Preisträger Alexander Schweitzer aus Nastätten gewährt Einblick in Sportpolitik im Herzogtum Nassau
Als Turnen noch hochpolitisch war: Blick in die Zeit des Herzogtums Nassau
Im Jahr 1928 errichtete der 1860 gegründete Nassauer Turnverein ein Denkmal auf dem alten Turnhallenplatz am Lahnufer. Anlass war der 150. Geburtstag des Turnvater Jahn, der die damals politisch und nationalistisch geprägte Turnbewegung initiiert hatte.
Carlo Rosenkranz

Nassau. Tanzveranstaltungen und politische Aktivitäten der Turnvereine waren den Herrschenden zu früheren Zeiten ein Dorn im Auge. Über die Situation im Herzogtum Nassau hat der Nastättener Alexander Schweitzer kürzlich in einem Vortrag auf Einladung des Geschichtsvereins Nassau referiert.

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Alexander Schweitzer hat sein Abitur am Wilhelm-Hofmann-Gymnasium in St. Goarshausen abgelegt und war bereits mit zwölf Jahren Preisträger beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten.

Zunächst ging Schweitzer auf die allgemeine Situation des Herzogtums Nassau ein, welches zwischen 1806 und 1866 bestanden hat. Das Herzogtum Nassau war ein Agrarstaat mit unterentwickelter Industrie und wenig moderner Infrastruktur. Die Gesellschaft bestand überwiegend aus Kleinbauern und Handwerkern und einer kleinen Schicht von Adligen sowie Bürgerlichen. Die nassauische Bevölkerung litt unter Verarmungskrisen.

Kleinbauern und Handwerker kämpften mit wirtschaftlichen Problemen. Zudem gab es ab 1820 zunehmend Repression und Unterdrückung seitens der Obrigkeit. Wie ein Zitat aus einem Brief von Staatsminister von Dungern an Herzog Adolf im Mai 1846 belegt, dachte die Regierung, sie habe keine Opposition, da es keine Fabriken mit Arbeitern gab, die für kommunistisches Gedankengut empfänglich sein könnten.

Tanzveranstaltungen boten der Bevölkerung die Möglichkeit des politischen Austausches, sodass im Herzogtum Nassau im Laufe der Zeit verschiedene Verordnungen und Verbote dagegen erlassen wurden. Referent Alexander Schweitzer beleuchtete die Lage zwischen 1807 und 1850. Die Gesetze wurden vom Innenministerium erlassen oder durch herzogliche Dekrete. Die Umsetzung erfolgte durch den Amtmann, den Bürgermeister oder die Polizei. Erste gesetzliche Regelungen gab es 1807 und 1808. Beamte vor Ort erteilten eigenverantwortlich Genehmigungen für Tanzveranstaltungen. Bei Verstößen drohten Geldbußen oder Gefängnisstrafen.

In den 1820er-Jahren kamen Regelungen für Minderjährige hinzu und ein Verbot für Tanzveranstaltungen in der Fastenzeit. Zudem sollte die „Raufsucht“ in den Wirtshäusern bekämpft werden. Im Jahr 1832 berichtete die Regierung über Unruhestifter. Umstürzlern würde erlaubt, unpolitische Versammlungen (Tanzen) für ihre Zwecke nutzen. Es wurden zwar keine weiteren Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geplant, aber es folgte eine stärkere und strengere Überwachung. So waren bei den Tanzveranstaltungen Beamte anwesend, um zu beobachten, dass keine unpolitische Veranstaltung politisch genutzt wurde.

Alle Verstöße waren dem nassauischen Innenministerium in Wiesbaden zu melden. Pfarrer waren in die Gesetzgebung mit eingebunden. Die Umsetzung der Verordnungen war gemeinsame Arbeit von Pfarrern und Staatsbeamten. Das führte in den 1840er-Jahren zunehmend zu Störungen kirchlicher Feste und Vandalismus in Kirchen während der Revolutionszeit.

Bedeutender als das Tanzen waren organisierte Vereine. So entstanden in den 1840er-Jahren Turnvereine als nationalliberale Opposition, was Schweitzer im Folgenden referierte. Die ersten Turnvereine in Hessen-Nassau entstanden zwischen 1844 und 1846. Es gab strenge Auflagen. Alle Vereinsstrukturen, Aktivitäten und Mitgliederlisten mussten den Behörden offengelegt werden. Zudem wurden die Turnvereine überwacht.

Trotz allem politisierten sich die nassauischen Turnvereine weiter und waren überregional vernetzt. 1847 glaubte die Regierung noch, dass die Lage unter Kontrolle sei, wie aus einem Bericht des nassauischen Staatsministers von Dungern hervorgeht.

Die Turner waren von Beginn an Teil der revolutionären Bewegungen. Sie nahmen an Demonstrationen teil und bildeten sich an den Waffen aus. Im März 1848 erreichte die Revolution das Herzogtum Nassau. Ab dem 1. März 1848 fanden spontane Massenkundgebungen statt. Es zogen aus dem ganzen Herzogtum und angrenzenden Regionen 25.000 Demonstranten in die Hauptstadt Wiesbaden, die damals nur 14.000 Einwohner zählte. Aufgrund der akuten Gefahr für die Regierung erfüllte der Herzog Forderungen der Demonstranten: Rücktritt der Regierung, Abschaffung eines Zensuswahlrechts, das nur Adelige und Wohlhabende als Wähler vorsah, und Bildung von Sicherheitskomitees.

Am 16. April trat der liberale nassauische Politiker August Hergenhahn sein Amt im Herzogtum Nassau an. Im Mai fand die Wahl zur Nationalversammlung statt. Die Ziele der Turner waren erreicht.

Die im Herzogtum Nassau zunächst erfolgreiche Revolution hatte aber nicht lange Bestand und wurde – wie auch in anderen deutschen Staaten – niedergeschlagen. Das Kabinett Hergenhahns musste am 7. Juni 1849 zurücktreten, alle Gesetze aus der Revolutionszeit wurden aufgehoben, liberale Lehrer und Beamte wurden entlassen, und neue Überwachungs- und Zensurmaßnahmen begannen. 1850 erfolgte ein erstes Verbot von Turnfesten, 1852 wurden Turnvereine verboten.

Im Jahr 1860 gab es dann eine Welle von Neugründungen. Diese Turnvereine waren politisch zurückhaltender als noch in den 1840er-Jahren. Dennoch erfuhren sie eine starke Gängelung durch die Obrigkeiten. Auch in der Stadt Nassau wurde im Sommer 1860 ein neuer Turnverein gegründet, der Turnfeste und politische Feste wie das Völkerschlachtfest ausrichtete.

Bereits in der Revolutionszeit, wahrscheinlich 1848, war ein erster Turnverein in der Stadt gegründet worden, der nur bis 1852 bestehen konnte. Während zwischen 1863 und 1867 zahlreiche Turnvereine aufgrund von Streitigkeiten, Mitgliederschwund und den Einigungskriegen wieder aufgelöst wurden, gibt es den in der Stadt Nassau 1860 gegründeten Turnverein noch heute. In den 1870er-Jahren erfolgte im neu gegründeten deutschen Kaiserreich eine neue Gründungswelle von Turnvereinen. Die Turnvereine waren nun zunehmend in der Gesellschaft verankert und waren immer weniger politisch aktiv.

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