Margherita Ruppel ist hier groß geworden, es ist ihr Elternhaus. 20 Jahre lebte sie in Kaub, heute in München. Wo einst ihr Mädchenzimmer war, die Küche und die Wohnstube, das zeigt sie bei einem Rundgang. Lange Jahre hatte das Anwesen leergestanden. Nach dem Tod ihrer Mutter und ihres Bruders fiel es ihr als Erbe zu. Was aber tun mit dem sanierungsbedürftigen, stark in Mitleidenschaft gezogenen Gebäude? Verkaufen? In dem Zustand? Und an wen? Schließlich wurden sie und ihr Mann sich einig: „Wir nehmen die Herausforderung einer professionellen Sanierung an!“
200 Stützen für marode Balken
Der Gedanke dahinter: Ihre Schwester lebt noch in Kaub, und das Elternhaus soll auch ihr Alterssitz werden. Zurück zu den Wurzeln. Das ist jedoch schneller gesagt, als getan. Allein die Projektvorbereitung hat, auch wegen Corona, drei Jahre Zeit in Anspruch genommen. Zunächst einmal mussten Hunderte Tauben, die sich hier eingenistet hatten, mithilfe der Kauber Tierschützerin Natascha Ness außer Haus gebracht werden. Lebendig, wohlgemerkt. Eine Spezialfirma entsorgte den Kot der Tiere. Ehe aber nur ein Arbeiter das Fachwerkhaus betreten durfte, mussten die zum Teil maroden Balken mit rund 200 Stützen abgefangen werden. Gefahr war in Verzug.
Zig Gespräche mit dem Denkmalschutz folgten. Die Ämter waren und sind eine tolle Unterstützung, sagt Margherita Ruppel, brachten sich finanziell und mit Know-how ein. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz steuerte ebenfalls Geld dazu, und mit einem speziellen Darlehen der KfW-Bank für denkmalgeschützte Häuser konnte das Gebäude energetisch saniert und auf dieser Grundlage eine Wärmepumpe eingebaut werden. „Ohne die Fördermittel wäre unser Plan nicht umzusetzen gewesen“, sagt Margherita Ruppel. „Mit dem Geld muss man dann aber auch auskommen. Und darüber hinaus bringen wir natürlich in erheblichem Umfang eigene Mittel mit ein.“
Hilfe von Denkmalschützern
Der vom Mainzer Landesamt für Denkmalpflege beauftragte Bauhistoriker stellte durch eine dendrochronologische Untersuchung, bei der das Alter der Eichenbalken bestimmt wurde, fest, dass als Baujahr um 1653 angenommen werden kann. Dies würde dazu passen, dass die Kauber sich in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Friede (1648) daran machten, die durch immer wieder neue Besatzungen durch spanische, schwedische, hessische, französische und kaiserliche Truppen sowie einen verheerenden Brand stark in Mitleidenschaft gezogene Stadt Haus für Haus wiederaufzubauen.
„Mannpforte“ entdeckt
Mit dem Oberweseler Architekten Hubertus Jäckel fand man schließlich einen ausgewiesenen Fachmann für denkmalgeschützte Altbauten, er hat unter anderem die Sanierung des „Alten Hauses“ in Bacharach begleitet. Und mit der Baufirma Kramp & Kramp aus Lemgo heuerte man Spezialisten für Altbauten, Restaurierung und Denkmalpflege an, die für ihre besonderen Leistungen schon mehrfach ausgezeichnet wurden. Für alle anderen Gewerke, vom Trockenbau über Heizung und Sanitär bis zur Elektrik, wurden Unternehmen aus Kaub und der Region engagiert.
