„Sind Sie lebensmüde?“, fragte Richter Thomas Becker den Angeklagten im Laufe der Gerichtsverhandlung hörbar fassungslos. Der 21-Jährige aus Dornburg musste sich kürzlich wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung und Unfallflucht vor dem Amtsgericht Limburg verantworten. An einem Aprilabend im vergangenen Jahr hatte der junge Mann mit dem PS-starken Volvo seines Vaters einen schweren Unfall auf der L318 zwischen Schönborn und Birlenbach (Rhein-Lahn-Kreis) verursacht und war anschließend weitergefahren, ohne sich um den angerichteten Schaden zu kümmern.
In einer Kurve, noch vor einer Kuppe, setzte der damals 20-Jährige zum Überholen von zwei vorausfahrenden Autos und einem Linienbus an. Als auf der Kuppe plötzlich ein Fahrzeug vor ihm auftauchte, bremste er den Volvo bis zum Stillstand ab. Auch der Fahrer eines entgegenkommenden VW Touran legte eine abrupte Vollbremsung hin. Die Fahrerin eines hinter ihm fahrenden Autos konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und fuhr mit einem lauten Knall auf den Touran auf. Bei dem Unfall entstand Sachschaden von mehr als 10.000 Euro. Verletzt wurde niemand. Lediglich die Tochter der Autofahrerin erlitt einen leichten Schock.
„Das lernt man in der Fahrschule.“
Richter Thomas Becker zum Angeklagten
Gegen einen Strafbefehl des Amtsgerichts Limburg, der unter anderem ein zehnmonatiges Fahrverbot ausgesprochen hatte, legte der junge Unfallfahrer Einspruch ein, sodass die Sache nun vor Gericht landete. Er habe die Situation offenbar falsch eingeschätzt, erklärte der 21-Jährige dem Richter. Auch sei er das 180 PS starke Auto seines Vaters „nicht gewöhnt“. Er habe die Fahrbahn „von oben“ einsehen können und geglaubt, dass die Gegenfahrbahn frei sei. Als er vor einer Kurve in einer Senke zum Überholen angesetzt habe, sei plötzlich ein Fahrzeug vor ihm aufgetaucht. Dazu erklärte Richter Becker: „Man lernt eigentlich in der Fahrschule, dass man vor einer Kuppe nicht überholt.“
Alkohol oder Drogen waren laut dem Polizeibericht nicht im Spiel. Der Fahrer des VW Touran sagte als Zeuge vor Gericht, dass er völlig überrascht gewesen sei, dass ihm unmittelbar hinter der Kurve ein Auto entgegenkam. Hätte er nicht voll gebremst, wäre es zu einem frontalen Zusammenstoß gekommen. „Der Abstand betrug vielleicht drei Autolängen“, sagte der Zeuge. Die Fahrerin des nachfolgenden Fahrzeugs erklärte, dass sie nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte – obwohl sie vor der als gefährlich bekannten Kurve schon deutlich langsamer gefahren sei. An ihrem Auto entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden.
Führerschein weg und Job gefährdet
Der Fahrer eines Autos, das von dem jungen Mann bereits überholt worden war, berichtete, dass ihm sofort klar gewesen sei: „Das schafft er nicht.“ Deshalb habe er zu dem vorausfahrenden Linienbus eine Lücke zum Einscheren freigehalten – dennoch habe der Volvo-Fahrer versucht, auch noch den Bus zu überholen. „Ich war entsetzt, als ich das gesehen hatte“, so der Zeuge. Nicht nachzuweisen war dem Unfallfahrer, dass er die von ihm verursachte Kollision bewusst wahrgenommen hatte; er erklärte, dass er weder etwas gesehen noch ein Aufprallgeräusch gehört habe.
Den Vorwurf der Unfallflucht ließen Staatsanwaltschaft und Gericht daher fallen. Richter Becker verurteilte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung zu 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit und weiteren sechs Monaten Führerscheinentzug; im Februar musste der 21-Jährige seine Fahrerlaubnis bereits abgeben. Becker folgte damit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft. „Das war kein kleiner Fehler, sondern ein schwerer Verstoß“, sagte der Richter. „Sie haben sechs Menschenleben gefährdet.“
Mit dem Entzug des Führerscheins hat sich der junge Mann möglicherweise einen Job beim Frankfurter Flughafen verbaut, für den er eine Fahrerlaubnis benötigt. Allerdings stellte Richter Becker eine Ausnahmeerlaubnis in Aussicht, sofern der Angeklagte nur auf dem Flughafengelände fährt. „Ich hoffe, dass Sie künftig vernünftiger fahren“, warnte er den Angeklagten. „Wenn Sie wegen so etwas noch einmal vor Gericht kommen, gehen Sie ins Gefängnis.“