25 Jahre Waldkindergarten
Von früh bis spät an der frischen Luft in Emmelshausen
Das gemeinsame Frühstück wird an Holztischen eingenommen, das Essen bringen die Kinder selbst mit. Dabei gilt: Süßes ist nicht erlaubt. Vor Wind und Wetter schützt eine gespannte Plane.
Charlotte Krämer-Schick

Kinder lösen Konflikte selbst, setzen Projekte um, und die Eltern packen mit an: Der Waldkindergarten in Emmelshausen setzt auf Selbstwirksamkeit und Selbstständigkeit – und das bereits seit 25 Jahren. Die Idee dazu hatte damals eine Gruppe Eltern.

Mütze, Handschuhe, Gummistiefel oder Outdoorschuhe, Matschhose, Regenjacke – die Liste der Klamotten, die die 20 Kinder im Waldkindergarten Emmelshausen dabei oder gleich anhaben, ist nicht zu verachten. Schließlich sollen die Kleinen weder frieren noch zu nass werden, wenn sie zwischen Morgenkreis, Matschküche oder Malwagen hin- und hersausen. Ab morgens um 8 und bis nachmittags um 14 Uhr sind die „Wurzelzwerge“, darunter auch einige „Wurzelriesen“ – das sind die Kinder, die bald in die Schule gehen – an der frischen Luft. Und das bereits seit 25 Jahren.

Von Beginn an dabei im Waldkindergarten Emmelshausen sind Erzieherin und Heilpädagogin Melanie Vogel (links) und Einrichtungsleiterin Ulrike Nickau.
Charlotte Krämer-Schick

Als Ulrike Nickau vor einem Vierteljahrhundert angerufen wurde, sei sie erst skeptisch gewesen. „Wir brauchen eine Erzieherin für den Wald“, hatten Eltern damals gesagt und sie gefragt, ob sie darauf nicht Lust hätte. Schnell fand Nickau Spaß an der Idee und sagte zu, absolvierte eine naturpädagogische Zusatzausbildung und erstellte gemeinsam mit den Eltern ein Konzept für die Einrichtung. Von Beginn an steht ihr Erzieherin und Heilpädagogin Melanie Vogel zur Seite. Erzieherin Ilse Hellbach und Linda Morina, Auszubildende zur Erzieherin, sowie Yvonne Schäfer komplettieren heute das Team.

Bereits im Oktober 1999 hatte die Elterngruppe den Verein „Die Wurzelzwerge e.V.“ gegründet und setzte sich fortan für die Anerkennung des Waldkindergartens als Bedarfskindergarten ein. Mit Erfolg: 2003 übernahm die Stadt Emmelshausen die Trägerschaft, der Waldkindergarten wurde zur fünften Gruppe des kommunalen Kindergartens „Holzwurm“. Die Betriebsführung aber wurde dem Verein übertragen. Seit 2016 sind die Wurzelzwerge eigenständig als eingruppiger Waldkindergarten in kommunaler Trägerschaft, Stadt und Verein arbeiten organisatorisch eng zusammen. Der Verein trägt mittlerweile den Namen „Verein zur Förderung der Waldkindergartenpädagogik Emmelshausen“.

Frei malen ohne Bewertung

„Angefangen haben wir damals ohne alles“, sagt Nickau. Ohne Bauwagen, Hütte, oder Klettereinrichtung, meint die Leiterin damit, selbst gebaute Waldhütten und ein paar gespannte Planen mussten ausreichen. „Irgendwann kam dann der erste Bauwagen als Schutzraum dazu“, sagt sie. Auch in Sachen Ausrichtung entwickelte sich der Kindergarten immer weiter – etwa mit der Einrichtung eines Malorts nach Arno Stern. Das Besondere: Das Papier hängt an der Wand, die Kinder malen also im Stehen. Zudem gibt es eine wichtige Regel: Es darf nicht über das Gemalte gesprochen werden. „Es geht darum, den Kindern einen Raum zu geben, in dem sie frei malen können ganz ohne Bewertung“, erklärt Nickau. Oftmals malten sie Bilder so 45 Minuten am Stück. „Und es ist faszinierend, wie konzentriert sie dabei sind“, sagt die Leiterin.

Der Lehmberg ist ein beliebter Platz zum Spielen und Buddeln im Waldkindergarten Emmelshausen. Auch ihn gibt es bereits seit 25 Jahren, allerdings muss er immer wieder aufgefüllt werden.
Charlotte Krämer-Schick

Ein anderes wichtiges Thema bei den Wurzelzwergen ist der Umgang mit Streit. „Wir haben gemerkt, dass wir anders damit umgehen wollen“, sagt Nickau, die auch eine Ausbildung zur Mediatorin gemacht hat. Ihre Abschlussarbeit hatte die Pädagogin damals über das Bensberger Mediationsmodell geschrieben, das auf einer „konstruktiven Konfliktkultur“ basiert und soziales und werteorientiertes Handeln fördern will. Wichtig dabei ist, dass die Kinder selbst die Konfliktbearbeitung übernehmen – mit Unterstützung der Erwachsenen.

