In Simmern haben die örtlichen Kirchen mit 65 Menschen am Samstagabend anlässlich des 9. November der während der Novemberpogrome und der Reichspogromnacht 1938 ermordeten Mitmenschen gedacht. Die Gedenkveranstaltung ist jedoch von einem Vorfall im Voraus überschattet worden. Unbekannte Männer hatten die Veranstalter am Mahnmal für die im Holocaust ermordeten jüdischen Bürger der Stadt erwartet und sie mit geschichtsrevisionistischen und islamkritischen Aussagen bedrängt. Pfarrer Bernd Bazin vom evangelischen Kirchenkreis Simmern-Trarbach und Birgit Bai, aktiv in der katholischen Kirche, berichten im Gespräch mit unserer Zeitung davon.
Pfarrer war gut 25 Minuten früher am Schloßplatz
Das Pogromgedenken organisieren in Simmern traditionell gemeinsam die christlichen Kirchen in der Kreisstadt, die evangelische und die katholische Kirche, die evangelisch-methodistische Kirche und die Freie evangelische Gemeinde (FEG). Bernd Bazin von der evangelischen Kirche berichtet, er sei gut 25 Minuten früher am Ort gewesen – für Absprachen und Organisatorisches. Birgit Bai sei schon fünf Minuten früher am Mahnmal auf dem Schloßplatz gewesen. Dort hätte sie eine Gruppe von drei Männern schon erwartet, berichten die beiden. Ihren schwarzen VW-Bus mit Kennzeichen aus einem Ort in der Nähe von Zwickau, Sachsen, hätten sie direkt neben dem Mahnmal geparkt gehabt. Sie kämen von der AfD in Zwickau und seien gekommen, um zu sehen, ob man bei der Gedenkveranstaltung „alles richtig mache“, hätten sie sich vorgestellt. „Sie haben sich sehr provozierend und despektierlich geäußert“, berichtet Bazin. 1938 sei schon so lange her, man solle doch aufhören, darüber zu reden, hätten sie unter anderem gesagt und sich erkundigt, ob denn auch auf das aktuelle Geschehen in Israel und dem Gazastreifen Bezug genommen werde.
„Nur wer aus der Geschichte lernt, kann für die Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen.“
Pfarrer Bernd Bazin
Man sei doch „auf einer Seite“, nämlich gegen den Islam, hätten die Männer versucht sie zu vereinnahmen, berichtet Bazin. „Das bin ich erklärtermaßen nicht, ich stehe für einen konstruktiven Dialog der Religionen ein“, habe er dem entgegnet. „Ich habe versucht, sie deeskalierend anzusprechen und ihnen deutlich zu machen, dass wir diese Pogromgedenkfeier begehen werden und uns von ihnen nicht die Agenda diktieren lassen. Nur wer aus der Geschichte lernt, kann für die Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen.“ Man habe ihnen ein Gespräch nach dem Gedenken angeboten, aber auch sofort die Polizei hinzugerufen.
Mit mehreren Streifenwagen rückte die Polizei an, wie ein Beamter der Polizeiinspektion (PI) Simmern auf unsere Anfrage bestätigte. Unter dem Schutz von acht Polizisten habe man das Pogromgedenken dann in einem würdigen Rahmen begehen können. „Ich bin sicher, wenn die Polizei nicht gekommen wäre, hätten wir den Versuch erlebt, die Veranstaltung zu stören oder unmöglich zu machen“, sagt Bazin. Schon beim Eintreffen der Beamten hätten die Männer sich im Ton gemäßigt, später haben sie den Schloßplatz wohl freiwillig verlassen. „Angenehm war das jedoch zu keinem Zeitpunkt. Aber es ist ihnen nicht gelungen, die Feier zu behindern, wir konnten pünktlich anfangen.“
Mitarbeiter der Stadt stehen Birgit Bai zur Seite
Wie Birgit Bai berichtet, sei einer der Männer, der wohl in erster Linie das Wort führte, sehr groß gewesen und zumindest einer wohl auch angetrunken. Mitarbeiter der Stadt, die die Technik für die Veranstaltung aufbauten, hätten ihr zur Seite gestanden. „Ich kann nicht sagen, wie das ohne die Polizei abgelaufen wäre“, sagt Bai. Die Auseinandersetzung sei verbal abgelaufen, nicht körperlich geworden. Dennoch sorge sie sich in solchen Situationen um die Sicherheit der Teilnehmer. „Es ist erschreckend, dass solche Veranstaltungen nur noch mit Polizeipräsenz möglich sind.“

