Vielen jungen Leuten fehlen die Angebote im Kreis: "Ich war noch in einer Disco"
Zum Durchfeiern keine Chance auf dem Hunsrück: „Ich war noch nie in einer Disco“
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Nature One und andere Events prägen die Sicht Außenstehender auf den Hunsrück. Abseits dieser Großereignisse ist es allerdings ziemlich rar, was die Freizeitangebote für junge Leute angeht. Das ist zumindest die Meinung etlicher Jugendlicher.
Thomas Torkler

Ob Uno, Point oder Flash – der ein oder andere wird hier die Nächte durchgetanzt haben. Doch das ist zum Teil schon mehr als 30 Jahre her. Wenn junge Hunsrücker – Jugendliche und junge Erwachsene – heutzutage abends weggehen und etwas erleben möchten, so müssen sie doch etliche Kilometer weiter in größere Städte fahren.

Lesezeit 7 Minuten

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Nature One und andere Events prägen die Sicht Außenstehender auf den Hunsrück. Abseits dieser Großereignisse ist es allerdings ziemlich rar, was die Freizeitangebote für junge Leute angeht. Das ist zumindest die Meinung etlicher Jugendlicher.
Thomas Torkler

Das war aber nicht immer so: Noch von 2012 bis 2019 gab es in Simmern das N8-Rausch, was damals von Benedikt Schmidt betrieben wurde. Die Diskothek lockte jedes Wochenende viele Besucher aus den unterschiedlichsten Ecken des Landkreises an. Und auch in Kastellaun gab es zeitweise das Lipstick und Exit als Veranstaltungsorte. Doch all diese Locations gibt es nicht mehr, und auch die Dichte der Kneipen, in denen sich die jungen Leute mal treffen könnten, nimmt immer weiter ab – zum Leidwesen aller.

„Früher waren wir von Donnerstag bis Sonntag unterwegs und konnten feiern gehen“, heißt es immer, wenn die Eltern aus ihrer Jugend erzählen. Die heute 16- bis 25-Jährigen kennen solche Erlebnisse gar nicht. Ihnen fehlen die Angebote in der Umgebung, um überhaupt jedes Wochenende in der Region unaufwendig weggehen zu können.

Seit Corona treffen sich Hunsrücker Jugendliche eher zu Hause

So berichten 18-Jährige, dass sie noch nie in einer Disco, geschweige denn richtig aus waren. „Bisher war ich immer nur in Jugendräumen unterwegs. Ansonsten treffen wir uns eigentlich nur bei Freunden zu Hause“, berichtet die 18-jährige Hannah Günster aus Kirchberg. Vor der Corona-Pandemie war sie noch zu jung, um wegzugehen, und als sie hätte ausgehen können, gab es keine Angebote mehr hier in der Umgebung.

Chiara Weckmüller erlebt es ähnlich. Die 19-Jährige aus Belgweiler erklärt, dass es außer auf privaten Geburtstagen oder bei Veranstaltungen kaum Möglichkeiten gebe, sich zu treffen. „Es ist immer die gleiche Gruppe, mit der wir am Wochenende etwas machen, und wenn dann keiner eine Räumlichkeit zur Verfügung stellt, wird es schwierig.“

Beide fänden es schön, wenn es noch einmal ein Konzept einer Disco geben würde. „Dann würden wir auch mal neue Leute kennenlernen, die sonst nicht in unseren Freundeskreisen sind“, sagt Maja Klein, 18 Jahre. „Generell gibt es keinen Ort, wo wir jungen Leute hingehen und feiern können“, sagt die junge Frau aus Dickenschied, auch mit Blick darauf, dass es nur noch temporäre Veranstaltungen gibt, statt eine Disco, die jeden Freitag und Samstag konstant geöffnet hat.

Möglichkeiten sind weggebrochen

Diejenigen, die jetzt Anfang bis Mitte Zwanzig sind, hatten immerhin vor Corona die Gelegenheit, die einzigen Diskotheken in der Umgebung zu besuchen. Doch auch ihnen fehlen jetzt die Möglichkeiten, am Wochenende wegzugehen.

