Dafür musste er sich nun vor dem Amtsgericht Simmern verantworten. Der Vorwurf: Zweimal soll der nicht vorbestrafte 61-jährige Paketzusteller dem Hundehalter mit dem Pfefferspray ins Gesicht gesprüht haben. Da es sich laut Anklageschrift dabei um einen Angriff mit einer „Waffe“ handelt, stand gefährliche Körperverletzung im Raum. „Wollen Sie sich zu dem Vorfall äußern?“, will der Vorsitzende Richter Peter Hüttemann von dem Angeklagten wissen, der darauf ein energisches „Ich möchte“ von sich gibt.
Ihm sei in seiner mehr als 21-jährigen Anstellung bei der Deutschen Post AG etwas Derartiges noch nie widerfahren, erzählt er. Am besagten Tag habe er in einem Wohnhaus ein Paket zugestellt und sei im Flur auf den Mann und seinen Hund gestoßen, berichtet der Angeklagte und erklärt, dass das Tier „allergisch“ auf ihn reagiert hätte. Kläffend, knurrend und zähnefletschend sei das Tier, das sich an einer Leine befand, auf ihn los. Daraufhin soll der Hundebesitzer ihn gefragt haben, ob der Zusteller seinem Hund in der Vergangenheit etwas angetan hätte, da er so auf ihn losgehen würde.
Angst, dass Hund zuschnappt
Weil der Paketbote kurze Hosen anhatte, habe er Angst gehabt, dass der Hund nach ihm schnappen könnte, weshalb er sein Pfefferspray zückte und drohte, das Tier damit anzusprühen, wenn es ihn nicht in Ruhe lasse. Da der Hund nicht aufhörte, sonderte er einen Pumpstoß in dessen Richtung ab – allerdings hätte er den Eindruck gehabt, dass das Spray aufgrund seines Alters keine Wirkung zeigte. Das sei bei dem Besitzer seiner Aussage nach gar nicht gut angekommen. „Er rief, dass er mir ja in den Arsch treten könnte.“ Daraufhin hakt Hüttemann nach: „Hat er? Haben Sie das mitbekommen?“ Gesehen hätte er es nicht, aber eine leichte Berührung gemerkt, entgegnet der Angeklagte, der es irgendwie schaffte, an den beiden vorbeizukommen.
„Was ist dann passiert?“, will der Richter wissen. Der Mann sei ihm nach draußen gefolgt, erinnert sich der Paketzusteller und schildert weiter, dass, während der Hund „nichts mehr von mir wissen wollte“, dessen Besitzer ihn verbal angegangen sei. „Dann hat er zum Schlag ausgeholt“, so der 61-Jährige. „Dem bin ich ausgewichen, woraufhin er das Gleichgewicht verlor und auf einen Stein stürzte.“ Damit fand der Streit seinen Ausführungen nach aber noch lange kein Ende. „Als er sich wieder berappelt hatte, stand er auf und bedrohte mich verbal, schrie ,Ich werd dich kriegen', ,Nächstes Mal erlebst du dein blaues Wunder'.“ Aus diesem Grund habe er ihn mit dem Abwehrspray besprüht. „Ich wollte ihn nur noch von mir fernhalten und mich verteidigen, habe gesagt, dass ich keine Angst vor ihm habe.“
Nachdem sein Mandant die letzte Angabe zum Vorfall gemacht hat, fragt der Verteidiger: „Weiß Ihr Arbeitgeber von dem Spray?“ Ja, antwortet der Paketzusteller und gibt an, dass dieser das Spray zusammen mit einer Packung Hundefutter zur Verfügung gestellt hat. „Wurden Sie im Umgang mit dem Spray geschult?“, erkundigt sich der Verteidiger. Der Angeklagte verneint die Frage und entgegnet, dass es eher unüblich sei, dass man angegriffen würde. Das lehre ihn zumindest seine Erfahrung.
Ein Zeuge, der an dem Tag Schreie von der Straße vernahm, bestätigt die Ausführungen des Angeklagten. Allerdings mit einem kleinen Unterschied. Er habe an dem Tag lautes Gezanke vernommen, weshalb er aus dem Fenster schaute. Dort hätte er einen älteren Mann sowie den Paketboten streiten gesehen, den Grund hierfür wüsste er nicht. „Was ist passiert? Hatten Sie freie Sicht?“, erkundigt sich Hüttemann. Er habe alles sehr gut überblicken können, sah, wie der ältere Mann plötzlich zum Schlag gegen den Zusteller ausholte und fiel, so der Zeuge.
Schlag ging ins Leere
„Ist er gestürzt, weil der Schlag ins Leere ging oder weil er geschubst worden ist?“, will der Richter wissen. Der Paketbote hätte den Mann zu keiner Zeit angerührt, der Schlag sei danebengegangen, sagt der Zeuge, der mit seiner Erzählung fortfährt. Als der sich am Boden befindliche Mann nach dem Sturz wieder aufrappelte, sei das Wortgefecht weitergegangen. Da habe der Zeuge vonseiten des Zustellers einen Sprühstrahl wahrgenommen. Den zweiten soll der Angeklagte abgesondert haben, nachdem er sich eigentlich vom Hundehalter abgewandt hatte, jedoch wieder zurückkehrte. „Ich hörte nur ein ,Ich habe keine Angst vor dir'.“
Daraufhin Hüttemann: „Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, haben Sie zweimal gesehen, wie das Spray zum Einsatz kam? Dabei bleiben Sie auch?“ Im Anschluss an die Ausführungen des Zeugen stellt der Richter zur Diskussion, ob man nicht das Verfahren einstellen könne. Er sehe beim ersten Sprühstoß durchaus eine Notwehrlage als gegeben an, wobei der zweite Stoß zwar ein wenig über das Ziel hinausgeschossen gewesen sei, jedoch nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden müsste – zumal sich der Paketzusteller nie etwas zuschulden habe kommen lassen.
Das Vergehen wäre mit einer Geldauflage zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung ausreichend gesühnt, so Hüttemann. Da der Angeklagte die festgelegte Summe von 500 Euro sofort bezahlen kann, stimmen der Vertreter der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidiger einer Einstellung des Verfahrens zu und verzichten auf die Zeugenaussage des Hundebesitzers.