26. Simmerner Stadtgespräch
„Was bedeutet ’Nie wieder’ für Sie, Herr Hering?“
Steve Gilbert übersetzt den Nachfahren Hunsrücker Juden, die aktuell in der Region zu Gast sind, beim 26. Simmerner Stadtgespräch zum Thema Erinnerungskultur im Pro-Winzkino Simmern.
Werner Dupuis

Beim 26. Simmerner Stadtgespräch diskutierten Landtagspräsident Hendrik Hering, der Förderkreis Synagoge Laufersweiler und einige Gäste über die Bedeutung der Erinnerungskultur für unsere Demokratie. Dabei entstanden einige interessante Gespräche.

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Zum 26. Simmerner Stadtgespräch hatten die Stadt Simmern, das Pro-Winzkino und die Buchhandlung Schatzinsel den Landtagspräsidenten Hendrik Hering zu Gast im Pro-Winzkino. Christof Pies, Carolin Manns und Daria Dinges vom Förderkreis Synagoge Laufersweiler sprachen mit ihm über die Bedeutung der Erinnerungskultur. Unter den Gästen war auch eine Gruppe Nachfahren Hunsrücker Juden, die in dieser Woche die Herkunftsregion ihrer Vorfahren kennenlernen.

Hering hatte in einem Gastbeitrag in unserer Zeitung anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsendes aufgerufen, sich für eine „lebendige, regional bezogene und emotional erfahrbare Erinnerungs- und Gedenkkultur“ einzusetzen. Ganz in diesem Sinne leisten die ehrenamtlich in der Synagoge Laufersweiler Engagierten seit Jahren „hervorragende Arbeit“, und sind ein „Vorbild“ an Erinnerungskultur und Demokratiebildung, drückte der Landtagspräsident es aus. Die Gäste aus dem Ausland begrüßte er besonders. „Es ist wichtig, in der schwierigen Zeit miteinander sprechen zu können. Das zeigt, Versöhnung ist möglich.“ Das Geschehen in Israel werfe weite Schatten bis auf diese Veranstaltung. „20 Gäste können heute nicht hier sein, weil sie vielleicht gerade jetzt in Schutzbunkern sitzen oder zum Militärdienst eingezogen wurden“, sagte Hering.

Landtagspräsident Hendrik Hering beim 26. Simmerner Stadtgespräch im Pro-Winzkino Simmern zum Thema Erinnerungskultur.
Werner Dupuis

Dass die Sicherheit Israels Staatsräson ist, bedeute für ihn die Verpflichtung an der Seite Israels zu stehen. Man könne legitim Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen üben und darüber streiten, ob der Angriff auf den Iran in Einklang mit dem Völkerrecht steht. „Aber Kritik an der jetzigen Regierung Israels zu nutzen, um Antisemitismus zu schüren, ist nicht vertretbar“, sagte Hering. „Dass jüdische Mitbürger Angst haben, hier zu leben, mit Kippa auf die Straße zu gehen und überlegen, das Land zu verlassen, ist eine Schande für unser Land.“ Haltung zu zeigen und gegen Antisemitismus vorzugehen, dazu sei jeder verpflichtet. „Deshalb ist Erinnerungskultur wichtig“, ganz besonders angesichts des Erstarkens der AfD, die das ausdrücklich ganz anders sieht.

Christof Pies berichtete aus der Arbeit in der Synagoge Laufersweiler von starken Gegensätzen: von Begegnungen mit enorm interessierten und für das Angebot dankbaren Jugendlichen bis hin zu Erwachsenen mit höchsten akademischen Graden, die kaum etwas über das jüdische Leben und den Holocaust wissen – oder sogar falsch informiert sind.

Christof Pies vom Förderkreis Synagoge Laufersweiler beim 26. Simmerner Stadtgespräch.
Werner Dupuis

„Was bedeutet ’Nie wieder’ für Sie?“, wollte Christof Pies vom Landtagspräsidenten wissen. „Nie wieder bedeutet heute aktiv zu werden“, sagte Hering. „Den Mut zu haben, einzuschreiten“, wenn Diskriminierung stattfindet. „Es bedeutet, die Verpflichtung, für diese Demokratie einzustehen.“ Dazu zähle auch, sich bewusst zu machen, was einmal geschehen ist, kann wieder geschehen und zu verdeutlichen: „Es hat in jedem Ort stattgefunden, in jedem Dorf gab es Opfer“, sagte Hering.

„Wenn die AfD dann eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad fordert – was setzen Sie diesem Unsinn entgegen?“, fragte Pies. Das sei eindeutig eine rechtsextreme und verfassungsfeindliche Äußerung. Man müsse ganz im Gegenteil deutlich mehr tun. „Insbesondere in dem wir vor Ort deutlich machen, dass diese furchtbaren Verbrechen nur möglich waren, weil die Mehrheit als Täter oder Mitläufer mitgemacht hat“, sagte der Landtagspräsident. Dazu dürften auch die Narrative in den Familien nicht verrutschen. Wenn dort gesagt werde, es habe in der Familie keine Täter gegeben, sei das häufig historisch falsch. In Demokratiebildung werde zu oft nur kurzfristig investiert und als Erstes wieder gekürzt. „Unsere liberale Demokratie muss uns etwas wert sein.“

„Es gibt in Rheinland-Pfalz nur drei offizielle Erinnerungsstätten, das ist viel zu wenig“, sagte Pies und erkundigte sich nach Herings Meinung zu dem Ansatz, einen Besuch in einer Gedenkstätte verpflichtend zu machen. Der verwies darauf, dass diesen Vorschlag viele Leiter der Gedenkstätten selbst für kritisch halten, weil eine solche Verpflichtung ohne eigenes Interesse der Schüler nicht den gewünschten Effekt erziele. „Es muss aber verpflichtend Projekttage geben, die außerhalb der Schule stattfinden sollten.“ Es gebe noch einige Orte im Land, die man auch gemeinsam mit Schülern als Gedenkstätte erschließen könne. Das könne eine wertvolle Erfahrung sein.

