Aktion „Orange the World“
Aktionstag sensibilisiert gegen Gewalt an Frauen
Mit knallorangen Regenschirmen und einer Flagge machten auch die Teilnehmenden der Veranstaltung im Kreishaus auf die Aktion "Orange the World" aufmerksam.
Marta Fröhlich

Jede dritte Frau macht in ihrem Leben Gewalterfahrungen. Was das im Einzelfall bedeutet, berichteten zwei Frauen mit bewegenden Worten aus eigener Erfahrung bei einer Veranstaltung zur Aktion „Orange the World“ im Bad Emser Kreishaus. 

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Jede dritte Frau ab 16 Jahren hat bereits einmal in ihrem Leben häusliche, sexualisierte oder körperliche Gewalterfahrungen gemacht. Darauf macht alljährlich die UN-Kampagne „Orange the World“ seit 1991 aufmerksam. Am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen, hat auch das Frauennetz gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten des Rhein-Lahn-Kreises zu einem besonderen Aktionstag geladen, der eindrücklich zeigte, dass Gewalt gegen Frauen ein breites, gesellschaftliches Problem ist.

Dem Aktionstag vorangegangen waren zahlreiche weitere Aktionen im gesamten Kreis. Ein starkes Zeichen setzte zum Abschluss die Veranstaltung im Kreishaus. „Frauen leiden in dem Moment, wo es passiert, und sie leiden ihr Leben lang“, betonte Dorothee Milles-Ostermann, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises und Organisatorin der Veranstaltung. „Allein im Rhein-Lahn-Kreis sind für das vergangene Jahr 402 Fälle von Gewalt gegenüber Frauen bekannt. Dahinter stehen Menschen mit Familien, die ebenso betroffen sind“, so Milles-Ostermann bei der Begrüßung der rund 30 Teilnehmenden, darunter viele engagierte Frauen aus dem Kreis und der Lokalpolitik. Auch Landrat Jörg Denninghoff unterstrich in seiner Rede, wie wichtig es sei, bei diesem Thema klar Haltung zu zeigen und nicht wegzusehen: „Diejenigen, die sich für dieses Thema engagieren, verdienen meinen größten Respekt.“

Alice Westphal berichtete eindringlich von ihrer persönlichen Gewaltbeziehung.
Marta Fröhlich

Eine dieser Frauen, die sich unermüdlich für die Sichtbarkeit des Themas einsetzen, ist Alice Westphal aus Berlin. Sie ist Autorin, Coach und als Speakerin bekannt aus Funk und Fernsehen und berichtete im Bad Emser Kreishaus eindringlich aus ihrer eigenen Biografie. „Fünf Jahre steckte ich in einer Gewaltbeziehung, vor sechs Jahren habe ich mein Schweigen gebrochen.“ Der Auslöser war die Geburt ihrer Enkeltochter. „Ich wollte nicht, dass sich mein Trauma vererbt. Ich will sie schützen vor dem, was ich mitgemacht habe.“ Westphal wurde finanziell von ihrem Partner abhängig gemacht, erlebte psychische und physische Gewalt bis zur Vergewaltigung und zeigte deutlich auf, dass Gewalt viele Gesichter haben kann. „Es raubt einem die Würde, auch ein Leben lang. Deshalb ist es wichtig, dass wir unser Schweigen brechen und die Kontrolle wiedererlangen“, appellierte sie an die Zuhörerinnen. Denn auch wenn man nicht selbst betroffen ist, könne man nichts falsch machen, solange man reagiere. „Wenn ich mitbekomme, dass Frauen Gewalt angetan wird, und ich die Haltung habe, dass das nicht richtig ist, dann schaue ich hin, gehe hin, höre zu und biete Hilfe an.“

Am wichtigsten ist dabei, der Betroffenen ihre Würde wiederzugeben und ihr die Wahl zu lassen, wie sie handeln möchte. Das bestätigte auch Regina Bies von der Interventionsstelle Koblenz (IST) gegen Gewalt an Frauen. „Manchmal kommen die Frauen mehrfach zu mir und gehen immer wieder zurück zu ihrem Partner. Die Entscheidung kann und will ich ihnen nicht abnehmen. Sie müssen sich selbst entschließen rauszuwollen“, so Bies, die sich wie Westphal aus einer Gewaltbeziehung erst nach langer Zeit lösen konnte und heute betroffene Frauen berät. Ihre Erfahrung zeigt, dass es nicht DIE eine betroffene Gruppe gibt, „in meine Beratung kommen Frauen aus allen Schichten, mit allen Nationalitäten. Gewalt findet überall statt.“

Eine Ausstellung mit Bildern zum Thema sowie Infomaterial ergänzte die Veranstaltung.
Marta Fröhlich

Die 30-Jährige hat in den sozialen Medien den hashtag #ichbinjededrittefrau geprägt, um auf das wichtige Thema und ihre eigene Betroffenheit aufmerksam zu machen. Dabei beobachtet sie mit Sorge, wie mit Frauen, die den Mut gefasst haben, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, umgegangen wird. Zweifel, Skepsis, Schuldzuweisungen sind nicht nur im Netz an der Tagesordnung. Auch die Justiz mache es den Opfern schwer, Gerechtigkeit zu finden. „Ich berate deshalb bewusst ergebnisoffen und sage, dass die Frauen ihren Täter nicht für eine Verurteilung, sondern für sich anzeigen sollen“, so Bies. Denn leider könne man nicht davon ausgehen, dass es tatsächlich zu einem Urteilsspruch kommt.

Regina Bies von der Interventionsstelle Koblenz berät Frauen mit Gewalterfahrungen.
Marta Fröhlich

Umso wichtiger sei, dass man immer wieder über das Thema redet und den Betroffenen Mut macht: „Wir müssen das Thema so lange ansprechen, bis es so normal ist wie Nutella“, brachte es Westphal auf den Punkt. Ein humoriger Input zu einem schockierend präsenten Thema.

Wer selbst als Frau Gewalt erfährt oder etwas mitbekommt, kann sich an das Hilfetelefon 110016 wenden. Dort findet man kostenfrei und anonym Beratungsangebote in 18 Sprachen.

Die Gleichstellungsstelle des Kreises bietet mit Katja Dasbach von www.katjas-laufzeit.de einen virtuellen Spendenlauf an. Der Erlös unterstützt die Arbeit des Frauenhauses. Schirmherr ist dieses Jahr Landrat Jörg Denninghoff.

Von Büchertisch bis Workshop: Das waren die Aktionen im Kreis

Von September bis November gab es Workshops und Bewegungsangebote in Katzenelnbogen, Diez und Balduinstein, Diskussionen und Vorträge sowie ausgelegte Flyer zu Hilfsangeboten im gesamten Kreis. Ebenso gab es Büchertische unter anderem in Bad Ems, Nassau, Nastätten, Hahnstätten und Oberneisen. Im Kreml Kulturhaus Kino lief ein Film-Spezial zum Thema. Die Flagge „Nein zu Gewalt“ wurde gehisst am Kreishaus in Bad Ems, am Rathaus der Verbandsgemeinde in Bad Ems, am Rathaus der Verbandsgemeinde Diez sowie am Rathaus der Verbandsgemeinde Loreley. Außerdem leuchteten die Loreley-Statue, die Emser Therme, der Hexenturm in Lahnstein, das Kulturhaus Kreml, die Stadtbibliothek Diez orange. Auch in Nochern wurde das Rathaus beleuchtet.

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