Truppe von Helfern bringt Geflüchtete nach Rheinböllen - Integration soll so schnell wie möglich gelingen
Weiterer Hilfskonvoi aus dem Hunsrück: Neun Ukrainer an der Grenze abgeholt
Am Dienstagnachmittag treffen die Helfer mit zwei Transportern und neun Geflüchteten in Rheinböllen ein. Untergebracht werden die Ukrainer in einem Apartmenthaus des Unternehmens Hahn-Automation. Foto: Werner Dupuis
Werner Dupuis

Dill/Rheinböllen/Rzeszow. Etwas blauäugig und vielleicht auch ein wenig planlos seien sie von Dill aus aufgebrochen, erzählt einer der Männer, der sich spontan dazu entschlossen hatte, zur polnisch-ukrainischen Grenze aufzubrechen (wir berichteten). Am Ende aber hat sich die Reise gelohnt: Die Hilfsgüter, die sie in den beiden vollgepackten Kleintransportern zur Grenze schafften, kamen genau dort an, wo sie hinsollten: in ein ukrainisches Krankenhaus und eine Kinderklinik.

Am Dienstagnachmittag treffen die Helfer mit zwei Transportern und neun Geflüchteten in Rheinböllen ein. Untergebracht werden die Ukrainer in einem Apartmenthaus des Unternehmens Hahn-Automation. Foto: Werner Dupuis
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Zudem konnten sie neun Ukrainer mit in den Hunsrück bringen. Am Dienstagnachmittag erreichte die Gruppe glücklich, aber erschöpft das Apartmenthaus der Firma Hahn-Automation in Rheinböllen, wo die Flüchtlinge von nun an erst einmal leben werden.

Was sie in der Unterkunft vorfinden, überrascht selbst den Fahrertrupp. „Ja, ist denn hier schon Weihnachten?“, fragt einer der Fahrer verdutzt, als ihm kurz nach der Ankunft bereits zwei 16-jährige Geflüchtete freudestrahlend mit neuen Turnschuhen, einer Spielkonsole und neuen Klamotten entgegenkommen. Mitarbeiterinnen des Rheinböller Unternehmens hatten offenbar mehr als nur tolle Vorarbeit geleistet. „Sie haben eine regelrechte Kleiderkammer eingerichtet, haben Spielsachen organisiert, bereits erste Gespräche mit der Kreisverwaltung geführt und eine Dolmetscherin organisiert“, berichtet einer der Helfer baff ob der guten Organisation.

Denn damit hatte auch er nicht gerechnet, gibt er zu. Doch das mache deutlich: „Es ist nicht nur damit getan, die Menschen herzuholen und ihnen eine Unterkunft zu geben. Es gibt jede Menge zu organisieren, vor allem dann, wenn man die Geflüchteten so schnell wie möglich integrieren will“, macht der Fahrer deutlich.

Nächste Woche geht’s zum Training

Die beiden 16-Jährigen sind regelrecht verrückt auf Fußball, erzählt der Mann aus Dill weiter. Als er das erfährt, wird nicht lang gefackelt: „Ab nächster Woche dürfen sie im Rheinböllener Verein mittrainieren“, berichtet er. Und am Samstag wird er sie einpacken, und mit ihnen eine Fahrt nach Kaiserslautern machen – ins Stadion, versteht sich. „Wir wollen, dass sie sich möglichst schnell hier einleben und sich wohlfühlen“, sagt der Diller.