„Seitdem ich 16 war, habe ich das N8-Rausch und auch andere Veranstaltungen zum Beispiel im Tivoli oder der Hunsrückhalle besucht. Als hätte ich gewusst, dass es das nicht mehr geben wird“, sagt Hannah Henrich, 21 Jahre, aus Kirchberg. „Mittlerweile ist man auch alt genug, dass man mal zum Feiern in eine andere Stadt fährt, aber das ist nicht das Gleiche. Auf dem Hunsrück trifft man auch immer Leute, die man sonst nie sieht, und für spontane Abende war es perfekt, wenn man nur bis nach Simmern fahren musste“, erklärt die 22-jährige Anna-Lena Stumm aus Dickenschied: „Ich würde mir einen Ort wünschen, an dem es die Möglichkeit zum Tanzen gibt. Kneipen und Bars sind nicht das Gleiche wie eine Disco mit Tanzfläche“. Und mit diesem Wunsch ist sie wohl nicht allein.

Doch ob es in der Region gar keine Veranstaltungen und Locations wie Bars und Kneipen für junge Leute mehr gibt, darüber gibt es durchaus unterschiedliche Wahrnehmungen. Auch wenn sie definitiv weniger geworden sind, gibt es noch Orte, an denen sich getroffen und auch das ein oder andere Bierchen getrunken werden kann.

Hunsrücker nehmen vorhandene Angebote nicht immer an

So auch bei Marco Hartmann, dem Besitzer von Hafer’s Wunderbar in Simmern und seiner Frau Nadine Wolf, der die Räubar am Schinder-hannesplatz gehört. Beide sind der Meinung: „Als Besitzer von zwei Locations sind wir wohl in einer Ausnahmesituation, und können uns erst mal nicht beschweren.“

Dennoch bemerken sie auch, dass es eine solche Kneipenkultur wie vor 20 Jahren einfach nicht mehr gibt. Das mag zum einen damit zu tun haben, dass das Angebot in Simmern und Umgebung nicht mehr da ist, aber auch, dass die Leute weniger weggehen und viel zu Hause sitzen: Sprich „Die Simmerner nehmen nichts mehr an“, sagt Hartmann und erzählt, dass früher jeden Sonntag beim Frühschoppen die Kneipe rappelvoll war, und heute sitzen quasi immer nur die gleichen fünf Personen da.

Auch Special Events werden nur selten wahrgenommen, dabei würde Wolf auch auf alle möglichen Wünsche ihrer Gäste eingehen, wenn diese dann auch kommen würden. Wer ein besonderes Event oder Konzept im Kopf hat, könne sich jederzeit bei ihr melden. Ihr sei klar, dass Wirte etwas machen müssen, um attraktiv für ihre Gäste zu sein, aber so etwas sei immer mit Kosten verbunden. Wenn es dann nicht angenommen werde, sei das schwierig für die Gastronomen. Generell würden die Gäste immer davon ausgehen, dass der Wirt dafür zuständig sei, dass es ein guter Abend werde.

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Einmal richtig abtanzen und dafür nicht erst Stunden im Auto sitzen, das wünschen sich viele junge Leute.
Thomas Torkler

„Das Erste, was die machen, ist nach dem WLAN-Passwort fragen und dann hängen die den ganzen Abend am Handy. Da kann keine Stimmung aufkommen.“ Doch sobald der Abend nicht den Erwartungen der Gäste entsprochen habe, würden sie sagen: „Dort fand ich es letztes Mal nicht so gut, da gehe ich nicht mehr hin.“

Die Aussagen der von unserer Zeitung befragten jungen Leute können die Gastronomen nicht nachvollziehen. Sie sehen zwar auch, wie um sie herum Lokale zumachten, aber jene, die noch geöffnet sind, könnten ja schließlich besucht werden.

„Natürlich ist es für mich schön zu sehen, dass die Leute zum Teil von Idar-Oberstein, Sohren und Kirchberg kommen. Aber auch erschreckend, dass es auch in diesen Ecken immer weniger gibt“, sagt Nadine Wolf. Auch Hartmann sieht darin ein großes Problem: „Die Leute haben einfach keinen Bock mehr, eine Kneipe zu machen. Wenn nichts mehr angenommen wird, macht das auch keinen Spaß und lohnt sich aus Betreibersicht nicht.“ Die jungen Leute sollten sich nicht nur beschweren, sondern müssten auch etwas dazu beitragen und unterstützen, meint er.

Kosten als Problemfaktor

Was die beiden auch als Veränderung wahrgenommen haben: Heute würden mehr Menschen aus der Region studieren und deswegen entweder wegziehen und auch weniger Geld zur Verfügung haben. „Wer früher nach der Schule eine Ausbildung gemacht hat, hatte auch mehr Geld, was ins Biertrinken investiert wurde“, sagt Hartmann.

Benedikt Schmidt, der ehemalige Betreiber der Diskothek „N8-Rausch“, von Oktober 2012 bis August 2019, sieht auch die Kosten als Problem an: „Nicht nur die Lebensunterhaltungskosten von Privatpersonen sind gestiegen. Auch für die ganze Discobranche sind die Preise steil nach oben gegangen.“ Damit sind Kosten für die GEMA, die Miete, die Nebenkosten und auch Lohnkosten gemeint. Laut Schmidt sind Events für beide Seiten teuer – für Betreiber und Veranstalter.

„Junge Leute haben nicht mehr die finanziellen Mittel und sind zu geizig, ihr Geld dann für einen Abend in der Disco auszugeben, wenn man es auch für größere Events wie Festivals sparen könnte“, sagt Schmidt. Aber für die Betreiber rechne es sich nicht ohne höhere Preise. Er selbst wünscht sich auch, dass es anders wäre, aber bestimmte Grundkosten müssten eben gedeckt werden.

Auch für die Veranstalter sind die Events teurer geworden

Dass Angebote generell nicht mehr angenommen werden, kann der 37-Jährige nicht bestätigen. „Es ist natürlich weniger geworden, aber das liegt nicht am fehlenden Interesse, sondern an den Eintrittspreisen.“ Für die Betreiber sei es zudem schwierig, ausreichend viele Helfer zu bekommen. Wenn Schmidt und seine Kollegen auf den Dörfern etwas organisieren, wie zum Beispiel vor einiger Zeit eine 90er-Party, dann brauchen sie schon beim Aufbau viele helfende Hände, nur so sei ein Abend überhaupt zu stemmen. Wenn es aber keiner freiwillig macht, dann sterben Events auch aus solchen Gründen aus.

„Aber das ist ja überall so“, betont Schmidt mit Blick auf Vereine und sonstige Veranstaltungen, bei denen Helfer gesucht werden. Doch er fände es schade, wenn es in der Zukunft keine Veranstaltungen mehr in diesem Rahmen geben würde, da diese ja immerhin noch ein bisschen Nachtleben in den Hunsrück bringen.

„Allerdings muss man auch betonen, dass es überall für die Veranstalter schwieriger geworden ist“, sagt der 37-Jährige, der als DJ auch viel in anderen Clubs und Events unterwegs ist. Etliche Diskotheken, die dem Mainstream zuzurechnen seien, seien in den vergangenen Jahren geschlossen worden. „Es sind immer mehr Öffnungstage und damit Einnahmen weggebrochen. Früher konnte man von donnerstags bis montags feiern gehen. Das gibt es heute nicht mehr“, erklärt Schmidt. Auch das hänge mit den gestiegenen Betriebskosten zusammen – ein Teufelskreis also.

Eine Menge Herzblut

Mit Blick auf die N8-Rausch-Ära und den Wunsch vieler, dass die Diskothek erneut öffnet, sagt Schmidt: „Jetzt würde ich das nicht mehr machen. Es war damals der richtige Zeitpunkt aufzuhören.“ Er ist der Meinung, dass es zu lange dauern würde, bis man schwarze Zahlen schreibe, erst recht angesichts der derzeit hohen Kosten.

„Ich habe sehr viel Herzblut reingesteckt und natürlich bin ich traurig darüber, wenn ich nach Simmern fahre und weiß, dass dort nichts mehr ist. „Für mich war es das Schönste, wenn ich abends an der Kasse saß und Leute zu mir kamen und meinten: Es war ein Hammer-Abend, danke!“

Doch in einem sind sich wohl alle Betreiber einig: Die Konkurrenz belebt das Geschäft. „Als es früher noch das N8-Rausch gab oder generell mehr Kneipen, hat es auch deutlich mehr Leute in die Wunderbar oder Räubar gezogen.“ Weil es irgendwo zu voll war, man einen Kneipenwechsel wollte oder noch eben einen Absacker.

Als es noch 30 Kneipen in Simmern gab

„Früher hatten wir bis zu 30 Kneipen in Simmern, da konnte man eine richtige Kneipentour machen“, erinnert sich Hartmann. „Umso mehr in der Region veranstaltet wird, umso attraktiver ist sie, und davon profitieren alle“, betont auch Schmidt.

Er ist auch der Meinung, dass sich die Verbandsgemeinden und Städte dabei nicht aus der Verantwortung ziehen dürften. Schließlich sollte es ja auch in deren Interesse sein, dass es Veranstaltungen für die Bewohner gebe und auch gleichzeitig Werbung für die Region gemacht werde. Wenn eine Location für einen günstigeren Preis gestellt werden würde, wäre den Veranstaltern bereits geholfen und sie könnten die Preise für Besucher niedrig halten. Das wäre eine Win-win-Situation für alle.

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