„Wir sind dabei unparteiisch und für beide Seiten da, die Kinder selbst aber finden die Lösung“, sagt Nickau. Ist die Wut einmal besonders groß, kann die am Boxsack oder in der Wutbude herausgelassen werden. „Da ist alles erlaubt, von Brüllen über Treten bis Boxen. Danach muss es aber auch gut sein damit“, sagt die Pädagogin. Es sei wichtig, dass die Wut nicht allzu lange unterm Deckel gehalten werde. Doch das sind nur einige Puzzleteile von vielen, mit denen die Kinder im Waldkindergarten zur Selbstwirksamkeit und zur Selbstständigkeit erzogen werden.

Karolina klettert am liebsten in den Baum neben dem Lehmberg. Eine Markierung im Baum zeigt an, wie hoch es hinausgehen darf. Auch beim Klettern helfen sich die Kinder gegenseitig: Die Großen zeigen den Kleinen, wie es geht.
Charlotte Krämer-Schick

Dabei unterstützen sich die Kinder auch gegenseitig, weiß die Leiterin zu berichten. Die Rutsche etwa sei entstanden, weil eines der kleineren Kinder gern eine bauen wollte im Wald. Ein größeres Kind sei zur Hilfe gekommen, und gemeinsam hatten die beiden überlegt, wie sie das Projekt umsetzen könnten. Werkzeug fand sich schnell im Fundus des Kindergartens und schon war die Rutsche gebaut – und gehört heute zur festen Einrichtung.

Die Wurzelriesen bekommen hin und wieder schon Aufgaben, die durchaus anspruchsvoller sind. „Sie lernen etwa Formen und müssen schauen, wo sie die in der Natur finden“, sagt Nickau. Oder aber sie gucken auf Brennnesseln nach Raupen und lernen, welche Schmetterlinge aus ihnen entstehen. Das Zählen lernen alle Kinder etwa im Morgenkreis, wenn durchgezählt wird, wie viele Kinder da sind.

Die Rucksäcke mit Essen, Trinken und Ersatzklamotten hängen in Reih und Glied unter dem Vordach des Bauwagens.
Charlotte Krämer-Schick

Doch nicht nur dafür ist der Morgenkreis wichtig. Jeden Tag hat er einen bestimmten Schwerpunkt. Montags erzählen die Kinder vom Wochenende, am Dienstag geht es musikalisch zu. Der Mittwoch gehört der sogenannten Herzensrunde. „Dabei lernen die Kinder, über ihre Gefühle zu sprechen und viele verschiedene Gefühle zu benennen“, sagt Nickau. Am Donnerstag geht es um Konfliktlösung, der Freitag gehört den Wünschen der Kinder. „Da dürfen sie sagen, was sie sich generell oder auch für oder im Kindergarten wünschen“, erklärt die Leiterin. Auch gibt es täglich einen Abschlusskreis, bevor alle nach Hause gehen. „Der fällt unter das Thema Beschwerdemanagement“, kommentiert Nickau schmunzelnd. Denn dann können die Kinder sagen, was an diesem Tag schön war, was sie bewegt hat, und was doof war, sagt sie.

Schnell ist aus ein paar Zweigen eine kleine Hütte geworden.
Charlotte Krämer-Schick

Projekte, die sich die Kinder wünschen oder die Eltern oder Großeltern vorschlagen, werden meist in Zusammenarbeit mit den Eltern realisiert. So ist etwa auch der schöne Lehmbackofen entstanden, in dem ab und an Pizza gebacken wird. „Bei uns ist seitens der Eltern etwas mehr Einsatz nötig als in anderen Einrichtungen“, ist Nickau sicher. Durch das gemeinsame Arbeiten – in der vergangenen Woche etwa wurden weitere Bäume gepflanzt – sei der Austausch unter Eltern, Erzieherinnen und Kindern groß. Und dann ist da auch noch der „Waldmeister“, wie ihn die Kinder liebevoll nennen, der kräftig anpackt – ein Herr, der etwas früher in Rente gehen konnte, dafür aber 1000 Sozialstunden ableistet und dies im Waldkindergarten mit Freude tut. So wie dort alle mit Freude bei der Sache sind – und das seit 25 Jahren.

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