Mit Rucksäcken, Plastiktüten oder Rollkoffern bepackt haben sich die Menschen aufgemacht in Richtung Westen.
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An der polnisch-ukrainischen Grenzen stapeln sich teilweise die Hilfsgüter. Einiges davon wird dort einfach nicht gebraucht – Kleidung etwa. Die wird erst nötig, wenn die Geflüchteten eine Unterkunft haben.
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Zahlreiche Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, halten sich an der polnisch-ukrainischen Grenze auf. Dort werden sie mit dem Nötigsten versorgt. Sie leiden besonders unter der Kälte, die nach wie vor herrscht. Da helfen neben Feuern in Ölfässern auch Rettungsdecken, wie es sie etwa in Erste-Hilfe-Kästen gibt.
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Per Handy halten sich die Menschen auf dem Laufenden.
Am Dienstagnachmittag trifft der kleine Konvoi vor dem Apartmenthaus des Unternehmens Hahn-Automation ein, das die Rheinböller Firma den Geflüchteten zur Verfügung stellt.
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Rechts und links des Weges wird den Geflüchteten mal eine kleine Mahlzeit, mal etwas zu trinken, ein Zeltdach oder Hilfsgüter angeboten. Sie alle haben sich gen Westen auf den Weg gemacht, um dem Krieg in ihrer Heimat zu entkommen.
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Es sind Frauen und Kinder, die sich derzeit auf der Flucht befinden. Ihre Männer mussten sie in der Ukraine zurücklassen.
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Die Mutter dieses 14-Jährigen lebt bereits im Hunsrück.
An der Grenze angekommen, ging es für den Konvoi zunächst durch die Schranken auf polnischer Seite.
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Einer der 16-Jährigen ist mit Mutter und Schwester aus Saporischschja geflohen. Dem Ort, in dem russische Truppen ein Atomkraftwerk beschossen und unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Familie packt ein paar Sachen und nimmt noch seinen gleichaltrigen Freund mit, um sich in Sicherheit zu bringen. An der polnisch-ukrainischen Grenze angekommen, stürzt die Mutter und zieht sich einen schweren Beinbruch zu. Die Hunsrücker tragen sie die letzten Meter bis zum Fahrzeug, ihre Schmerzen müssen unerträglich sein. Als sie davon erfahren, organisieren die Hahn-Mitarbeiterinnen sofort einen Termin im Krankenhaus und klären die Kostenübernahme. „Am Dienstag wird sie operiert“, erzählt der Fahrer.

Bei all den positiven Wendungen für diese Familie und die anderen Geflüchteten – was der Diller und seine Mitstreiter auf ihrer Tour erlebt haben, hat sich in ihr Gedächtnis gebrannt. „Das war schon heftig“, sagt er. Unzählige Menschen harren in der Eiseskälte an der Grenze aus, berichtet er. Feuer in Ölfässern soll sie ein wenig wärmen. Reisebusse rollen im Stundentakt an die Grenze, um Tausende Menschen insbesondere in polnische Auffanglager zu bringen.

Hilfsgüter türmen sich

Zudem türmen sich die Hilfsgüter. Was gebraucht wird, wird gern genommen und schnell verteilt. Andere Dinge hingegen stapeln sich, erste Lastwagen räumen die Berge an Kleidung weg, die dort aktuell überhaupt niemand haben will. Mütter suchten höchstens nach ein paar Kuscheltieren zwischen den Wäschebergen. Für den Diller steht daher fest: „Willkürlich irgendwelche Hilfsgüter zu sammeln und dort hinzubringen, ist doch kontraproduktiv.“

Der Diller und seine Mitstreiter haben Glück, können sie doch über eine Nachbarin Kontakt zu einem ukrainischen Krankenhaus aufnehmen, für das sie gezielt sammeln. Zudem haben sie Igor, einen Ukrainer, der vergangene Woche in Dill strandete, als Fahrer mit dabei. „Aus Angst, er könnte eingezogen werden oder dürfte das Land nicht wieder verlassen, haben wir ihn fünf Kilometer vor der Grenze abgesetzt“, berichtet einer der Fahrer. Das allerdings wird ihnen zunächst zum Verhängnis. Denn der kleine Konvoi darf zwar die polnische Seite der Grenze passieren, nicht aber den ukrainischen Zoll – trotz Hilfsgüterlieferung. „Igor war also der einzige, der die Transporter über die Grenze bringen und die Güter dort an die Empfänger, mit denen wir uns über die Nachbarin verabredet hatten, übergeben konnte“, erzählt der Diller. Eineinhalb Stunden banges Warten liegt damit vor den Helfern. Doch Igor kehrt gesund wieder zurück und kann die Heimreise in den Hunsrück mit antreten.

Glücksfall für 14-Jährigen

Und von noch einem weiteren Glücksfall können die Hunsrücker berichten: Über unseren Zeitungsartikel von Montag wird eine Frau auf die Tour aufmerksam und nimmt über eine Bekannte Kontakt zu den Fahrern auf. Ihr 14-jähriger Sohn, der noch in der Ukraine lebt, soll irgendwie zu ihr in den Hunsrück kommen. Und auch das glückt: Der 14-Jährige findet die Hunsrücker an der Grenze und steigt zu ihnen in den Transporter.

Eine weitere Tour planen die Männer dennoch nicht in absehbarer Zeit. Es sei denn, dem Ukrainer Igor ist das Glück hold, und er kann seine Familie noch aus dem Kriegsgebiet holen. Für den Diller Fahrer steht fest: „Wenn das funktioniert, fahren wir auf jeden Fall noch einmal zur Grenze.“ Immerhin habe Igor für den Hilfstransport sein Leben riskiert.

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