Beim Entkernen stießen die Arbeiter auf die nächste Überraschung: Hinter einer gemauerten Verblendung im Flur parterre fand sich eine mannshohe Nische in der Bruchsteinwand, die der Bauhistoriker definitiv als „Mannpforte“, also dem Unterstand eines Nachtwächters, benannte. Im ersten Stock dann kam man dem Geheimnis auf die Spur: Hier kam ein steinerner Bogen zum Vorschein – offensichtlich die Reste des alten Stadttors. Die Erklärung: Das Haus war zunächst nicht direkt an die Metzgergasse angrenzend, sondern ein Stück weiter zurück in Richtung Rhein an die Stadtmauer angebaut worden. Vor dem Gebäude muss sich damals das Stadttor befunden haben – zusammen mit der Mannpforte, also der Raum für den Posten am Tor. Später dann wurde das Haus zur Metzgergasse hin erweitert, angelehnt an die Stadtmauer, Mannpforte und Torbogen wurden in den Bau einbezogen. Ergo müsste das heutige Stadttor zur Metzgergasse hin erst danach errichtet worden sein ...
Die Arbeiten im Haus Metzgergasse 29 haben im April des vergangenen Jahres begonnen. Einige der alten Eichenbalken sind noch voll intakt, andere waren marode und mussten ausgetauscht werden. Die typischen Ausfächerungen aus Stroh und Lehm im Ständerfachwerk sind repariert worden, unter dem neuen Lehmputz befinden sich in den Wänden – wie bei einer Fußbodenheizung – Dämmung und Rohre für das von der Wärmepumpe erzeugte Warmwasser, die Wand ist also praktisch der Heizkörper. Die original erhaltenen Platten im Hausflur aus dem Mittelalter werden genau wie alte Schieferplatten noch aufgearbeitet. Das gilt auch für die Haustür. Dort, wo das Fachwerk repräsentativ ist, bleibt es sichtbar. Im größten Raum des ersten Stockwerks soll eine sogenannte Kölner Decke, also eine vollständig verputzte Balkendecke, bei der die Enden zwischen zwei Deckenbalken jeweils halbrund ausgestaltet sind, rekonstruiert werden. Die Fenster sind aus Eiche, aber weiß. Bäder, Toiletten, die Installationen für die Küchen auf allen drei Etagen sind auf modernsten Stand. Eine neue Treppe vom Parterre in den ersten Stock wird eingezogen. Im zweiten Stockwerk waren früher wohl mal Heuboden und Speicher. Es ist separat über die Gasse Auf der Mauer zu erreichen. Eine neue Gaube haben Denkmalschutzbehörde und Stadt Kaub genehmigt, damit hier die Wohnung erweitert werden konnte. Das alte Gebälk, mit Holzzapfen verbunden, bleibt erhalten. Durch die Gaubenfenster wird man beim Duschen später mal auf die Burg Gutenfels blicken können.
Alte Handwerkskunst war nötig
Das Vergnügen wird Margherita Ruppel selbst haben, denn die Dachgeschosswohnung wird sie für sich und ihren Mann behalten. Parterre und erster Stock sollen vermietet werden. Ein kleiner Innenhof im hinteren Teil des Hauses wird allen drei Etagen etwas Lichteinfall auf dieser Seite ermöglichen. Die Zugänge zum Gewölbekeller bleiben innen wie außen bestehen. Und natürlich ist bei einem solchen Kleinod auch für den Außenanstrich handelsübliche Farbe nicht erwünscht. Zusammen mit dem Denkmalschützern wird zurzeit der richtige Ton der Mineralfarben getestet.
„Was hier geleistet wird“, so Margherita Ruppel, „ist eine hochwertige Sanierung. Es wird keine Chemie verwandt, sondern Baustoffe, die dem Alter und der Bauart des Hauses gemäß sind. Die Balken etwa werden mit Leinöl behandelt, es kommt Lehm bei den Wänden zum Einsatz. Kaputte Eichenbalken wurden durch neue ersetzt. Auch die energetische Sanierung erfolgte auf Naturstoffbasis.“ Alte Handwerkskunst macht dies alles möglich. Spätestens im Frühjahr nächsten Jahres soll der Bau bezugsfertig sein – innen wie außen. Bis dahin ist auch die alte Haustüre wieder eingesetzt, die zurzeit noch überarbeitet wird. Das „neue“ alte Haus dürfte die Kauber erfreuen und sicherlich auch ein Fotomotiv für Touristen werden. Womit zugleich ein neues Kapitel der alten Kauber Stadtgeschichte aufgeschlagen wird ...