerscheinentzug.