Leicht und bekömmlich war die Kost der Heimat Europa Filmfestspiele am ersten mit Höhepunkten gespickten Wochenende
Wenn Edgar erzählt und die Klöße schmecken – Stelldichein der „Heimat“-Fans in Simmern
Werner Dupuis

Simmern. Ein turbulentes Wochenende erlebte die Kreisstadt. Nach der Premiere der Heimat Europa Filmfestspiele am Freitag ging es Schlag auf Schlag. Dem Eröffnungsfilm „The Lost King“ folgten am Samstag zwei Versionen von „Die fabelhafte Welt der Amélie“, eine im Originalton auf Französisch mit Untertiteln und eine synchronisierte Fassung.

Dem Film „Das Lehrerzimmer“, von Ilker Çatak, dem Preisträger des ersten „Edgar“ bei den Filmfestspielen, ging das musikalische Gastspiel von Wolf and Friends voraus. Der Simmerner Kulturverein Culturissimo hat wieder heimische Bands engagiert, die jeweils auf den Kinoabend einstimmen. Hinter Wolf Dobberthins Freunden verbarg sich die Band Bojangles, die mit einem Querschnitt durch ihr Repertoire die Zuschauer bestens unterhielt und den zweiten Musikbeitrag des Festivals nach dem Premiere-Auftritt von Helmut Zerlett und Band am Freitag bildete. Die Mischung aus Blues, Rock 'n' Roll, Soul und Rock kam bestens bei den Zuhörern an, die bestens gelaunt die Filmvorführung erwarteten, als die Dämmerung eingesetzt hatte.

Die künstlerische Leiterin der Festspiele, Sabine Schultz, bat kurz vor dem Filmstart noch eine ZDF-Redakteurin auf die Bühne, die einige Informationen zum Abendfilm beisteuerte.

Gefüllte Klöße duften in Raum 9

Nach dem Abendfilm folgten am Sonntag zwei kurze Morgenfilme. Nach dem Kurzfilmprogramm von Volker Koepp ging's nach nebenan. In Raum 9 dufteten nämlich schon die gefüllten Klöße. Und die kamen auch noch aus Schabbach. Die Landmetzgerei Wolf aus Woppenroth hatte sie zubereitet, und so konnten die Gäste wohl gesättigt im großen Kinosaal die Heimat Revue passieren lassen. Filmemacher Edgar Reitz hatte im Vorlauf zu „Heimat 1“ zwei Jahre lang nahezu täglich Erkundungstouren unternommen, um Landschaft und Menschen mit der Kamera einzufangen. Diese Ideensammlung mündete schließlich in die Dokumentation „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“.

Und die dort gezeigten Menschen waren einigen Kinobesuchern nicht unbekannt. „Och gugge mo, et Liesel“, lautete eine der Bemerkungen während der Vorführung, die Edgar Reitz im Anschluss im Filmgespräch mit Programmkurator Lukas M. Dominik kommentierte und einordnete. „Mit Peter Steinbach habe ich mich damals bei Familie Weckmüller in Woppenroth in einer Blockhütte im Garten einquartiert. Das wurde zu unserem Denkzentrum“, berichtete Reitz.

Steinbach habe vom Hunsrück nichts gekannt. „Ich hatte also immer jemanden um mich herum, dem ich den Hunsrück erklären musste. Und quasi als Übersetzer habe ich mich ständig an Dinge und Geschehnisse erinnert.“ Dies sei für die Vorbereitung von „Heimat 1“ enorm wertvoll gewesen, berichtete Reitz.

Als weitere wichtige Quelle seiner Inspiration nannte der Filmemacher die Hunsrücker Zeitung, die später in der Rhein-Hunsrück-Zeitung aufgehen sollte. „Für meine Recherchen spielte das Archiv der Hunsrücker Zeitung eine große Rolle“, so Reitz. Und die alten Druckmaschinen bei Böhmer in Simmern, die längst Geschichte sind, kommen in den „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ auch vor.

Beim Studium der alten Zeitungsbände habe er sich stets auf lokale Ereignisse beschränkt, denn: „Die unwichtigen Teile erzählen uns mehr über die Menschen als die großen Schlagzeilen. Diese Zeitung war ein Spiegelbild der Menschen. Als wir die Drehbücher schrieben, haben wir viel die Hunsrücker Zeitung studiert“, erzählte Reitz. Eine große Schlagzeile aus der „Hunsrücker“ schaffte es dennoch in „Heimat!“ Und die lautete damals: „Raubmord in Rhaunen“.

Eine weitere Schlagzeile hatte Reitz damals beim Durchstöbern der Zeitung ebenfalls gefallen: „In Simmern verlief der 1. Mai so gut wie unbemerkt“. Und das in den 1960er-Jahren, als Sozialisten in Deutschland auf die Straße gingen.

Die Zeit verging wie im Flug. Die gut 130 Zuhörer im Kinosaal hörten dem 90-jährigen Filmemacher gebannt zu, der sich im Anschluss noch die neue Ausstellung in dem nach ihm benannten Filmhaus anschaute.

Bilder von Dreharbeiten gemalt

Dazu hatte der Regisseur auch eine Geschichte parat. Während der Dreharbeiten zu „Die zweite Heimat“ in München habe eine Studentin gefragt, ob sie Bilder von den Dreharbeiten malen dürfe. „Das war mir neu“, so Reitz. Solche Anfragen kämen sonst allenfalls von Fotografen. „Aber die junge Frau malte in einer rasenden Geschwindigkeit mit Tusche.“

Und als „Die zweite Heimat“ dann in München in ihrer restaurierten Fassung im September 2022 gezeigt wurde, „da tauchte sie auf einmal auf, die Anja“, so Reitz. Nun sind ihre damals entstandenen Bilder erstmals in einer Ausstellung im Edgar-Reitz-Filmhaus in Simmern zu sehen.

Wer neugierig geworden ist, wie die Künstlerin Anja Verbeek von Loewis zu Werke geht, hat am heutigen Dienstag Gelegenheit dazu. Ab 21 Uhr gibt es „Momentmalerei mit Livemusik“ auf dem Fruchtmarkt. Dabei wird die Künstlerin beim Malen gefilmt, und auf der Leinwand kann man die entstehenden Bilder bewundern. Ein Gespräch mit ihr und ihrem Bruder Jan Verbeek findet zuvor statt. Jan Verbeek hat damals mit seiner Super-8-Kamera während der Dreharbeiten gefilmt. Das Ergebnis wird in einem Kurzfilm gezeigt. Zur Momentmalerei gibt es Livemusik mit Ludger Bartels (Saxofon, Gitarre und Percussion) sowie Frederick Verbeek von Loewis (Klavier).

Neben den Filmattraktionen der Festspiele gibt es also auch immer wieder musikalische Darbietungen. Am Sonntagabend war das Publikum begeistert vom Auftritt von Cello Duo.

Wilde Rock-Cover auf dem Cello

Die beiden Wiesbadener Herzblutmusiker Leo Stoll und Elias Hauth zeigten, dass ihre Streichinstrumente nicht nur für das klassische Konzertformat geeignet sind. Die Musiker bewiesen, dass man auf dem Cello neben Mozart, Bach und Beethoven auch wilde Rock-Cover und sanfte Pop-Balladen spielen kann. Damit wird vielleicht das ein oder andere Ohr für die klassische Musik geöffnet.

Von der „Gute-Laune-Klassik“ der beiden Cellisten höchst angetan waren auch die Gäste der wieder eröffneten Gaststätte Galerie, die vor dem Bistro als Zaungäste das Geschehen verfolgten und ebenfalls reichlich Applaus spendeten. Im Anschluss von Cello Duo flimmerte „Ingeborg Bachmann“ von Margarethe von Trotta über die Leinwand.

Von Thomas Torkler

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