Carolin Manns beim 26. Simmerner Stadtgespräch zur Bedeutung der Erinnerungskultur: "Kann Erinnerungskultur den Anspruch an sie zum Erhalt der Demokratie gerecht werden? Welche anderen Aspekte gehören dazu?"
Werner Dupuis

Als Kind der 1990er-Jahre sei sie in einer gewissen Sorglosigkeit und gesellschaftlicher Stabilität aufgewachsen, berichtet Carolin Manns. „Jetzt habe ich aber den Eindruck, die Demokratie bröckelt. Wie kann man ein Bewusstsein für ihren Wert schaffen?“ Hier erinnerte Hering daran, dass Menschen über Jahrhunderte einen hohen Preis für ihren Einsatz für Demokratie zahlten und das trotz der Ungewissheit, sie selbst einmal zu erleben. „Heute leben lediglich 28 Prozent der Weltbevölkerung in einer funktionierenden Demokratie“, sagte Hering. Auch die Orte der Demokratiegeschichte gelte es deshalb als Erinnerungsorte zu erhalten.

„Kann Erinnerungskultur den Anspruch an sie zum Erhalt der Demokratie gerecht werden? Welche anderen Aspekte gehören dazu?“, fragte Manns. Ohne das Wissen über die Geschichte könne man die Radikalität und Brutalität mancher Aussagen rechtsextremer Vordenker nicht richtig einordnen und auch nicht die zeitgemäßen Antworten darauf finden, befand Hering. Von den Unternehmen bis hin zu Kirchen seien die gesellschaftlichen Akteure gefordert, ihren Beitrag zu leisten.

Bei der Arbeit mit Schulklassen mit hohem Anteil von Schülern mit Migrationsgeschichte stelle sich die Frage, wie eine integrierende Erinnerungskultur zu entwickeln sei. Dabei halte er für entscheidend, den Menschen mit Respekt vor ihrer Biografie mit Fluchtgeschichte zu begegnen und dem Wunsch, sie kennenzulernen. „Um die Menschen ankommen zu lassen, gehört dazu, sie auch ihre Geschichte erzählen zu lassen.“

Wie kann man der jungen Generation den Wert der Erinnerungskultur vermitteln, fragt Daria Dinges beim 26. Simmerner Stadtgespräch zur Bedeutung der Erinnerungskultur.
Werner Dupuis

Daria Dinges, 16 Jahre alt, arbeitet neben der Schule in der Synagoge Laufersweiler mit. Ihrer Meinung nach nutzen viele Schulen die Möglichkeiten zur Vermittlung des Gedenkens nicht ausreichend. „Viele tun es, einige leider nicht“, räumte auch Hering ein. Das Land biete Lehrern entsprechende Fortbildungen und Veranstaltungen an und verpflichte Referendare zum Besuch eines Erinnerungsortes. Ein Ansatz sei es zudem, Plattformen zu bieten, um vorbildliche Angebote vorzustellen. „Wir sollten auch die Schüler stark machen, die Auseinandersetzung einzufordern.“ Dabei könnten Eltern und Großeltern der Schule auch ihre Unterstützung anbieten und sich einbringen.

„Viele in meiner Generation interessiert die Geschichte aber gar nicht. Manche empfinden es als lästig und unangenehm sich damit auseinanderzusetzen. Welche Ansätze gibt es dagegen? Vielleicht auch für Begegnungen außerhalb der Schule in Social Media?“, fragte Dinges. Viele Initiativen für Erinnerungskultur entstünden aus der Zivilgesellschaft heraus, sagte Hering. Man müsse Jugendliche heranführen, dann blieben sie auch oft dabei, so seine Erfahrung. Bei aller guten Arbeit in den sozialen Medien sei es erschreckend, wie vielfach höher die Reichweite für „Menschen mit furchtbaren Botschaften“ dort sei. Man dürfe dabei erstens nicht resignieren und zweitens nicht akzeptieren, dass Multimediakonzerne in Europa entscheiden, wie kommuniziert wird. „Es ist eine große Baustelle für die Politik, diese Quelle des Hasses und der Demokratiefeindlichkeit einzudämmen“, sagte der Landtagspräsident.

„Wir lassen uns auch von Wahlergebnissen nicht entmutigen in dieser schweren Zeit.“
Christof Pies

Im anschließenden Austausch mit den Zuhörern kam Hering auf eine erschreckende Begegnung mit einem Bekannten zu sprechen, der zuvor nie mit seiner Haltung gegen rechts hinter dem Berg gehalten hatte. „Man darf ja nicht mehr so laut sprechen“, habe er gesagt, aus Angst vor möglichen Repressalien in der Zukunft. Diese Furcht dürfe nicht um sich greifen. Was es dagegen brauche, sei Aufrichtigkeit und Haltung, sagte Hering. „Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben und lassen uns auch von Wahlergebnissen nicht entmutigen in dieser schweren Zeit“, schloss Christof Pies das 26. Simmerner Stadtgespräch.

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