Wo einst Synagogen brannten
Bazin berichtet, er sei darauf vorbereitet gewesen, dass es in der aktuellen politischen Lage zu einer solchen Begegnung kommen könnte. Die deeskalierende Ansprache, das Gesprächsangebot und die Polizei hätten die Situation gelöst. Er sieht das als eine Bestätigung dafür, dass sich die Zivilgesellschaft und der Rechtsstaat durchsetzen. „Pogromgedenken bleibt Pogromgedenken“, sagt Bazin. Man sei etwa in den einleitenden Worten und den Fürbitten auf die aktuelle Situation der Menschen in Israel, Gazastreifen, Westjordanland und Libanon eingegangen. „Im Mittelpunkt stand es aber, die Geschichte zu kennen, die Ermordeten zu betrauern und begangenes Unrecht einzugestehen. Diese Punkte gilt es zu bewahren. Da lassen wir uns nicht treiben und vorschreiben, was wir zu sagen haben. Da gibt es keine Verhandlung.“
„Es ist erschreckend, dass solche Veranstaltungen nur noch mit Polizeipräsenz möglich sind.“
Birgit Bai
Während der Gedenkveranstaltung sei er dann auch nur noch in einem Satz auf den „Besuch“ eingegangen. Wer nicht weit im Voraus da war, hat von dem Vorfall nichts mitbekommen. Im Nachhinein sei man dann unter den Teilnehmern darüber noch ins Gespräch gekommen. Mancher sei erstaunt, dass so etwas in Simmern, im Hunsrück, passieren könne. „Es zeigt, dass es keine Inseln gibt und uns die gesellschaftlichen Entwicklungen auch im Hunsrück betreffen.“ Möglicherweise seien im vergangenen Jahr einzelne Leute in der rechtsextremen Szene auf den Ort aufmerksam geworden, so seine Vermutung. Im vergangenen Jahr gab es anlässlich eines Bürgerdialogs und eines Landesparteitags der AfD in Simmern große Gegenveranstaltungen. „Wir haben uns da als Gesellschaft und als Kirchen klar positioniert und wollten zeigen, wofür wir stehen.“

Nicht vergessen – und nie wieder zulassen
Im Vorfeld einer Pogrom-Gedenkveranstaltung in Simmern haben Männer die Veranstalter provoziert. Die Polizei schützte die Veranstaltung mit erhöhter Präsenz. Unser Kommentar:
Die Polizeiinspektion Simmern bestätigt, dass man wegen der verbalen Diskussion mit mehreren Streifenwagen im Einsatz war. Dazu gehöre es routinemäßig dazu, auch die Personalien aufzunehmen, nähere Angaben dazu machte die Polizei jedoch nicht. Man habe bei dem Vorfall keine strafrechtliche Relevanz festgestellt. Es sei mittlerweile üblich, bei Pogromgedenkveranstaltungen und Veranstaltungen mit Bezug zum jüdischen Leben Präsenz zu zeigen. Wie die Beamten zurückgemeldet bekommen hätten, sei die verstärkte Präsenz in Simmern von den Teilnehmern überwiegend positiv aufgenommen worden.
Anfrage an AfD-Kreisverband noch unbeantwortet
„Vor zwei Jahren waren Gedenkveranstaltungen wie diese noch ohne Polizei möglich“, sagt Andreas Nikolay, Stadtbürgermeister von Simmern. Deshalb sei er zunächst überrascht gewesen, wie viele Polizisten am Ort waren. Er sei recht pünktlich zum Beginn des Gedenkens eingetroffen und habe sich erst im Nachhinein mit den Teilnehmern dazu austauschen können. „Die Menschen waren richtig betroffen, eine gewisse Unruhe war zu spüren, die ich so aus den Jahren zuvor nicht kannte“, sagt Nikokay. Er sei beeindruckt davon gewesen, wie Pfarrer Bazin mit der Situation umgegangen ist und über die Formulierung, die er zu dem Vorfall fand.
Eine Anfrage unserer Zeitung an den AfD-Kreisverband Zwickau zu dem Geschehen blieb am Sonntag zunächst unbeantwortet. Am Montagmorgen teilte Jonas Dünzel, der Vorsitzende des dortigen AfD-Kreisverbands, mit, es sei nicht bekannt, dass Mitglieder des Kreisverbands am Wochenende in Rheinland-Pfalz unterwegs waren. Er halte es für eher unwahrscheinlich, da der Verband am Wochenende einen Parteitag ausgerichtet habe und die politisch aktiven Mitglieder weitgehend daran teilgenommen hätten.